Haldern. . Mit gefühlvollen Songs wurde am Donnerstag das 30. Haldern Pop Festival eröffnet. Der Brite Luke Sital-Singh sorgte in der St. Georg-Kirch für einen stimmgewaltigen Start in das Festival-Programm. Im Anschluss erntete ein Mann mit Rauschebart vom Publikum minutenlange Standing Ovations.

Luke Sital-Singh hat es bewiesen: Ein Musiker benötigt nicht viel, um das Haldern Pop Festival fulminant zu eröffnen. Die Kombination aus großem stimmlichem Einsatz und spärlichem Gebrauch der Gitarre reichen völlig aus. In der St. Georg-Kirche Haldern schaffte der Brite indischer Abstammung mit gefühlvollen Nummern einen sanften, wie grandiosen Start in das Festival-Wochenende. Und diesem lauschten in der Dorfkirche Hunderte Festivalbesucher gestern Abend.

45 Minuten spielte der Mann mit der Hornbrille, der pünktlich – und wie aus dem Nichts aufgetaucht – plötzlich auf der Bühne stand. Vom ersten Akkord an war es still in dem heiligen Gemäuer. Schnell hatte der Londoner das Publikum in seinen Bann gezogen. Der sympathische Musiker vertraute dabei auf die eigenen Stimmbänder und verzichtete auf jeglichen Schnickschnack und Gedöns. Bei einem Stück ließ Sital-Singh sogar das Mikrofon ganz links liegen und erfüllte den Kirchenraum mit seiner puren Stimme. Stimmgewaltig zeigte er sich vor allem bei den leisen Tönen, mit denen er sich in die Herzen der Lauschenden sang.

Der Mann mit dem Rauschebart

Auf den Mann mit der Gitarre folgte der Mann mit dem Rauschebart: Lubomyr Melnyk. Der 65-Jährige ist in der Ukraine geboren und lebt in Kanada, wo er seine Platten lange Jahre selber verlegt hat. Auch Melnyk griff zu Beginn seines Auftritts zum Mikrofon. Doch nur um der Menge seine Musik näher zu bringen. Wie ein Professor referierte er über die Reinheit des Klangs. Und natürlich verließ er die Bühne nicht, ohne dem Haldern Pop-Publikum ausführliche Hörproben mitzugeben.

Ein 45-minütiges Stück hatte der Wegbereiter der Continuous Piano Music in drei Teile geteilt. Den ersten umschrieb er mit dem Wort Meditation. Und genau das war das Stück auch – im besten Sinne. In ein musikalisches Traumland tauchten die Zuhörer ab. Konzertstätte und Darbietung hätten nicht besser zueinander passen können. Die drei Stücke rauschten wie ein Traum vorüber. Minutenlange Standing Ovations begleiteten den Musiker von der Bühne.

Begeisterungsstürme beim Publikum

Mit akkuratem Scheitel auf dem Kopf, Fliege um den Hals und den Musikern von Stargaze im Rücken entfachte Jherek Bischoff Begeisterungsstürme beim Publikum. Der Bassist von Amanda Palmers Grand Theft Orchestra zeigte in der Kirche vor allem seine Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur. Der korrekt gescheitelte junge Mann aus Seattle bezirzt die Sinne des Publikums zunächst mit einem folkloristischen Stück. Beim zweiten zeigte er dann sogar Entertainer-Qualitäten und animierte das Publikum zum Hintergrundgesang. Genial. Seine eigene Stimme stellte er dabei nur wenig in den Vordergrund. Das war auch nicht nötig. Denn seine Stärke sind ganz klar seine musikalischen Arrangements. Die bestechen durch leise, wie durch laute Töne. Schnelle Tempowechsel erzeugen eine einmalige musikalische Spannung. Fast ein wenig wie in einem Film.

Das große Finale spielte Stargaze in der Kirche. Das Ensemble bot einen stimmigen Abschluss für einen musikalisch sanften, dafür aber starken Start in das Festival.

Helmut lässt es entspannt angehen

Andächtig ließ es Helmut beim Start des Festivals in der Haldern Pop Bar angehen. Mit der Gitarre auf dem Schoß schaffte der Musiker eine völlig entspannte Atmosphäre. Mittels kleinen Griffen entlockte er dem Instrument seine Töne, sanftes Schnipsen ins Mikrofon schaffte eine rhythmische Grundlage. Das Publikum zog es nach und nach in die Pop Bar, wo es ergriffen den schönen Klängen lauschen konnte.

Außergewöhnliche Klänge hallten durch die Pop Bar als mit kleiner Verspätung – aber viel Publikum vor der Bühne – Ásgeir Trausti ebendiese betrat. Mit Tönen, die ein wenig an Mönchsgesänge erinnerten, bot der Isländer vor allem eines: gefühlvollen Folk, der stellenweise fast ein wenig schnulzig daher kam. Doch gepaart mit basslastigen Höhen und seiner Stimme war das ein wunderbares Klangerlebnis.

Der Donnerstagabend: Einzigartiger Auftritt im Spiegelzelt 

Als die tiefstehende Sonne am Donnerstag den Abend beim Haldern Pop einläutete, ging die Party vor dem Biergartenzelt erstmals richtig ab: Schottenrock! We Were Promised Jetpacks sorgten mit ihrem Hit „Quite Little Voices“ für eine Initialzündung vor der Bühne. Wer konnte, sang mit. Alle waren in Bewegung. Bei ihren durchschnittlich acht Minuten langen epochalen, gitarrenlastigen Stücken verstand es die Band aus Edinburgh, eine geladene Spannung aufzubauen. Und wie diese sich entladen hat! Viel Applaus für die Gruppe um Sänger Adam Thompson, der ob seines Akzentes seine Heimat nicht leugnen kann.

Einen ganz anderen Winkel der Gefühlswelt sprachen Suuns an. Die Kanadier wagten – schon zur dunklen Abendzeit – die Reise in die düsteren Ecken der Psyche. Zu den bombastischen Beats, die den Körper fast schon zur Bewegung zwangen, sägten die schrägen Gitarrenklänge fast schon Angst einflößende Schnitte in die Erinnerung. Allein schon wie Frontmann Ben Shemie seitlich stehend und den Kopf leicht neigend in das Mikro sang, fast hechelte: Was für eine Psycho-Reise! Genial, weil selten.

Herzliches Wiedersehen mit John Grant

Ein herzliches Wiedersehen gab's mit John Grant im Spiegelzelt. Der US-Sänger und gelernte Deutsch-Übersetzer sprach das Publikum fast schon demütig an, als ob die Gäste die Stars wären. So bescheiden muss er aber nicht sein: Grants einnehmende Stimme ist einfach großartig. Melodische Stücke wie „I Wanna Go to Marz“ ließen die Zuhörer träumen. Die neueren Werke vom aktuellen Album „Pale Green Ghosts“ sind elektronischer. Auch diese kamen sehr gut an.

Einzigartig war auch der Auftritt von Julia Holter im Spiegelzelt. Die Kalifornierin lud den Besucher mit ihren avantgardistischen Klängen zu einem Spaziergang durch ein Haus mit vielen Klangkammern ein. Mal klang es jazziger, mal gaben die Streicher den Takt vor, ein paar gelungene Kakophonien, häufig landete man am Ende im Tanzsaal. Das passte super ins Zelt. Ohnehin fiel der Donnerstag schon mal durch eine sehr gelungene Dramaturgie auf. Das machte Appetit auf mehr.