Essen. . Umweltdezernentin Simone Raskob mahnt, dass die Stickoxidbelastung in Essen sich nur dann deutlich senken lässt, wenn die Norm Euro 6 eingehalten wird.

Euro 6 – das war die Zauberformel, auf die die Essener Umweltdezernentin Simone Raskob stets setzte.

Als Vorsitzende des Umweltausschusses im Deutschen Städtetag plädierte sie bundesweit für eine schnelle Modernisierung von Dieselfahrzeugen nach der strengeren EU-Norm Euro 6, die eine deutliche Senkung der atemwegbelastenden Stickoxid-Emissionen vorschreibt und seit wenigen Wochen endgültig für alle neuen Diesel-Pkw gilt.

Doch mit dem VW-Skandal um millionenfache Manipulationen bei Abgasmessungen auch in Deutschland sowie der immer stärker werdenden Kritik an den Labortest-Verfahren, die die Realität im Straßenverkehr nicht widerspiegeln, droht ein wichtiger Pfeiler der Stadt Essen bei der Bekämpfung gegen die Luftverschmutzung wegzubrechen.

Jeder zweite Deutsche tankt Diesel

Simone Raskob betont, dass „Euro 6“ der Schlüssel sein sollte, um endlich zu deutlich besseren Ergebnissen zu kommen. „Wenn aber die Werte, die in den Unterlagen versichert werden, nicht eingehalten werden, dann ist das ein Rückschlag für die Luftqualität in den Städten“, sagt sie der NRZ und fügt warnend hinzu: „Ich kann nur hoffen, dass die Industrie das schafft.“ Die Beigeordnete sieht die Diesel-Abgase mit als Hauptgrund dafür, dass in der Stadt Essen die Grenzwerte für Stickoxide im Vorjahr an sechs von zehn Messstellen teils deutlich überschritten wurden.

Dass Euro 6 mehr verspricht, als aus dem Auspuff tatsächlich herauskommt, dazu gab es in der Vergangenheit schon das ein oder andere Warnsignal, etwa im Dezember 2014 von den Landesumweltämtern in Baden-Württemberg und Bayern, die drei Euro-6-Diesel-Pkw u.a. in Stuttgart und München im Alltagsbetrieb testen ließen – mit dem Ergebnis, dass der erlaubte Stickoxid-Ausstoß um das 1,6 bis mehr als das Achtfache überschritten wurden.

Bundesweit tankt inzwischen fast jeder zweite Autobesitzer Diesel. Mit neuen Euro 6-Pkw dürfen nur noch 80 Milligramm Stickoxide pro gefahrenen Kilometer emittiert werden. Das sind zwar hundert Milligramm weniger als bei den Euro 5-Dieselautos, für die aber – aufgepasst – es immer noch die grüne Vignette als Freifahrtschein in die Umweltzone gibt.

Grün ist nicht immer grün

Insofern lassen die Angaben aus dem Kraftfahrt-Bundesamt, wonach 96 Prozent aller in Essen zugelassenen Autos bereits eine grüne (Feinstaub-)Plakette haben, nicht gleich den Rückschluss zu, dass aus den Auspuffen entscheidend weniger Dreck geblasen wird. Lediglich beim Feinstaub wurde inzwischen das Klassenziel erreicht, können die Grenzwerte im gesamten Essener Stadtgebiet eingehalten werden.

Die Diskussion geht weiter: Der Sprecher vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (Bund) in NRW, Dirk Jansen, hatte vor wenigen Tagen Fahrverbote für Dieselautos in besonders belasteten Stadtteilen – auch in Essen – gefordert und damit Proteste der Essener Industrie- und Handelskammer (IHK) ausgelöst, die vor Aktionismus warnt. „Wir werden nicht müde zu betonen, dass Verkehre sich durch Fahrverbote nicht in Luft auflösen. Vielmehr verlagern diese sich auf andere Straßen“, erklärt Hauptgeschäftsführer Gerald Püchel. Die IHK weist darauf hin, dass allein in Essen über 18.000 Nutzfahrzeuge angemeldet sind – die fast ausschließlich mit Diesel fahren. Für die Unternehmen sei die Erreichbarkeit im Ruhrgebiet einer der wichtigsten Standortfaktoren. „Fahrverbote sind kontraproduktiv“, meint Püchel. Ziel müsse es sein, Staus zu verhindern, weil hohe Stickoxidkonzentrationen vor allem dort auftreten, wo der Verkehr stocke. Das Problem müsse laut IHK in erster Linie technologisch gelöst werden.

Das Landesumweltamt in Essen bringt da auch Elektrofahrzeuge und Brennstoffzellen-Autos mit Wasserstoffantrieb ins Spiel. „Im Straßenverkehr stoßen die gar keine Stickstoffoxide aus“, berichtet Sprecherin Birgit Kaiser de Garcia. „Und wenn man dann noch auf erneuerbare Energien setzt, dann kann es tatsächlich etwas werden mit der besseren Luft in unseren Städten.“

Wasserstoff oder Strom?

Doch unklar bleibt, wann abgasfreie Antriebe sich auf dem Automarkt durchsetzen werden – im Vorjahr waren gerade mal rund 150 Elektrowagen in der Ruhr-Metropole angemeldet.

Auch die Essener Verkehrsgesellschaft (Evag) hat ein Auge drauf, wartet aber erstmal ab. Erst 2017 werden die ersten der 188 Busse ausgetauscht. „Wir nutzen die Zeit, um die Entwicklung zu beobachten“, sagt der Technische Vorstand der Evag, Hans-Peter Wandelenus. „Im Moment gibt es aber keine Alternative zum Diesel.“ Die Hybrid-Busse hätten die Erwartungen nicht erfüllt. „Und die Elektrobusse sind in keiner Weise ausgereift“, bedauert Wandelenus. Möglicherweise könnten eines Tages wasserstoffbetriebene Busse eine Lösung sein. Wandelenus: „Aber da müssen wir noch viel Zeit ins Land lassen.“

Nach dem jetzigen Stand der Dinge werden die nächsten Neubestellungen bei der Evag in drei Jahren Euro 6-Busse sein. Derzeit fährt die Evag mit Euro 5-Fahrzeugen, hat aber zwei Drittel ihrer Flotte mit zusätzlichen Abgasreinigungssystemen ausgerüstet.

Für das Jahr 2017, wenn Essen „Grüne Hauptstadt Europas“ wird, will die Evag mit einem Elektro- oder Brennstoffzellenbus dabei sein. „Den werden wir aber nur ausleihen“, kündigt Wandelenus an.

Einen möglichen Fehlkauf will sich die Evag nicht leisten.