Lünen. .
Joachim Timm, der zum zweiten Mal als Landtagskandidat für Die Linke antritt, hat beim Thema Politik ein spezielles „Klassenbewusstsein“: Der 65-Jährige Lüner unterrichtet das Fach an der Geschwister-Scholl-Gesamtschule – und zwar über den Zeitpunkt seiner Pensionierung im Februar 2013 hinaus.
Wie lange geht es denn bei Ihnen nun noch weiter mit dem Lehrerdasein?
Mein Antrag, ein halbes Jahr zu verlängern, ist von der Bezirksregierung befürwortet worden. Die Kids stehen sonst kurz vor ihrem Abschluss im zehnten Jahrgang vor einem Zeugnis, das über ihre weitere Karriere entscheidet, und bekommen dann plötzlich einen neuen Lehrer. Ich unterrichte Deutsch, Wirtschaft und Gesellschaftslehre – das ist eine Kombination aus Erdkunde, Geschichte und Politik.
Politik packt sie also trotz der sechs Prozent, die sie bei der Landtagswahl 2010 im Wahlkreis geholt haben, jetzt nicht so sehr, dass sie sagen: Das ist ein Punkt, an dem ich gut mit meinem Beruf aufhören kann?
Ich werde meinem Friedenskreis hier in Lünen treu bleiben. Ob ich etwas bildungsmäßig mache, das muss sich ergeben – das würde ich lieber machen, ehrlich gesagt, als Politik. Diese ewigen Reibereien und Streitereien, die es da gibt, das würde mich nerven. Ich bin, glaube ich, eher ein harmonischer Typ.
Es gab ja viel Unruhe im Stadtverband der Linken – Personaldebatten, Rücktritte...
Ich glaube schon, dass das nachschwingt und dass das unter anderem auch zu meiner vorsichtigen Antwort von gerade geführt hat. Streitereien, vor allem natürlich, wenn sie unter die Gürtellinie gehen, die sind nervig, und das muss ich mir nicht jahrelang antun. Kleine Parteien sind möglicherweise Anziehungspunkt für Leute, die meinen, sie könnten schnell da Einfluss gewinnen, die starke Schwerpunktnehmung auf Hartz IV bei uns macht möglicherweise die Partei tendenziell zu einer Ein-Punkt-Bewegung, und das wirkt entpolitisierend, da sieht man nur die eine Sache, und das andere, dass wir eine ganze Weltanschauung, ein ganzes Konzept haben, das fällt dann hinten runter.
Hat die Parteiarbeit konkret gelitten und leidet sie noch?
Wir sind um einiges weniger geworden. Dadurch fehlen nominell Kräfte. Wir sind ja kein eigener Ortsverband mehr, sondern, wie vorher, mit Selm und Werne verbunden. Ich meine aber, wir müssten auch hier vor Ort so eine Art Teilmitgliederversammlung einrichten. Wir müssen auf lokale Probleme auch relativ kurzfristig antworten können.
Wenn Sie jetzt unmittelbar politisch etwas verändern könnten, womit würden Sie anfangen?
Eine weitere Gesamtschule aufbauen. Oder beim Aufbau helfen. Ich bin ja sozusagen über 30 Jahre daran beteiligt. Ich habe mich ganz bewusst entschieden, Gesamtschullehrer zu werden. Ich finde, wir sorgen dafür, dass Kinder aus unterschiedlichsten sozialen Schichten einfach lernen, miteinander umzugehen. Wir tragen da auch zur Integration bei.
Wie würde sich das in Lünen umsetzen lassen?
Eine dritte Gesamtschule meinen Sie? Das ist eine gute Frage. Möglicherweise müssten es sogar noch zwei sein. Im Norden, da gibt es ja eh ein Schulzentrum, das könnte man ja auch zu einer integrierten Schule machen. Das Stein-Gymnasium sitzt der Geschwister-Scholl-Gesamtschule zu nah auf der Pelle – oder umgekehrt – und Brambauer hat das Problem, da nimmt die Schülerzahl enorm ab. Und Schüler, die weiter hochgehen wollen in die Sekundarstufe zwei und Abitur machen wollen, die wandern ab nach Waltrop. Wenn man da was Attraktives aufbauen würde, dann könnte man schätzungsweise 100 Schüler pro Jahr halten.
Ihre Kolleginnen und Kollegen von Gymnasien, Haupt- und Realschulen verteidigen ihre eigenen Schulformen. Sie fordern deren Abschaffung.
Ja. Ich sehe, das Gymnasium schnappt uns gute Schüler weg. Wenn wir eine gute Mischung haben, dann merke ich, wie gute Leute andere mitziehen können und eine Atmosphäre schaffen können, in der gearbeitet wird und nicht nur irgendein Blödsinn gemacht wird.
Was halten Sie von der Sekundarschule?
Ist zumindestens auch eine Stufe hin zur Integration. Ist natürlich weniger, als wenn man Sekundar und Primar integriert unter einem Schuldach. Könnte möglicherweise sehr aufs Abitur hin orientiert sein. Aber da habe ich keine praktischen Erfahrungen.
Gibt es kulturpolitische Ziele, die Ihnen wichtig sind?
Eine stärkere Vernetzung kleinster Initiativen und gegenseitige Unterstützung. Ich war mal Zirkusdirektor des Zirkus’ Gummiglatze unserer Schule. Eine Zeitlang durften wir einen Kulturbus der Stadt kostenlos nutzen. Und dann fuhren wir nach Brambauer in ein Altenheim oder sogar in den Dortmunder Norden, für Aufführungen. Dann plötzlich hieß es, ne, für Schulen gilt das nicht mehr. Da ist so eine kleine Sache. Man könnte doch durchaus sagen, lieber Theater-Dauerabonnent, du musst jetzt mal 2,50 Euro draufzahlen – dafür fördern wir Kleinkunst.
Was halten Sie von den Sparbemühungen der Stadt?
Die sind natürlich in einem Sachzwang, das ist klar. Die haben keine großen steuerlichen Einnahmemöglichkeiten, die Stadt ist nicht gesegnet mit Millionären, das sehe ich schon. Das Lippe Bad habe ich vor zwei Jahren für einen Protzbau gehalten, also für eine Prestigegeschichte, die unnötig Geld kostet. Ich bin da momentan – oder inzwischen – etwas unentschieden.
Lassen sich aus Ihrer Sicht Umwelt- und Energiepolitik verantwortungsvoll verbinden?
Ja. Hermann Scheer, ein sozialdemokratischer Genosse, der leider verstorben ist, sehr fähig, was Umweltpolitik angeht, hat gesagt, dass es durchaus möglich ist, sowohl die Atomkraftwerke abzuschalten als auch die Kohlekraftwerke zu reduzieren. Wenn Solartechnologie, Wasserkraftwerke und die Gewinnung durch Windenergie gefördert würden, wäre der Übergang durchaus machbar. Ich glaube, wir haben viel Energie, ich habe jedenfalls noch keinen Strom-Engpass bemerkt.
Was halten sie von der Piratenpartei?
Ich find’s deshalb gut, dass es sie gibt, weil sie viele junge Leute, unpolitische Leute, mobiliseren kann. Aber im Prinzip ist das auch eine Ein-Punkt-Bewegung. Freiheit im Internet, da habe ich meine Bedenken. Wenn ich zum Beispiel an Mobbing unter Schülern denke, da hätte ich schon irgendwie eine Kontrolle eingebaut. Dass die Partei sich nicht in eine Unterstützung von Mehrheiten einbauen lassen will, weil sie Sorge haben, dass sie sich dadurch auch ein Stück korrumpieren können, das finde ich eine sehr weise Überlegung.
Wie sehen Sie selbst denn Koalitionen?
Unsere finanzpolitischen Forderungen, etwa eine angehobene Vermögenssteuer, schaffen uns nicht viele Freunde. Mit der SPD ist es aber denkbar. Aber so eine Katastrophe fand ich’s nicht, dass es wechselnde Mehrheiten gab, man ist um eine stärkere Sachpolitik bemüht, weil man nicht von vornherein da irgendwelchen festen Blöcke hat, die zu allem Ja und Amen sagen. Sondern man muss gewinnen. Und so war’s ja auch, die Kita-Geschichten, die Studiengeld-Befreiung, haben sie zusammen mit uns im Landtag beschlossen.