Krefeld. . In den Plädoyers im Mirco-Prozess gab es am Montag nur eine Forderung: lebenslänglich. Selbst Olaf H.s Verteidiger plädierte für eine Verurteilung wegen Mordes, die Staatsanwaltin sah zudem eine besondere Schuldschwere. Und der Angeklagte - schwieg.

Sie halten ihn alle für einen Mörder, auch sein eigener Anwalt. Für den Mörder von Mirco, für den Mann, der einen Zehnjährigen entführte, missbrauchte, tötete. Niemanden gibt es an diesem Morgen vor dem Krefelder Schwurgericht, der noch eine andere Möglichkeit sähe für Olaf H. als „Lebenslänglich“. Was soll er da noch sagen?

Er hätte ein eigenes Schlusswort sprechen können. Die erwartete, gewünschte, ersehnte Antwort geben auf das “Warum?“. Doch es verliest sein Verteidiger Gerd Meister – einen Text von Gerd Meister.

Der Rechtsanwalt hat aufgeschrieben, was er glaubte, was sein Mandant sagen sollte am Ende dieses Prozesses. Dabei hat er selbst betont zu Beginn seines Plädoyers, er sei „nicht das Sprachrohr von Herrn H.“. Denn was der wirklich meint, kann auch Meister nur ahnen: „Er ist mir ein riesengroßes Rätsel.“ Nicht einmal er hat in langen Gesprächen ergründen können: „Wie kann ein Mann, der sein Leben lang seine Pflichten erfüllt hat und ein liebender Vater war, zu einer solchen Tat gekommen sein?“

Das Leid der Eltern in Worte fassen

Meister, der erleben musste, wie H. in den Wochen des Verfahrens „oft davor“ war, „sein Geständnis zu widerrufen“ (dessen Verlesung er im Juli ebenfalls seinem Verteidiger überlassen hatte), glaubt deshalb: „Dass Herr H. diese Tat selbst nicht zulassen kann. Sie passt nicht zu seinem Selbstbild.“ Von „Realitätsverlust“ ist die Rede.

„Schutzbehauptung“ nennt das später die Nebenklage-Vertreterin, Gabriele Reinartz. Sie spricht für die Eltern des Opfers, es ist ihre Aufgabe, deren Leid in Worte zu fassen. Mit bebender Stimme versucht sie, den Tattag aus Mircos Perspektive zu schildern, aus der Sicht des Kindes, das „nicht wusste, dass es sein Zuhause niemals erreichen würden“, das eine halbe Stunde lang in H.s Auto seinem Unheil entgegen fuhr, ahnend, „in welcher fürchterlichen Gefahr er sich befand“. „Abgegriffen“ habe der Täter den Zehnjährigen auf dessen Heimweg, “abgefischt“ und „ganz bewusst in Mirco sein Opfer gesucht – „wie ein Jäger auf der Pirsch“. Reinartz redet den Eltern zugewandt, Sandra Schlitter, die Mutter, weint.

Olaf H. gegenüber sieht müde aus. Oft schlägt der 45-Jährige die Augen nieder, nur einmal schaut er etwas unwillig: als Staatsanwältin Silke Naumann ihn einen „in höchstem Maße unredlichen und perfiden Charakter“ nennt. Gelogen habe er, erst vor der Polizei, später vor Gericht, dazu seinen Chef mitverantwortlich gemacht: Als Tatauslöser hatte H. immer wieder einen Streit mit seinem Vorgesetzten angeführt, der nachweislich nicht stattgefunden hat. Und bei all dem „gleichzeitig behauptet, den Eltern damit Gewissheit zu geben“.

„Mirco war kein zufälliges Opfer“

Von „Ausreden“ spricht die Anklägerin, von „Vorwänden“, und ist doch sicher: „Mirco war kein zufälliges Opfer.“ Vielmehr habe der Familienvater H. ein „unterlegenes und hilfloses Opfer gezielt gesucht“, den Mord „von Anfang an geplant“ und auch den Ort „sorgfältig ausgewählt“. Er habe „Allmachtsgefühle ausleben und den Jungen maximal erniedrigen“ wollen. Zwar hatte der Sachverständige am vergangenen Freitag ausgeschlossen, dass der Angeklagte über pädophile Neigungen verfüge, möglicherweise aber habe H. einen lange aufgestauten Sadismus ausgelebt.

Dafür, glaubt Staatsanwältin Naumann, habe er Mirco „aufgelauert“, im Auto die Schnur, mit dem er ihn später erdrosseln wollte, um den Missbrauch zu verdecken. Und das Messer, das er dem Kind in den Hals rammte, um sicher zu gehen, dass es auch wirklich tot war. Mord, schwere Freiheitsberaubung, sexueller Missbrauch eines Kindes, Nötigung – das alles könne nur eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen. Und auch die „besondere Schwere der Schuld“ sieht Silke Naumann, eben wegen der Lügen und weil die Tat „gut vorausgeplant“ gewesen sei.

Das Schlusswort liest der Verteiger vor

Verteidiger Meister muss daran natürlich Zweifel anmelden; er sieht sie nicht, die Merkmale der besonderen Schuldschwere, „die etwas so Schreckliches wie einen Mord noch schrecklicher machen“. Immerhin sei H. „bis dato ein rechtschaffener Bürger gewesen, in dessen Leben wir nichts entdecken konnten, das ihn zu einer Bestie macht“. Nun sei er „ein traumatisierter Mensch, der sein eigenes Leben weggeworfen hat“.

Und es nicht einmal schafft, das Schlusswort selbst zu sprechen: „Ich kann es nicht“, liest sein Anwalt vor. „Ich lebe in einem Alptraum, dem ich nie mehr entrinnen kann.“ Er selbst könne sich in der Tat nicht erkennen, verspreche aber, sich in der Haft damit auseinanderzusetzen. „Es tut mir unendlich leid.“ Und: „Ich erwarte keine Vergebung.“

Er hätte darum bitten können, diese beiden Menschen, die ihm gegenüber sitzen und ihn in diesem Augenblick ansehen, direkt und unverwandt: Sandra und Reinhard Schlitter, Mircos Eltern. Sie haben immer gesagt, sie würden ihm gern vergeben können. Sie warten. Er aber erwidert nicht einmal ihren Blick. Er kann nicht einmal das. (we)