Lünen. . Jeannine Tembaak(34) ist Mediengestalterin, dreifache Mutter und seit drei Jahren in der Piratenpartei aktiv. Nun möchte die Selmerin in den NRW-Landtag einziehen.Daniela Thammsprach mit ihr über Vorurteile, Visionen und den Reiz der Piraten.

Jeannine Tembaak (34) ist Mediengestalterin, dreifache Mutter und seit drei Jahren in der Piratenpartei aktiv. Nun möchte die Selmerin in den NRW-Landtag einziehen. Daniela Thamm sprach mit ihr über Vorurteile, Visionen und den Reiz der Piraten.

Frau Tembaak, die Piratenpartei hat sich innerhalb kürzester Zeit vom politischen Außenseiter zum Erfolgsmodell entwickelt. Setzt Sie das unter Druck?

In erster Linie ist das schön. Dieser Wahlkampf ist mit dem im Jahr 2010 nicht zu vergleichen. Wir haben dermaßen viel Zuspruch aus der Bevölkerung – das tut einfach gut. Man hat das Gefühl, man hat einen Nerv der Bürger getroffen.

Welchen Nerv, glauben Sie, haben Sie da getroffen?

Den Wunsch nach einer bürgernäheren Politik. Die Leute wollen wieder mehr Mitspracherecht haben und nicht ihre Stimme im wahrsten Sinne des Wortes nur abgeben.

Sie wollen die Bürger nach ihrer Meinung fragen – was macht Sie so sicher, dass die Bürger auch antworten? Die Wahlbeteiligung nimmt ja immer mehr ab…

Die anderen Parteien machen es sich zu leicht, wenn sie nur von Politikverdrossenheit der Bürger sprechen. In Wirklichkeit sind die Bürger vielleicht eher parteienverdrossen, haben sich nicht mehr ernst genommen gefühlt. Ich glaube, dass wir eine neue Ehrlichkeit in die Politik bringen. Das kommt gut an. Die Leute kommen mit ihren Problemen und Wünschen auf uns zu. Und am Zuwachs innerhalb der Partei merken wir, dass es ganz viele Menschen gibt, die sich politisch engagieren wollen.

Der Zuwachs ist rasant. Kann die Partei, die ja noch relativ jung ist, das händeln? Sind da nicht neue Strukturen nötig?

Wir merken natürlich, dass der enorme Mitgliederzuwachs eine logistische Herausforderung ist. Aber bisher ist alles machbar und wir hoffen, dass wir an den basisdemokratischen Prinzipien weitgehend festhalten können – im Zweifelsfall mittels moderner Technologien, über das Internet.

Es wurde oft kritisiert, dass die Piraten sich nur auf einige wenige Themen konzentrieren, zu anderen gar keine Meinung haben. Hat sich das geändert?

Definitiv! Wir sind nie als die Ein-Themen-Partei aufgetreten, als die wir gerne bezeichnet wurden. Wir haben uns schon 2010 mit unserem Wahlprogramm breiter aufgestellt in Bereichen wie Bildung, Verbraucherschutz und Umwelt. Das Programm haben wir noch mal erweitert. Wer jetzt noch behauptet, die Piraten hätten kein Programm, stellt damit nur seine eigene Unfähigkeit dar, eine einfache Suchmaschine zu bedienen.

Sie fordern gleiche Bildungschancen für alle, kostenfreie Bildung und beitragsfreie Kitas. Wie wollen Sie das finanzieren?

Investitionen in Bildung sind in dem Sinne keine Kosten, sondern einfach notwendig, um in Zukunft wirtschaftlich gut dazustehen. Alles, was wir jetzt in Bildung investieren, wird sich in spätestens ein bis zwei Generationen doppelt und dreifach rechnen, dadurch dass die Wirtschaft angekurbelt wird. Wir brauchen dringend mehr besser ausgebildete Bürger.

Die Piraten stehen für ein eingliedriges Schulsystem. Warum?

Im jetzigen System wird viel zu früh selektiert. Studien haben gezeigt, dass in allen Schulformen starke und schwache Schüler sind, die verschiedene Kompetenzen haben. Das könnte man in einer eingliedrigen Schule besser vereinbaren und individuell auf die Schüler eingehen. Das Ganze kann man natürlich nicht von heute auf morgen umbrechen. Es ist eine Politik der kleinen Schritte. Da muss man – vielleicht mittels Modellschulen – gucken wie genau das Ganze vonstatten gehen kann.

Für Schüler mit Migrationshintergrund wollen Sie interkulturellen Unterricht einführen.

Ja. Jemand der der deutschen Sprache noch nicht so mächtig ist hat zwangsläufig in anderen Fächern auch Probleme. So etwas könnte man auffangen, indem man den Unterricht auch in anderen Sprachen anbietet, also etwa Mathematik in Türkisch durchnimmt – je nachdem, welcher Bedarf da ist.

Dafür bräuchte man aber auch das entsprechende Personal, zusätzliche Einstellungen.

Richtig. Mehr Lehrpersonal ist unabdingbar. Die Klassen müssen insgesamt kleiner werden, um mehr individuelle Förderung gewährleisten zu können.

Es ist ja immer schön zu sagen: Wir wollen investieren. Aber die Haushaltslage ist desolat. Wenn sich Sparen im Bereich Bildung verbietet – wo könnte und müsste dann gespart werden?

Gerade in den Kommunen ist man, was Einsparpotenziale angeht, inzwischen an Grenzen gestoßen. Die Kommunen müssen besser ausgestattet werden, um handlungsfähig zu bleiben – oder wieder zu werden. Ich glaube letztlich haben wir kein Sparproblem, sondern ein Einnahmeproblem. Wir sollten dringend daran arbeiten, mehr zu erwirtschaften.

Wie könnte das konkret passieren?

Es muss für Unternehmen attraktiv sein, sich hier anzusiedeln. Allerdings ist das nicht mein Spezialgebiet…

Was ist Ihr Steckenpferd?

Ich bin unterwegs im Bereich der Bildung, im Bereich der Transparenz, beim Verbraucherschutz – insbesondere Ernährung ist mir ein großes Anliegen. Der Verbraucher muss sich sicher sein können, dass er das kauft, was er denkt zu kaufen. Bei der Lebensmittelproduktion wird von Seiten der Industrie gerne geschummelt.

Auf ihrer Twitter-Seite im Internet bezeichnen sie sich selbst als Bio-Freak und Öko-Tussi. Wie äußert sich das?

Seit zwei Jahren ernähren meine Familie und ich uns fast ausschließlich biologisch. Außerdem habe ich einen Ökostromanbieter, beziehe auch das Gas mit einem Anteil an Biogas aus Ökoproduktion, achte darauf, wann ich das Auto brauche und wann nicht. Das sind viele kleine Dinge, die ich in meinem Alltag lebe.

In der Energiepolitik haben sich die Piraten für den Atomausstieg und für die Förderung regenerativer Energien ausgesprochen. In Kohlekraftwerken sehen sie keine Zukunft. Das wird man insbesondere in Lünen mit Interesse hören…

Wir sprechen uns grundsätzlich für ein Prinzip der Nachhaltigkeit aus. Das heißt, dass Kohlekraft nicht das Mittel zur Erzeugung von Strom sein kann – weil die Kohlevorräte endlich sind. Hinzu kommen die CO2-Ausstöße. Das ist nicht die Form von Energieerzeugung, die wir für förderungswürdig halten. Man sollte eher auf Blockheizkraftwerke setzen.

Also erteilen Sie dem Trianel-Kohlekraftwerk eine Absage.

Ja. Das Oberverwaltungsgericht hat das ja auch erstmal getan.

Nach den Erfolgen der letzten Wahlen traut man den Piraten viel zu. Was denken Sie: Was ist drin bei dieser Wahl?

Fünf Prozent plus x.

Was wollen Sie persönlich einbringen?

Von Anfang an mehr Transparenz. Das bedeutet, dass die Fraktionssitzungen öffentlich sind und ins Internet gestellt werden. Ich glaube dass dadurch die Hinterzimmerpolitik, wie sie gern betrieben wird, wegbricht. Dadurch sind die Menschen vielleicht auch wieder motivierter, sich am politischen Geschehen zu beteiligen.