Bochum. Ein Leben auf dem Bauernhof ist der beste Schutz vor Allergien. Mediziner raten Eltern von Stadtkindern, vor allem vorbeugend aktiv zu werden.
Duftende Blumen, flauschige Haustiere, leckeres Knabberzeug – was für die meisten Menschen an Harmlosigkeit kaum zu überbieten ist, lässt bei Allergikern die Alarmglocken schrillen. Ihr Immunsystem mobilisiert beim Kontakt mit den Allergenen alle Kräfte, die es auch gegen Krankheitserreger einsetzen würde. Man kann sich diese Immunreaktion in etwa so vorstellen, als wolle man ein Streichholz mit einem Wasserwerfer löschen. Da bleiben Kollateralschäden nicht aus: juckender Hautausschlag, triefende Nase, geschwollene Augen. Besonders heikel wird es, wenn Kinder betroffen sind.
Wann entstehen Allergien?
Auch wenn es oft so aussieht: Eine Allergie ist nicht sofort da, wenn das Kind seine erste Katze streichelt oder die erste Nuss verspeist. Der Erstkontakt mit dem Allergen, bei dem sich der Körper sensibilisiert, verläuft beschwerdefrei. „Den genauen Zeitpunkt muss man nicht unbedingt mitbekommen, da oft ganz geringe Mengen genügen“, erklärt Dr. Cordula Koerner-Rettberg, Leiterin der Abteilung Pädiatrische Pneumologie am Uniklinikum Bochum. Erst bei einem erneuten Kontakt macht sich die Allergie dann bemerkbar. Zudem erfolgt die Sensibilisierung je nach Allergen unterschiedlich schnell: So dauert es bei Blütenpollen bis zur ersten allergischen Reaktion länger als bei Hausstaubmilben.
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Das Alter hingegen spielt kaum eine Rolle – bereits Säuglinge können an Neurodermitis erkranken. Und: Viele „Allergie-Karrieren“ beginnen mit einer Neurodermitis, auch als atopisches Ekzem bezeichnet, auf die im Kleinkindalter allergisches Asthma folgen kann und etwas später dann die Pollenallergie. Fachleute bezeichnen einen solchen Verlauf als „allergischen Marsch“.
Wer bekommt Allergien?
Vorhersagen lässt sich das nie, man kann allenfalls Statistiken heranziehen. So leiden laut der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – kurz KiGGS genannt – derzeit 16 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter mindestens einer allergischen Erkrankung. Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen. Die Zahlen steigen in den westlichen Industrieländern seit den 1970er Jahren kontinuierlich an, haben nach Einschätzung vieler Fachleute aber jetzt ein Niveau erreicht, auf dem sie sich einpendeln könnten. Die Schwellenländer jedoch befinden sich noch im Aufwärtstrend, in dem Maße, in dem sie sich den hiesigen Verhältnissen anpassen. Aus dieser Entwicklung könne „man folgern, dass die Lebensumstände in unserer sauberen, infektarmen Lebensumgebung unser Immunsystem nicht ausreichend fordern“, sagt Cordula Koerner-Rettberg. „So ist es in bestimmten Bereichen unterbeschäftigt und fehlgesteuert.“ Denn es benötigt schon sehr früh diverse Stimuli, um sich ordentlich zu entwickeln.
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Zu den Umweltfaktoren kommt die genetische Veranlagung: Leiden bereits die Eltern unter Allergien, ist es wahrscheinlich, dass auch die Kinder erkranken. Sind beide Elternteile betroffen, liegt das Risiko für das Kind bei 80 Prozent, ist ein Elternteil betroffen, bei etwa 50 Prozent. Das gilt nicht nur für die Allergie der Eltern, sondern für jede Art von Allergie. „Allerdings gibt es nicht ein Allergie-Gen, sondern ganz viele verschiedene Gene, die Allergien begünstigen“, erklärt die Medizinerin.
Die Intensität der jeweiligen allergischen Reaktion kann zudem durch Einflüsse wie körperliche Anstrengung oder einen Infekt noch verstärkt werden.
Kann man vorbeugen?
Vor einigen Jahren fanden Forscher heraus, dass Kinder vom Bauernhof seltener an Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis erkranken. Als Allergieverhinderer ermittelten sie Stallluft und Rohmilch.
Nun bewahrt ein einmaliger Bauernhofbesuch leider kein Kind vor Asthma. Der Schutz mache sich nur bei Kindern bemerkbar, die direkt auf dem Bauernhof leben und im frühen Säuglingsalter oft im Stall sind, erklärt Cordula Koerner-Rettberg. Daher werde mit Hochdruck daran geforscht, „diese schützenden Substanzen zu finden, zu isolieren und als Medikament oder Nahrungszusatz nutzbar zu machen.“ Noch ist das allerdings Zukunftsmusik.
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Präventiv tätig werden kann man aber durch die Vermeidung bestimmter Zusatzrisiken: Eltern, die selbst unter Allergien leiden, deren Baby aber noch gesund ist, sollten es wenn möglich in den ersten Lebensmonaten stillen, generell keinem Zigarettenrauch aussetzen und darauf verzichten, Katzen anzuschaffen. Das klingt banal, kann aber helfen, eine Allergie zu vermeiden. Übertriebene Sauberkeit schadet hingegen eher, als dass sie nützt.
Hilft eine frühe Diagnose?
Je eher sich Eltern mit der Allergie ihres Kindes beschäftigen, desto besser. Denn so lassen sich schon früh Beschwerden lindern. Außerdem könne man „Komplikationen und den falschen Umgang mit der Krankheit verhindern“, so Cordula Koerner-Rettberg. Denn viele Eltern glaubten nach wie vor, dass spezielle Diäten eine Allergie vermeiden könnten. „Heute vermutet man, dass die frühzeitige Beifütterung bestimmter Lebensmittel wie Fisch eher schützend wirkt als allergieauslösend.“ Daher solle ab dem fünften Lebensmonat uneingeschränkt Beikost eingeführt werden.
Auch könne man Eltern durch die frühe Diagnose Ängste nehmen – schließlich würden einige Allergien, wie Hühnerei- und Kuhmilch-Allergien bei Säuglingen und Kleinkindern, häufig mit der Zeit abklingen. Auch Neurodermitis verschwinde häufig von selbst wieder, heißt es im KiGGS-Bericht. Zumindest aber würden die Symptome nach dem ersten Lebensjahr oft milder, so Expertin Cordula Koerner-Rettberg. Und mit der richtigen Therapie und Beratung könnten heutzutage zudem auch Betroffene mit vielen Allergien weitgehend beschwerdefrei leben.