Kempten/Paderborn. . Sie steckten in den Gondeln am Tegelberg fest: Eine Familie aus Paderborn und ein Duisburger erinnern sich an die Stunden der Angst in luftiger Höhe.
Zwei Gondeln, zwei Dramen: Mehr als 50 Menschen erleben am Tegelberg im Allgäu Stunden voller Angst und Schrecken. Ein Gleitschirm ist in das Tragseil gesegelt und hat beide Gondeln lahmgelegt. In der einen Bahn warten 20 Menschen über 18 Stunden auf ihre Rettung am Samstagmorgen. Darunter eine dreiköpfige Familie aus Paderborn. In der anderen Bahn müssen 32 Touristen über sechs Stunden ausharren, bevor sie endlich befreit werden. Unter ihnen der Duisburger Jürgen Jobst.
18 Stunden lang eingepfercht auf engstem Raum, noch dazu in schwindelerregender Höhe. Wie hält man das aus? Für das „Westfalen-Blatt“ erinnern sich die Paderborner Roman Schesternin (27), seine Lebensgefährtin Djamila Radshalova (25) und seine vierjährige Tochter Emilia an die schlimmsten Stunden ihres Urlaubs. „Wir wollten nach der Fahrt mit der Bergbahn noch kurz an den See und dann nach Hause fahren“, sagt der Wirtschaftswissenschaftsstudent.
"Das war ein scheußliches Gefühl"
Niemand ist beunruhigt, als die Gondel gegen 13 Uhr plötzlich abbremst. „Es sollte nach kurzer Zeit weitergehen.“ Doch es geht nicht weiter, und in der nur zwölf Quadratmeter kleinen Kabine macht sich Unruhe breit. „Wenn ein Hubschrauber in die Nähe kam, hat die Gondel geschaukelt. Das war ein scheußliches Gefühl“, sagt Djamila Radshalova. Als die Dämmerung einbricht, ist allen klar, dass sie die Nacht über dem Abgrund verbringen müssen. Ihre Notdurft verrichten die Eingeschlossenen durch eine Luke im Boden.
Gegen 22 Uhr hangelt sich ein Retter der Bergwacht in die Gondel und bringt Süßigkeiten und Brot mit. Über die Schokolade freut sich vor allem Emilia, die Jüngste in der Gondel. In der Nacht macht kaum jemand ein Auge zu. „Es wurde viel geredet, dann aber auch wieder geschwiegen“, erzählt Roman Schesternin. Einige versuchen es sich auf dem harten Boden bequem zu machen, einzige Sitzgelegenheit ist ein Holzstuhl. „Es war ein ständiger Wechsel zwischen Hoffen und Bangen. Mir schossen sogar Gedanken in den Kopf, dass wir hier nicht mehr lebendig rauskommen“, sagt die Frau aus Paderborn.
Weinen nach der Rettung
Als es hell wird, läuft die Rettung an. Djamila Radshalova wird als Erste per Seilwinde in einen Hubschrauber gehievt, dann folgt Tochter Emilia, dann der Lebensgefährte. „Unten sind wir uns in die Arme gefallen. Ich konnte nicht anders, ich musste weinen“, sagt die 25-Jährige. Mit 18 Stunden Verspätung treten die drei am Samstag ihre Heimreise nach Ostwestfalen an.
Jürgen Jobst steckt in der anderen Gondel, als der Gleitschirm alles zum Stillstand bringt. Der 50-jährige Duisburger ist ein besonnener Mann. Selbst die sechseinhalb Stunden Gefangenschaft auf engstem Raum können ihn nicht umhauen. Er tröstet seine Mitreisenden, bleibt gelassen, so gut es geht, reißt auch mal einen Witz. „Galgenhumor hilft in solchen Situationen“. Jobst erklärt sich bereit, bis zuletzt in dem schwebenden Gefängnis auszuharren. 32 Mann in der für 38 Menschen ausgelegten Gondel stehen Schulter an Schulter. „Wir konnten uns kaum bewegen oder mal setzen“, sagt Jobst.
Immer wieder schlägt die Stimmung um
Die Stimmung schlägt immer wieder um. Mal spricht keiner, mal klagen Verzweifelte, mal weinen Frauen, mal kläffen zwei Hündchen. Es wird immer wärmer, die Sonne knallt auf die Seilbahn. „Als erste sollten die Kinder und Frauen abgeseilt werden und die, die dringend zur Toilette mussten oder die, die die größte Angst hatten.“ Im Gegensatz zu den Passagieren aus der anderen Gondel müssen der Duisburger und seine Mitgefangenen nicht bis zum nächsten Morgen auf eine Hubschrauberrettung warten, sie können nach Stunden abends abgeseilt werden. 70 Meter tief geht es runter. „Durch die offene Gondeltür zu treten, nur an einem fingerdicken Seil hängend, das war der schlimmste Moment.“
Zwei Wochen hält sich der Duisburger zur Kur in Bayern auf. Er ist im Allgäu geblieben – und will sogar wieder in eine Gondel steigen, in DIE Gondel. „Da muss ich durch. Das ist die beste Therapie: Nicht lange warten, sondern sofort wieder rein in die Bahn.“