Essen. . Die Lebenserwartung ist im Ruhrgebiet deutlich niedriger als im Münster- oder im Rheinland. Ein Gelsenkirchener Mann stirbt im Schnitt fünf Jahre früher als ein Bonner. Experten führen diese Unterschiede auf soziale Probleme zurück: „Arme sterben früher“, sagen sie.
Ruhrgebietsbürger sterben im Schnitt deutlich früher als Menschen im Münster- oder im Rheinland. Der Unterschied beträgt bis zu fünf Jahre bei Männern. Deren statistische Lebenserwartung liegt zum Beispiel in Bonn bei 79,3 und in Gelsenkirchen bei 74,6 Jahren. Der Unterschied ist so groß, dass sogar der übliche Abstand zwischen der Lebenserwartung von Frauen und Männern verschwindet. Heißt: Männer in Bonn leben im Schnitt so lange wie Frauen in Gelsenkirchen: 80 Jahre.
Die Daten, die das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (Liga) und Wissenschaftler der Ruhr-Uni-Bochum gesammelt haben, unterstreichen den Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Wohnort. „Arme sterben früher“, sagt der Bochumer Soziologe Peter Strohmeier. Arbeitslosigkeit, schlechtere Wohnquartiere, mehr Emissionen – all das führe zu diesen „bemerkenswerten Unterschieden.“ Besonders niedrig ist die Lebenserwartung dort, wo vergleichsweise viele Menschen in prekären Verhältnissen leben: in Gelsenkichen, Oberhausen und Duisburg. Männer werden dort im Schnitt 75, Frauen 80 Jahre alt. Zwischen drei und fünf Jahren länger leben die Bürger in Bonn, Münster und Paderborn.
Mehr „vermeidbare Todesfälle“
„Das heißt natürlich nicht, dass jemand, der von Paderborn ins Revier zieht, ein kürzeres Leben riskiert. Aber im Ruhrgebiet gibt es vergleichsweise viele Menschen mit größerem Gesundheitsrisiko“, sagt Annette Jurke vom Institut Liga. Im Ruhrgebiet beobachten Experten bis zu 70 Prozent mehr „vermeidbare Todesfälle“, etwa durch Lebererkrankungen, als im Landesschnitt. In Herne, Gelsenkirchen und Dortmund raucht jeder dritte Erwachsene, in Münster nur jeder fünfte. Der Anteil Lebendgeborener mit geringem Geburtsgewicht (unter 2500 Gramm) und die Säuglingssterblichkeit sind in einzelen Ruhrgebietsstädten ebenso erhöht wie der Anteil übergewichtiger Personen, heißt es in einer Antwort des NRW-Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Stefan Romberg. Das Institut Liga beobachtet „seit vielen Jahren eine Häufung negativer gesundheitlicher Entwicklungen, vor allem in den Kernstädten des Ruhrgebiets.“
Der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit ist schon bei den Kleinsten zu sehen. „Im Essener Süden sind zwei Drittel bis drei Viertel der Kinder vor der Einschulung gesund, in nördlichen Stadteilen sind es zum Teil nur zehn Prozent“, erklärt Peter Strohmeier.
„Sozialäquator“ A 40
Der Mülheimer Stadtforscher Volker Kersting, der mit Strohmeier zusammen gearbeitet hat, stellt fest: „Die A 40 ist so etwas wie ein Sozialäquator. Nördlich der Autobahn liegen viele Gebiete, in denen die Bevölkerung wesentlich ärmer ist als im Landesschnitt. Dort ist die Lebenserwartung niedriger, dort lassen sich auch gravierende Unterschiede bei der Kindergesundheit feststellen. Die Schuleingangsuntersuchungen zeigen: Kinder in diesen Stadtteilen haben mehr häufiger Übergewicht, geringere Sprachkompetenz, sind gesundheitlich schlechter versorgt und häufiger förderbedürftig.“