Essen. Vom Gott in Weiß in die Unterwelt deutscher Gefängnisse: Professor Dr. med. Dr. hc. mult. Broelsch wird bald in Bielefeld-Senne vor dem Tor der Justizvollzugsanstalt stehen und den Weg in seine Zelle antreten. Der einst gefeierte Essener Chef-Chirurg erlebte einen steilen Abstieg.

Viereinhalb Jahre – so lange dauerte für Christoph Broelsch, den ehemals renommierten Chef-Chirurgen des Essener Universitätsklinikums, der Abstieg vom Olymp der Halbgötter in Weiß in die Unterwelt deutscher Gefängnisse. Voraussichtlich am Mittwoch, 19. Oktober, wird der in Düsseldorf wohnende Professor Dr. med. Dr. hc. mult. in Bielefeld-Senne mit seiner persönlichen Habe vor dem Tor der Justizvollzugsanstalt stehen und den Weg in seine Zelle antreten.

Was für ein Abstieg. „Leber-Papst“ wurde er genannt. Rühmte sich, Leibarzt und Skatbruder des damaligen Bundespräsidenten und NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) gewesen zu sein. Und als die Staatsanwaltschaft im Sommer 2007 gegen ihn ermittelte und er wenige Monate später vom Dienst in Essen suspendiert wurde, setzte sich sogar der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) bei NRW-Hochschulminister Andreas Pinkwart (FDP) „aus einer jahrelangen Bekanntschaft“ für den Mediziner als „eine überaus integre, überragende medizinische Kapazität“ ein.

Doch als das Landgericht Essen Broelsch am 12. März 2010 wegen Bestechlichkeit, Steuerhinterziehung, Nötigung und Betruges zu drei Jahren Haft verurteilte, brach die Fassade des ehrenwerten Spitzenmediziners zusammen. Von Raffgier zeugten seine Taten: Lebensbedrohlich erkrankten Patienten verlangte der Sohn eines evangelischen Pfarrers, der immer wieder seine christlichen Grundsätze betonte, bis zu 7500 Euro „Spenden“ ab, wenn er sie persönlich operieren sollte. „Bar und in kleinen Scheinen“ sollten sie zahlen – diesen Ausspruch des Arztes erwähnte sogar der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Pressemitteilung über das Verfahren.

Anklage auf Karl-May-Niveau

Vollmundig und arrogant hatte der Mediziner zum Prozessauftakt der Staatsanwaltschaft eine Anklage „auf Karl-May-Niveau“ attestiert. Zum Schluss sprach der Essener Richter Wolfgang Schmidt im Urteil von einem „absolut unerträglichen Verhalten“ des Arztes, und der BGH machte ein Jahr später den Deckel zu: rechtskräftig.

Jetzt sein Abstieg: Operieren darf er nicht mehr, nicht einmal mehr einen Patienten wegen Bauchschmerzen behandeln. „Der Herr hat keine Approbation mehr“, teilt die Sprecherin der Bezirksregierung auf Anfrage dieser Zeitung mit. Weitere Auskünfte gibt sie nicht. Da die Behörde aber erst wenige Wochen zuvor ein Verfahren eingeleitet hatte, um Broelsch die ärztliche Zulassung zu entziehen, dürfte er die Approbation selbst zurückgegeben haben.

Seine Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie hat er nach der Verurteilung gekündigt, bestätigt Sprecherin Corinna Spirgat. Probleme dürfte der Jäger ­Bro­­­elsch­ auch mit seinem Waffenschein bekommen, weil bei derartigen Verurteilungen Zweifel an der „Zuverlässigkeit“ des Schützen nahe liegen.

Von der Jagdgesellschaft ausgeschlossen

Selbst kleineren Steuersündern wird der Schein entzogen. Der gesellschaftliche Abstieg geht einher. Von Jägern ist zu hören, dass er zu Jagdgesellschaften im Umfeld der Essener Krupp-Stiftung, an denen er regelmäßig teilnahm, nach Prozessauftakt nicht mehr eingeladen wurde. Auch sein „Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“, das ihm 2004 Peer Steinbrück im Auftrag des Bundespräsidenten überreichte, müsste bald wieder in Berlin im Schrank liegen. Der Ex-VW-Vorstand Peter Hartz gab sein Verdienstkreuz „nach Rücksprache mit dem Bundespräsidialamt“ freiwillig zurück, nachdem er zu zwei Jahren Haft mit Bewährung verurteilt wurde.

Das Gnadengesuch, das ein niedersächsischer Finanzrichter und früherer Broelsch-Patient beim Bundespräsidenten eingereicht hatte, wird mittlerweile an der zuständigen Stelle bei der Gnadenbeauftragten am Landgericht Essen geprüft. Es sind sogar Gesuche von „mehreren Bittstellern“ eingegangen, teilt Mathias Kirsten, Sprecher des Landgerichts mit. Ob sie sich Hoffnung machen dürfen? „Das Gnadenrecht sieht keine Korrektur des Urteils vor. Es prüft lediglich, ob es seit der Verurteilung neue Entwicklungen gab, die eine Gnadenentscheidung rechtfertigen“, sagt Kirsten.

Beschäftigt ist er jetzt als Immobilienmakler

Anlass zur Gnade sieht die von Broelsch so oft gescholtene Essener Staatsanwaltschaft nicht. Anträge von Broelsch-Verteidiger Wolfgang Küpper-Fahrenberg, den Professor abweichend vom üblichen Verfahren direkt im komplett offenen Vollzug in der JVA Castrop-Rauxel unterzubringen, lehnte die Behörde ab, sagt Sprecher Willi Kassenböhmer.

Allerdings muss noch die Generalstaatsanwaltschaft Hamm über die Beschwerde des ehemaligen Arztes entscheiden. Falls die abgewiesen wird, muss Broelsch am 19. Oktober erst einmal in Bielefeld-Senne für etwa vier Wochen in den geschlossenen Knast. Dort wird geprüft, ob er für den offenen Vollzug geeignet ist.

Eine Voraussetzung, damit er seine Haftzeit nur nachts hinter Gittern verbringt, hat er erfüllt. Er kann nämlich einen Beruf vorweisen: Beschäftigt ist er jetzt bei einem Immobilienmakler. Der Spruch eines altgedienten Knackis, der die Vorteile des offenen Vollzugs aus seiner Sicht nennt, entspricht nicht ganz dem Niveau des Professors: „Super. Tagsüber bist du nicht im Knast und nachts nicht bei der Frau.“

Essener Starchirurg Broelsch muss drei Jahre ins Gefängnis

Prozessbesucher beobachten die Ankunft des Mediziners Dr. Christoph Broelsch. Foto: Matthias Graben
Prozessbesucher beobachten die Ankunft des Mediziners Dr. Christoph Broelsch. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Gefallener Star: Christoph Broelsch nahm das Urteil relativ gelassen auf... Foto: Matthias Graben
Gefallener Star: Christoph Broelsch nahm das Urteil relativ gelassen auf... Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
...hatte bei der Urteilsverkündung jedoch seine Augen geschlossen. Foto: Matthias Graben
...hatte bei der Urteilsverkündung jedoch seine Augen geschlossen. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Er wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Foto: Matthias Graben
Er wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Hier wartet Broelsch mit einem seiner Anwälte, Jürgen Pauly (rechts) auf das Eintreffen des Gerichtes. Foto: Matthias Graben
Hier wartet Broelsch mit einem seiner Anwälte, Jürgen Pauly (rechts) auf das Eintreffen des Gerichtes. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Der zweite Anwalt von Broelsch, Reiner Hamm. Foto: Matthias Graben
Der zweite Anwalt von Broelsch, Reiner Hamm. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Die XXI. große Strafkammer des Landgerichts Essen. Foto: Matthias Graben
Die XXI. große Strafkammer des Landgerichts Essen. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Abgang: Christoph Broelsch mit Verteidiger Jürgen Pauly nach einem Prozesstag Anfang Oktober 2009. Foto: Kerstin Kokoska
Abgang: Christoph Broelsch mit Verteidiger Jürgen Pauly nach einem Prozesstag Anfang Oktober 2009. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Urteil gesprochen: Die Berufsrichter der XXI. Essener Wirtschaftsstrafkammer mit dem Voorsitzenden Wolfgang Schmidt (Mitte). Foto: Matthias Graben
Urteil gesprochen: Die Berufsrichter der XXI. Essener Wirtschaftsstrafkammer mit dem Voorsitzenden Wolfgang Schmidt (Mitte). Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Die Staatsanwälte Hans-Joachim Koch (links) und Christian Bolik vertraten die Anklage. Foto: Klaus Micke
Die Staatsanwälte Hans-Joachim Koch (links) und Christian Bolik vertraten die Anklage. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Christoph Broelsch mit seinem Verteidiger Jürgen Pauly aus Frankfurt am Main. Foto: Matthias Graben
Christoph Broelsch mit seinem Verteidiger Jürgen Pauly aus Frankfurt am Main. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Christoph Broelsch mit Verteidiger Rainer Hamm.  Foto: Matthias Graben
Christoph Broelsch mit Verteidiger Rainer Hamm. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
In zahlreichen Akten lag der Prozesstoff in Sachen
In zahlreichen Akten lag der Prozesstoff in Sachen "Broelsch". Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Belastete seinen alten Chef: Der lange in Essen arbeitende Leberspezialist Massimo Malago, der jetzt in London an einer Klinik beschäftigt ist, mit seiner Rechtsanwältin Kämpfer. Foto: Stefan Wette
Belastete seinen alten Chef: Der lange in Essen arbeitende Leberspezialist Massimo Malago, der jetzt in London an einer Klinik beschäftigt ist, mit seiner Rechtsanwältin Kämpfer. Foto: Stefan Wette © WAZ FotoPool
Christoph Broelsch (rechts) im Gespräch mit Anwalt Jürgen Pauly vor einer Verhandlung am 2. Oktober 2009. Foto: Kerstin Kokoska
Christoph Broelsch (rechts) im Gespräch mit Anwalt Jürgen Pauly vor einer Verhandlung am 2. Oktober 2009. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Ulrich Coppel gehört zu den Unterstützern des Chirurgen und betrieb eine Homepage im Internet, auf der er Nachrichten im Sinne des Arztes veröffentlichte. Foto: Matthias Graben
Ulrich Coppel gehört zu den Unterstützern des Chirurgen und betrieb eine Homepage im Internet, auf der er Nachrichten im Sinne des Arztes veröffentlichte. Foto: Matthias Graben © WAZ FotoPool
Sah die Anklage als Zumutung an: Professor Christoph Broelsch. Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool
Sah die Anklage als Zumutung an: Professor Christoph Broelsch. Foto: Matthias Graben / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool
Engagiert auf dem Weg zu einer Pressekonferenz im Jahr 2000: Christoph Broelsch. Es ging um die Operation des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD), als dessen Leibarzt er galt. Foto: Kirsten Neumann/ddp
Engagiert auf dem Weg zu einer Pressekonferenz im Jahr 2000: Christoph Broelsch. Es ging um die Operation des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD), als dessen Leibarzt er galt. Foto: Kirsten Neumann/ddp © ddp
Christoph Broelsch berichtete auf einer Pressekonferenz am 24. Juli 2000 von der Operation des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD) im Essener Universitätsklinikum. Foto:Kirsten Neumann/ddp
Christoph Broelsch berichtete auf einer Pressekonferenz am 24. Juli 2000 von der Operation des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD) im Essener Universitätsklinikum. Foto:Kirsten Neumann/ddp © ddp
Prof. Dr. Christoph Broelsch am 27. Juli 1998 als Direktor der Chirurgie am Universitätsklinikum, kurz nach seinem Wechsel nach Essen. Foto: Remo Tietz
Prof. Dr. Christoph Broelsch am 27. Juli 1998 als Direktor der Chirurgie am Universitätsklinikum, kurz nach seinem Wechsel nach Essen. Foto: Remo Tietz © Remo Bodo Tietz NRZ
Die 1000. Lebertransplantation am Essener Universitätsklinikum: Christoph Broelsch (hinten rechts) am 29. März 2004 mit Ärzten, Patientin und ihrer Tochter. Foto: Oliver Müller
Die 1000. Lebertransplantation am Essener Universitätsklinikum: Christoph Broelsch (hinten rechts) am 29. März 2004 mit Ärzten, Patientin und ihrer Tochter. Foto: Oliver Müller © Oliver Müller NRZ
Christoph Broelsch am 11. Juni 2007 bei der Eröfffnung einer Tagung zum Thema Lebend-Transplantationen im Essener Messezentrum Süd mit dem Präses der evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider. Foto: Ulrich von Born
Christoph Broelsch am 11. Juni 2007 bei der Eröfffnung einer Tagung zum Thema Lebend-Transplantationen im Essener Messezentrum Süd mit dem Präses der evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider. Foto: Ulrich von Born © NRZ
Der damalige Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) überreichte dem Chirurgen Christoph Broelsch 2004 das Bundesverdienstkreuz.
Der damalige Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) überreichte dem Chirurgen Christoph Broelsch 2004 das Bundesverdienstkreuz. © Fremdbild
Christoph Broelsch als engagierter Redner 2007- Foto: Ulrich von Born
Christoph Broelsch als engagierter Redner 2007- Foto: Ulrich von Born © NRZ
Christoph Broelsch beim WAZ-Interview am 6.Juni2007 nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Foto: Kerstin Kokoska
Christoph Broelsch beim WAZ-Interview am 6.Juni2007 nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Foto: Kerstin Kokoska © waz
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