Berlin. Wolfgang Zöller, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, hat vor Beginn der PID-Gentests große Bedenken - er sieht massive Probleme für alle Beteiligten. Im Interview erklärt er, warum.

Der Bundestag hat Gentests an Embryonen erlaubt. Eine Ethikkommission und eine Verordnung regeln nun die Details. Wolfgang Zöller (CSU) sieht massive Probleme auf alle Beteiligten zukommen. Der Patientenbeauftragte der Regierung erklärt im Interview mit dieser Zeitung, warum eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes kommen muss, wer in die Kommission gehört und wer die PID bezahlen soll.

Müssen Sie sich als Patientenbeauftragter über die PID freuen, weil sie Leid von vorn herein vermeiden kann?

Zöller: Nein, mit der PID machen wir den ersten Schritt zur Selektion. Ich fürchte auch eine Ausweitung: In Frankreich gibt es die Möglichkeit, Embryonen zu erzeugen, die als Retterbaby benutzt werden können, wenn die Geschwister eine Krankheit haben. So wird der Mensch zum Ersatzteillager. Hinzu kommt: Für die geschätzten 200 PID-Fälle im Jahr müssen Tausende von Embryonen sterben. Es gibt auch kein Recht auf ein Kind um jeden Preis.

Das Gesundheitsministerium will die Details zur PID nun in einer Verordnung regeln. Was muss darin stehen, damit nicht alles gemacht wird, was medizinisch-technisch möglich ist?

Es drohen Gewissenskonflikte

Wolfgang Zöller, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung
Wolfgang Zöller, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung

Zöller: Machen wir uns nichts vor. Die Verordnung wird das meiste der Ethikkommission überlassen müssen. Das beginnt schon mit der Frage, was eine schwerwiegende Behinderung ist, auf die man in der PID prüfen soll. Und ist die Krankheit dann ein Ausschlusskriterium? Aus meiner Sicht nicht. Denn vielleicht ist die Krankheit in 20 oder 30 Jahren heilbar. Kurz: Die PID wird sehr viele Leute in schwere Gewissenskonflikte bringen. Ich beneide die Ethikkommission nicht.

Eine Ethikkommission muss für eine PID grünes Licht geben. Wer sollte in dem Gremium sitzen?

Zöller: Neben Ärzten, Philosophen und Pflegepersonal müssen Leute von der Lebenshilfe oder dem Behindertenrat dazugehören. Sie vertreten Menschen mit Behinderungen, die nach dem PID-Gesetz eigentlich gar nicht mehr auf der Welt wären.

Sollte es nicht noch einen Katalog mit Krankheiten geben, um Embryonen zu testen?

Zöller: Nein, das würde dem Einzelfall auch nicht gerecht. Worauf gestestet wird, muss die Ethikkommission entscheiden.

Das meiste soll also die Kommission machen. Es klingt so, als wäre die Verordnung ein zahnloser Tiger.

Zöller: Ja, das ist leider so. Um klare Vorgaben machen zu können, hätten wir gesetzlich regeln müssen, was lebenswert ist und was nicht. Damit hätten wir den Katalog, der festlegen würde, auf welche Krankheit die PID Embryonen prüfen darf. Ich sehe zwei immense Probleme auf uns zukommen. Die größte Gefahr besteht darin, dass die PID künftig zum Standard bei der künstlichen Befruchtung gehört. Zudem liefert die PID nicht nur ein Ergebnis, sondern hunderte Nebenbefunde. Dies wird Probleme aufwerfen.

Betroffene werden selbst bezahlen müssen

PID und künstliche Befruchtung kosten mehrere tausend Euro. Der Gesetzentwurf erwägt, dass Bund und Länder die Kosten übernehmen könnten. Richtig?

Zöller: Warum soll die Allgemeinheit dafür bezahlen, dass jemand seinen Wunsch nach einem vermeintlich gesunden Kind erfüllt bekommt? Nein, die Betroffenen werden zumindest einen Teil bezahlen müssen.

Für eine erfolgreiche PID sind acht Embryonen nötig. Das Embryonenschutzgesetz erlaubt aber nur die Erzeugung von drei pro Zyklus. Wie passt das zusammen?

Zöller: Gar nicht. Wir kommen um eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes nicht herum. Die PID- Befürworter müssen sich hier entscheiden. Würde man bei der Präimplantationsdiagnostik die Dreierregel anwenden, könnte man die PID vergessen. Die Erfolgsaussichten wären minimal.

Thema Organspende: Befürworten Sie die favorisierte Entscheidungslösung?

Zöller: Ja. Man muss die Leute bei verschiedenen Möglichkeiten ansprechen - aber die Freiwilligkeit muss hier ganz groß geschrieben werden. Wer die Widerspruchslösung fordert, hat sich zu wenig mit den Ursachen beschäftigt, warum wir so wenige Organe haben. Sie liegen vor allem in der mangelnden Organisation. Nicht jede Klinik hat einen Transplantationsbeauftragten. So werden viele Organe nicht genutzt, die genutzt werden könnten. Schließlich haben rund 25 Prozent der Bürger einen Spendeausweis, doch es haben 2010 nur rund 1300 Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet.

Gesundheitsminister Bahr möchte den Bürgern das Recht einräumen, sich nicht zu entscheiden. Ist das sinnvoll?

Zöller: Ja. Wer sich heute nicht entscheidet, den kann man in einigen Jahren noch einmal fragen. Wer dagegen einmal nein sagt, der fällt sofort durchs Raster.

Zuletzt gab es wieder mehr Beschwerden über Ärztefehler. Im Patientenrechtgesetz möchten Sie nun die Schiedsstellen, die Behandlungsfehler prüfen, stärken. Wie genau?

Zöller: Bei allen Schiedsstellen sollen Patientenvertreter am Tisch sitzen. Das steigert ihre Akzeptanz. Alle Schiedsstellen sollen den Fall auch abschließen und über eine Entschädigungshöhe empfehlen dürfen. Damit könnte man sich jahrelange Verfahren sparen.

Wann kommt das Gesetz?

Zöller: Das Patientenrechtgesetz soll spätestens am 1.Juli 2012 in Kraft treten. Bis zum Januar 2012, wie es ursprünglich geplant war, bekommen wir es nicht mehr hin. Mir ist die sorgfältige Ausarbeitung wichtig, um den Kritikern keine Munition zu liefern.

Das Kabinett will am 3. August das Versorgungsgesetz verabschieden. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Zöller: Seit Jahren wird kritisiert, dass jeder im Mittelpunkt steht - nur nicht der Patient. Alle beschreiben Wartezeiten, Ärztemangel und Effizienzverlust zwischen den Sektoren Krankenhaus und niedergelassenen Arzt. Bei Sonntagsreden stimmten hier alle ein.

Und jenseits von Sonntagsreden?

Zöller: Nun wird ein Gesetzentwurf aus Patientenperspektive vorgelegt. Es wird nicht mehr geschaut, wie viele Patienten braucht ein Krankenhaus oder Arzt, sondern wie werden zum Beispiel Krebspatienten in der Fläche optimal versorgt. Und schon haben wir das reflexhafte Reaktionsmuster: Jeder hat Angst - sorgt sich um "seine" Patienten, meint aber seine Pfründe. Hier will ich mehr Ehrlichkeit. Das Versorgungsstrukturgesetz geht neue Wege jenseits der klassischen Praxismodelle, es berührt sensible Besitzstände. Aber zugunsten der Versorgung der Patienten fordere ich von allen mehr Mut diesen innovativen Weg konstruktiv zu begleiten - dann bekommen wir wirklich ein Jahr der Patienten.