Dorsten. . Naef A. wurde Karfreitag 2010 als Bundeswehr-Soldat in Afghanistan bei einem Taliban-Angriff schwer verwundet. Ein Jahr danach spricht er über den Vorfall. Und er sagt, dass er wieder an den Hindukusch gehen würde.

Naef A. wurde Karfreitag 2010 als Bundeswehr-Soldat in Afghanistan bei einem Taliban-Angriff schwer verwundet. Ein Jahr danach spricht er über den Vorfall. Und er sagt, dass er wieder an den Hindukusch gehen würde.

Naef A.* (27), Oberfeldwebel des Fallschirmjägerbataillons 373 in Seedorf, stand am Karfreitag vor einem Jahr mit drei Kameraden auf einem Feld bei Isa Khel in Afghanistan, als plötzlich Schüsse fielen. Kaum eine Stunde später waren drei deutsche Soldaten tot, acht (darunter der Dorstener) verletzt. Es war das bis heute schwerste Gefecht von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. Ein Jahr danach spricht er mit der WAZ über diesen Moment und wie er sein Leben verändert hat. Der Zeitsoldat (verpflichtet für zwölf Jahre) ist wieder im Dienst und will innerhalb seiner Verpflichtung Berufssoldat werden. Er würde auch wieder nach Afghanistan gehen. „Zwar nicht ohne Probleme. Aber ich würde gehen.“

Was ist bei Isa Khel passiert?

Unser Auftrag lautete, mit Pionieren eine Straße von improvisierten Sprengkörpern zu räumen und Feindaufklärung zu betreiben. Die Lage war wie immer. Mehr oder minder angespannt. Ich habe eine fliegende Drohne mit einer Kamera gesteuert, die abgetrieben wurde. Ein Spähtrupp sollte das Gerät wieder finden. Wir gingen zu viert über ein Feld, als wir angegriffen wurden.

Auch interessant

Berichtet wurde damals von 80 Angreifern . . .

Ich habe auch gehört, es waren 200 oder 300. Ich bin mir nicht sicher. Man sieht die Taliban nicht, nur das Feuer aus Maschinengewehren und Panzerfäusten. In dem Moment haben wir abgespult, was wir gelernt haben. Nicht kehrt machen und wegrennen. Das wäre tödlich. Drei schießen, einer weicht aus. Immer im Wechsel. Ein Kamerad erhielt einen Helmtreffer. Ich wurde in die Beine geschossen. Rechts gingen zwei Projektile durchs Fleisch. Zum Glück wurde keine Arterie getroffen, sonst wäre ich dort auf dem Acker verblutet. Links erlitt ich einen Streifschuss an der Ferse, der den Knochen beschädigt hat. Der Kamerad, der den Helmtreffer erlitten hat, ließ sich nach der Rettung kurz verarzten und ist dann wieder ins Gefecht gegangen. 46 Minuten später war er tot.

Sie lagen verletzt auf dem Feld. Was denkt man in so einer Situation?

Erstmal: Scheiße. Die Schmerzen. Man denkt nach über sein ganzes Leben. Ob man dort sterben wird oder gefangen genommen. Ob verletzte Kameraden durchkommen. Ich hatte ja als Gruppenführer die Verantwortung.

Sie haben in dem Moment an Verantwortung gedacht ?

Ja. Der Kopf darf nicht ausschalten.

Wie sind sie aus der Lage herausgekommen?

Als wir Feuerüberlegenheit hatten, sind Kameraden vorgekommen und haben mich ‘rausgezogen, hinter die Deckung. Nach gefühlten fünf Stunden. Real waren das 30 bis 40 Minuten. Meine Wunden hat ein Rettungsassistent verarztet. Der Mann ist im weiteren Verlauf der Gefechte erblindet. Ich wurde ‘rausgetragen, zum Hubschrauberlandeplatz gefahren und von Amerikanern ausgeflogen, erst nach Kundus, dann nach Masar i Sharif und schließlich nach Koblenz. Ostern war ich wieder in Deutschland.

Sie waren der erste Verletzte bei diesem Angriff, der dramatische Ausmaße annahm.

Das weiß ich aber nur aus Erzählungen. Die Kameraden wurden weiter beschossen. Unser Zug ist nach hinten ausgewichen und dabei ist ein Fahrzeug auf einen Sprengsatz gefahren. Bei der Explosion starben zwei Kameraden. Ein dritter wurde tödlich getroffen, schon als wir auf dem Feld angegriffen wurden.

Das Attentat auf ihren Zug hat die Republik verstört. War Ihnen die Bedeutung dieses Ereignisses sofort klar?

Das habe ich noch in Masar i Sharif realisiert. Als ich gehört habe, dass drei Kameraden gefallen sind.

Sie kannten die drei?

Natürlich. Wir waren in Seedorf und im Einsatz in der gleichen Einheit. Das waren drei gute Freunde. Da ist eine Welt für mich zusammen gebrochen. Zu den Familien habe ich damals schnell Kontakt aufgenommen, um sie zu informieren und wir stehen nach wie vor in enger Verbindung. Zuletzt haben wir uns am 2. April gesehen, dem Jahrestag des Anschlags, bei einer Trauerfeier. Zu Hause habe ich Bilder der gefallenen Kameraden hängen.

Wie präsent ist das Geschehen in Ihrem Alltag?

Ich denke fast täglich daran. Aber es wird weniger lebensbestimmend. Meine Lebensgefährtin hat mir sehr geholfen. Ohne sie hätte ich das alles nicht so verarbeiten können. Ich bin wieder im Dienst. Aufgrund meiner Verletzung aber noch „Dienst nach eigenem Ermessen”. Bis mein Fuß wieder richtig funktioniert Anfangs fiel es mir schwer, über den Anschlag zu reden. Außer mit Kameraden, die dabei waren, die auch im Krankenhaus lagen. Die wussten, wie es da ist in Afghanistan. Wie es da riecht. Wie die Menschen sind. Und jetzt spüre ich ein Bedürfnis, darüber zu reden. Um zu informieren. Um Solidarität mit meinen Kameraden zu zeigen.

Auch interessant

Haben der Anschlag, ihre Verwundung und die Erfahrung der Todesgefahr Ihr Leben verändert?

Natürlich. Vieles, worüber ich mich früher aufregen konnte, ist nicht mehr so wichtig. Ich verbringe mehr Zeit mit der Familie und mit meiner Tochter, die bald vier wird.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Es gab Menschen, die darüber reden wollten und Menschen, die das Thema gemieden haben. Heute sind sich meine Freunde einig. Wenn ich noch einmal in so einen Einsatz gehe, gibt es ein paar Kopfschellen. Aber die kennen meine Einstellung.

War das Ihr erster Einsatz in Afghanistan? Was hat Sie überhaupt zur Bundeswehr gebracht?

Ja, das war mein erster Auslandseinsatz und ich war seit einem Monat da. Wir waren gut vorbereitet. Kameraden aus dem Vorkontingent haben ihre Erfahrungen geschildert. Wir konnten uns einstellen auf Gefechte.

Mein Weg zur Bundeswehr? Ich habe erst Installateur gelernt, hier in Dorsten. Und dann musste und wollte ich meinen Wehrdienst leisten. Bei der Musterung habe ich Broschüren gelesen über längere Dienstzeiten und gedacht, das ist was für mich. Ich habe mich für zwölf Jahre verpflichtet. Zuerst wollte ich Hubschrauberpilot werden. Aber die Grenze dafür ist 1,96 Meter. Und ich bin genau 1,96 Meter groß. Dann bin ich zu den Fallschirmjägern gegangen.

Mit welchen Gefühlen sind Sie nach Afghanistan geflogen?

Mit gemischten Gefühlen. Ich habe mich einerseits gefreut, anwenden zu können, was wir gelernt haben. Mir war aber auch bewusst, dass dort Kameraden ihr Leben gelassen haben.

Der Einsatz ist in Deutschland umstritten. Lange wurde diskutiert, ob man dazu überhaupt Krieg sagen darf. Sie müssten sich doch fragen, wofür Sie dort kämpfen? Welche Antwort haben Sie für sich auf diese Frage gefunden?

Für jemanden, der im Graben angeschossen wird, kann der Afghanistan-Einsatz nichts anderes sein als Krieg. Wofür und warum ich kämpfe? Weil man’s befohlen bekommt. Wenn nicht ich, dann wäre jemand anders hingegangen. Für mich ist auch die Verbundenheit mit den Kameraden wichtig. Mit denen will ich da hin und die will ich auch wieder heil ‘rausbringen. Wir bewegen auch etwas in Afghanistan. Wir werden in Dörfern von jubelnden Kindern begrüßt. In der Nähe von Isa Khel gibt es eine Mädchenschule, in der unterrichtet wird. Das ist ein Fortschritt, der mit uns zu tun hat.

Sie sind dem Tod von der Schüppe gesprungen. Ihre Einstellung zur Bundeswehr hat das nicht verändert?

Meine Dienstzeit endet 2016, wenn ich kein Berufssoldat werde. Ich habe mich nach der Verletzung von der Bundeswehr größtenteils gut getragen und unterstützt gefühlt. Das war ein guter Rückhalt. Ich wurde mehrfach eingeladen in den Verteidigungsausschuss des Bundestages, zum Wehrbeauftragten, zum Verteidigungsminister und zum Generalinspekteur. Meine Meinung wurde gefragt.

Sie sind gebürtiger Dorstener . . .

Jordanier. Ich bin mit drei Jahren nach Dorsten gekommen, habe hier meine Jugend verbracht, Fußball bei Rot-Weiß gespielt, bin in der Johanneskirche konfirmiert worden. Seit kurzem lebe ich in Gelsenkirchen.

Konfirmiert in der Johanneskirche – hat Ihnen der Glaube in Isa Khel geholfen?

(zieht eine silberne Kette mit einem Kreuz aus dem Kragen) Ich glaube an Gott. Und in der Situation vor einem Jahr habe ich gebetet. Aber da würden selbst Nichtgläubige gläubig