Gaza.

Iman Al-Ksaslot kann sich noch genau an das Flugblatt erinnern, das sie vor 26 Tagen dazu veranlasste, schnell ihre wichtigsten Sachen zu packen und mit ihren drei Kindern aus ihrem Haus in Beit Lahia zu fliehen: „Die Kämpfe in Gaza hatten schon begonnen, dann warnte uns die israelische Armee. Wir wollten nichts riskieren, kamen hierher“, sagte sie unserer Zeitung. Seither wohnt die 26 Jahre alte Hausfrau im ersten Stock einer UN-Schule. Iman teilt sich den Raum mit den Familien ihrer drei Schwäger. Vier Wochen lang schliefen hier 28 Personen auf dünnen Matratzen auf dem Boden, wo die Frauen auch die Mahlzeiten zubereiteten. Waschen konnte man sich nur notdürftig in den Waschbecken der Schultoiletten. Trotz all dieser Unbequemlichkeit bleibt sie vorerst lieber hier: „Ich traue dieser Waffenruhe nicht“, sagt Iman. Schon sechs Mal wurden im vergangenen Monat Kampfpausen wieder gebrochen.

Ohnehin will sie nie wieder zurück in ihr Haus: „Jedes Mal wenn es Krieg gibt, dann ist Nord-Gaza als erstes betroffen. Bei jedem Krieg wieder Flüchtling zu werden – das ist doch kein Leben“, meint Iman. Wenn alles vorbei ist, will sie mit ihrem Mann eine Wohnung in Gaza-Stadt mieten, auch wenn es dort teurer ist. Dabei gehören die Ksaslots noch zu denen, die sich glücklich schätzen dürfen. Imans Mann hat ein Einkommen. Er ist Angestellter in einem Ministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Wohnung in Beit Lahia soll fast unbeschädigt sein.

Kinder sollten so nicht aufwachsen

Auch Adel Zorob hat die Offensive überstanden. Der 42-Jährige, der in Bochum studiert hat und jetzt mit seiner Familie in Gaza-Stadt lebt, wirkt am Telefon fast euphorisch. „Waffenruhe“, sagt er, „mir fällt ein Stein vom Herzen“. Strom und Wasser habe es heute stundenweise gegeben, „ich konnte nach zehn Tagen endlich duschen, mein Lächeln reicht von Ohr zu Ohr“, berichtet er. Aber er macht sich Sorgen: Seine kleine Tochter, die am Klang einer Rakete erkennen kann, ob sie vom Panzer oder aus der Luft abgeschossen wurde, hat neue Wörter in ihren Wortschatz aufgenommen: Feuerpause und Waffenstillstand. „Kinder“, so sagt er, „sollten so nicht aufwachsen“.

Nada Salman hat es schlimmer erwischt. Entsetzt starrt sie auf das Chaos in ihrer kleinen Wohnung. Auch sie verließ ihr Haus in Beit Lahia zu Beginn der Kämpfe: „Überall wurde schon geschossen“, erzählt sie. Also drängte sie sich mit Ehemann, acht Kindern, zwei Schwiegertöchtern und den Enkeln in einen Krankenwagen, um aus der Kampfzone zu fliehen – in eine UN-Schule. Doch da hielt sie es am Dienstag nicht mehr aus. Als der Waffenstillstand begann, kehrte sie heim. Was sie vorfand, war eine Ruine: Küche und Bad sind zerstört, die Wände verrußt, die Wohnung unbewohnbar.

Nada lebt von Spenden

Nada weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll: Ihr Mann ist Rentner, sie arbeitet gelegentlich als Putzfrau. Die Familie lebt von Nahrungsmitteln, die sie vom Flüchtlingshilfswerk erhält. Geld, um das Haus wieder instand zu setzen, hat sie nicht. Deswegen hofft sie auf Spenden: aus Katar oder der Türkei. In den Westen setzt sie keine Hoffnungen. Nada ist wütend – auf Israel. Die Hamas trage keine Schuld. „Israel hat den Krieg begonnen“, sagt Nada. Von den Raketen, die die Islamisten auf Israel abgefeuert haben, will sie nichts wissen. „Die Israelis lügen doch. Ich habe keine einzige Rakete gesehen, die von hier aus abgefeuert wurde. Das war ein Vorwand, um unsere Häuser zu zerstören, unsere Kinder im Schlaf zu töten“, sagt Nada: „Hamas hat uns nur verteidigt.“

Wie viele in Gaza sehen Iman Al-Ksaslot und Nada Salman die Hamas als Sieger dieses Krieges. Doch ihre Begeisterung für die Islamisten ist begrenzt. Ihren Söhnen würden sie verbieten, der Hamas beizutreten – und Iman sagt: „Wenn es Massenproteste gegen die Hamas gäbe, schlösse ich mich an.“

Doch zunächst haben die Frauen andere Sorgen. Vor allem Nada. Sie muss zurück in die UN-Schule. Dort bleibt ihr nur die Sehnsucht nach ihrem alten Leben.