Essen. Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte befeuert in Nordrhein-Westfalen die Diskussion über die Gesundheitsgefahren, die von Dieselmotoren ausgehen.

  • Am Graf-von-Galen-Ring in Hagen wurde der Grenzwert für die Stickstoffdioxid-Konzentration das ganze Jahr nicht unterschriten
  • Aus Sicht von NRW-Umweltminister Johannes Remmel müssten dringend strengere Abgasnormen eingeführt werden
  • Schon seit Jahren warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO vor Gesundheitsrisiken durch Stickoxide

Vor allem Dieselfahrzeuge bereiten den Umweltschützern im Ruhrgebiet Sorgen. Daten des Landes-Umweltamtes Lanuv, die unserer Redaktion vorliegen, zeigen, dass im Ruhrgebiet an jeder zweiten Messstation die Stickstoffdioxid-Werte über dem geltenden Grenzwert liegen. Das Reizgas Stickstoffdioxid stammt zu 80 Prozent aus Dieselfahrzeugen. Es kann die Gesundheit erheblich schädigen und unter anderem Atemwegserkrankungen auslösen.

Remmel fordert strengere Abgasnormen

Trotz der geltenden Abgasvorschriften und der Einführung einer großflächigen Umweltzone im Ruhrgebiet fällt der Rückgang ausgerechnet bei den gefährlichen Stickoxiden minimal aus.

Die Stickstoffdioxid-Belastung im Ruhrgebiet
Die Stickstoffdioxid-Belastung im Ruhrgebiet © Funke Medien Gruppe/Denise Ohms

An „Hotspots“ wie der Mülheimer Straße in Oberhausen oder dem Graf-von-Galen-Ring in Hagen wurde der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel noch nie unterschritten. Im Prinzip gelangen im Revier heute so viele Stickoxide in die Luft wie im Jahr 2000. Und das, obwohl die Diesel-Motoren laut Hersteller immer sauber geworden sind und die Industrie-Emissionen in dieser Zeit stark zurückgingen.

Aus Sicht von NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) müssten in Deutschland und in der EU dringend strengere Abgasnormen eingeführt werden, um die Belastung mit Schadstoffen zu senken. „Aber die Bundesregierung ist ein Spielball der Autolobby. Sie erweist dem Gesundheits- und Umweltschutz einen Bärendienst“, sagte Remmel.

Stickoxid-Werte im Revier sinken nicht

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Peter Schütz, Sprecher des Landesumweltamtes, beobachtet mit Sorge, dass die Stickoxid-Werte in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet nicht sinken. „Im Prinzip gibt es nur zwei Möglichkeiten, um diese im Wesentlichen von Dieselmotoren stammenden Emissionen deutlich zu reduzieren: Erstens der Einbau von Harnstoff-Konvertern und zweitens weniger Diesel-Fahrzeuge auf den Straßen.“

In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der Dieselfahrzeuge in Deutschland von 20 auf mehr als 30 Prozent. In NRW fahren rund 3,4 Millionen Diesel-Kfz. An Rhein und Ruhr gibt es 127 Messstellen für Stickstoffdioxid. 2014 wurden an 58 Orten die Grenzwerte überschritten.

Warum Diesel-Abgase gefährlich für die Gesundheit sind 

Seit vielen Jahren tauchen sie in der Statistik als hoch belastete Orte auf: der Clevische Ring in Köln, die Euskirchener Straße in Düren, die Corneliusstraße in Düsseldorf oder der Graf-von-Galen-Ring in Hagen. Hier gelangt so viel Stickstoffdioxid in die Luft wie sonst nirgendwo in NRW. 40 Mikrogramm NO pro Kubikmeter Luft ist der in Europa gültige Jahresmittel-Grenzwert. Aber an diesen Straßen erreichen die Jahres-Werte immer wieder 60 Mikrogramm oder sogar mehr.

Die Liste der „Grenzwertüberschreitungen“ beim Landes-Umweltamt Lanuv ist lang, und manche Straßennamen tauchen immer wieder auf: Zum Beispiel die Herner Straße in Bochum (zuletzt 51 Mikrogramm NO), die Brackeler Straße in Dortmund (52) und die Alfredstraße in Essen (54).

Saubere Antrieb gefordert

Wie kann es sein, dass im Ruhrgebiet, in einer flächendeckenden Umweltzone, solche Werte erreicht werden? Und wie sauber sind moderne Fahrzeuge, die stolze Öko-Namen tragen wie „BlueMotion“, „BlueEfficiency“ oder „Eco Tech“ wirklich?

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„Unterm Strich sind die Diesel-Motoren zwar sparsamer geworden, aber es sind eben mehr Diesel im Einsatz, und die Motoren sind im Schnitt größer als früher. Das frisst den Entwicklungs-Vorteil auf“, erklärt Lanuv-Sprecher Peter Schütz.

Neue Antriebskonzepte

Der Zusammenhang zwischen Diesel-Emissionen und den hohen Stickoxid-Werten ist für das NRW-Umweltministerium unstrittig. „Stickstoffoxid-Emissionen aus dem Straßenverkehr stammen zu etwa 20 Prozent aus Ottofahrzeugen. Den Großteil von 80 Prozent erzeugen Diesel-Kfz“, heißt es dort. In NRW gibt es rund 6,4 Millionen Autos mit Ottomotor und rund 2,85 Millionen Diesel-Pkw. Ohne neue, saubere Antriebsformen, erklärt das Landes-Umweltministerium, werden sich die gefährlich hohen Stickoxid-Werte nicht nachhaltig senken lassen.

Stickoxide gehören zu den klassischen Reizgasen. Sie entstehen bei Verbrennungsprozessen in Motoren und Kraftwerken. Das Gas bleibt beim Einatmen in den Atemwegen und kann asthmatische Reaktionen auslösen. In hohen Konzentrationen kann es Lungenentzündungen verursachen. Vor allem für Asthmatiker sei das Gas problematisch. Auch für die Umwelt ist es schädlich. Es kann Pflanzen schädigen und zu vorzeitigem Altern und „Kümmerwuchs“ führen. Zudem sorgt es für eine Versauerung der Böden.

Vier Braunkohlekraftwerke

Das Umweltbundesamt hat jüngst den Stickoxid-Ausstoß durch Autos berechnet. Demnach pusten die Fahrzeuge 78 000 Tonnen des Gases in die Luft der Städte, davon fast drei Viertel aus Diesel-Auspuffen. Das wäre ungefähr so viel, wie vier Braunkohlekraftwerke vom Kaliber Neurath bei Grevenbroich in einem Jahr ausstoßen. „Stickoxid entwickelt sich zum Schadstoff Nummer eins“, so das Umweltbundesamt.

Besonders anfällig für die Auswirkungen sind Kinder. So ergab eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Beispiel Österreich, dass die Schadstoffbelastung pro Jahr zu 21 000 zusätzlichen Fällen von Bronchitis und zu 15 000 zusätzlichen Asthmaerkrankungen bei Kindern führe.

Krebsgefahr durch Abgase

Stickoxide sind nur ein Bestandteil der Dieselabgase. Schon seit Jahren warnt die WHO vor Gesundheitsrisiken. Im Jahr 2012 stufte die Behörde die Abgase in die Gefährdungsklasse von Asbest, Arsen und Senfgas ein und forderte eine drastische Reduzierung der Emissionen. Nach einer Studie der internationalen Agentur für Krebsforschung gilt es als erwiesen, dass die Abgase nicht nur „potenziell krebserregend“ sind, sondern ein Zusammenhang zwischen den Schadstoffen und der Krankheit bestehe.

Doch nicht nur Dieselfahrzeuge pusten die Schadstoffe in die Luft. Die Deutsche Umwelthilfe weist auf die enorme Belastung von Anwohnern und Arbeitern durch Baumaschinen mit Dieselmotoren hin. In den Großstädten würden Baumaschinen inzwischen häufig mehr Schadstoffe verursachen als der Fahrzeugverkehr.