Lünen/Gaza. . Der Neurochirurg Samir Kazkaz aus Lünen operiert Schwerverletzte im Kriegsgebiet. Schon 33 Mal ist der Mediziner in den Gaza-Streifen gereist, um zu helfen — aber dieses Mal seien die Erlebnisse schlimmer als je zuvor, sagt er. Jetzt wird er die dramatischen Bilder nicht mehr los.

Schon 33 Mal ist der Lüner Neurochirurg Dr. Samir Kazkaz in den Gaza-Streifen gereist, hat dort Stunden und Tage operiert, hat Menschenleben gerettet. So auch jetzt wieder.

Doch dieses Mal ist alles anders. Dieses Mal wollen die Bilder nicht aus seinem Kopf verschwinden. Die Bilder der Kinder, ihrer von Kopf bis Fuß mit Granatensplittern übersäten Körper. Das dreijährige Mädchen, dem er gerne geholfen hätte, dessen Vater so verzweifelt weinte.

Mädchen war nicht zu retten

Gerade erst ist er wieder vom Krieg im Gaza-Streifen zurückgekehrt und steht schon wieder im Lüner Marien-Hospital im OP. Mit seinen nunmehr 65 Jahren arbeitet Samir Kazkaz unermüdlich. Das Leid seiner Landsleute unter dem damaligen Präsidenten und Diktator Hafiz al-Assad hatte ihn Ende der 70er-Jahre bewogen, sich in Deutschland als Neurochirurg ausbilden zu lassen. Doch anders als eigentlich geplant, konnte Kazkaz nicht nach Syrien zurückkehren. Stattdessen reist er nun jedes Jahr in die Krisengebiete der Region, um zu helfen. Und immer wieder nach Gaza.

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Zwanzig Operationen waren es auch dieses Mal für Kazkaz. Am Tag der Ankunft, gerade erst über Jordanien eingereist, erhält er den Anruf, er möge direkt ins Krankenhaus von Khan Junis im Süden des Gaza-Streifens kommen, dort warteten schon drei Patienten auf ihn. Und so steht er an diesem ersten Tag bis zwei Uhr nachts am OP-Tisch.

Einschläge im Umfeld des Krankenhauses

Anfangs ist es noch ruhig, herrscht Waffenruhe, doch bald geht der Krieg weiter, schlagen auch im Umfeld des Krankenhauses Raketen ein. Kazkaz hört die Einschläge, sieht den Rauch aufsteigen, manches Mal kaum einen Kilometer entfernt. Und Kazkaz arbeitet weiter, entfernt Granatsplitter aus Wunden, operiert Rückenmark- und Nervenverletzungen.

Doch gleich für seine erste Patientin, ein 14-jähriges Mädchen, kommt seine Hilfe zu spät. Das Haus der Familie in Khan Junis war von einer F16-Rakete zerstört worden, fünf von ihnen sterben, die anderen überleben schwerst verletzt. Das Mädchen ist seitdem querschnittsgelähmt. Fünf Stunden lang müht sich der Mediziner. Vergeblich. „Ich konnte leider nichts mehr für sie tun, die Verletzungen waren fünf Tage alt. Sie wird im Rollstuhl sitzen müssen“, sagt der Neurochirurg.

Er sieht Not und Elend

Anderen jedoch kann er helfen. Sein zweiter Patient, ein 18-Jähriger, ebenfalls ab der Halswirbelsäule gelähmt, rührt sich bereits am Morgen nach der OP wieder etwas. Kazkaz sieht dessen Perspektive optimistisch wie auch die vieler anderer Patienten.

Untergebracht ist der Neurochirurg wie meist in den letzten Jahren in einem Zimmer im vierten Stock des Krankenhauses von Khan Junis. In den Räumen daneben übernachten Ärzte aus den USA, aus dem Sudan. Freiwillige wie er. Zwischendurch, wenn Kazkaz nicht operieren kann, reist er durch den Gaza-Streifen. Von Süd nach Nord. Er sieht bombardierte Häuser, bis auf die Grundmauern zerstörte Moscheen. „Da waren ganze Stadtviertel dem Erdboden gleich gemacht. Da wurden sogar Krankenwagen beschossen. Es heißt, 24 Sanitäter seien schon getötet worden“, erzählt Samir Kazkaz.

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Doch noch nie hat er so schwer verletzte Kinder gesehen wie dieses Mal. So erzählt er von dem „hübschen kleinen Mädchen“, das, auf dem Schoß der Großmutter sitzend, als einzige der Familie überlebt hat. „Dieses Mal ist es sehr, sehr traurig“, sagt der Neurochirurg. Bisher habe er nie Probleme gehabt, wenn er von einem seiner Einsätze zurückgekehrt sei. Aber dieses Mal muss er immer wieder an die Kinder denken, die er gesehen hat.

Nächste Reise schon geplant

Und auch das gibt er zu. Dass er selbst Angst gehabt habe inmitten all des Kriegslärms. Dass er jeden Abend mit seiner Frau in Lünen telefoniert habe, um sie zu beruhigen. Weil sie allabendlich im Fernsehen die Bilder aus Gaza sah, weil sie sich Sorgen machte.

Dennoch plant Samir Kazkaz schon wieder seine nächste Reise nach Gaza für die Hilfsorganisation Hammer Forum, die weltweit Kindern medizinische Hilfe leistet. Gerade erst zurückgekehrt, stapeln sich in seinem Arztzimmer im Marien-Hospital bereits neue Kartons mit Verbandmaterial, mit Schmerzmitteln. Im Oktober soll der nächste Einsatz sein. Schließlich hat Kazkaz noch zwölf Tage Resturlaub: „Ich hoffe, dass der Krieg bis dahin zu Ende ist!“