Brüssel. Ein Sexualstraftäter in Belgien will nicht nach 30 Jahren Haft länger hinter Gittern leben - jetzt bekommt er das Recht zu sterben. Der 50-Jährige leide unter einem schweren psychischem Defekt. Sein Anwalt sagt: Er hat es sich sehr gut überlegt.

Einmal in fast 30 Jahren war Frank Van Den Bleeken draußen: Als seine Mutter beerdigt wurde, bekam er Ausgang. Ein einziges Mal. Denn Van Den Bleeken ist sich sicher: Es ist zu riskant. „Ich bin eine Gefahr für die Gesellschaft!“ Deswegen will er sterben. Der Staat, in dessen Obhut er sich befindet, soll ihm das ermöglichen.

Als junger Mann vergewaltigte der heute 50-Jährige im Raum Antwerpen mehrere Frauen. Eine 19-Jährige kam dabei ums Leben. Er wird gefasst, vor Gericht gestellt und verurteilt. Doch der Richter bescheinigt ihm einen schweren psychischen Defekt – er sei unfähig, seinen Sexualtrieb zu kontrollieren. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist er nun in Sicherheitsverwahrung, in der Psychiatrie des Gefängnisses im flämischen Turnhout. „Ich sitze hier in einer Art Sarg, um darauf zu warten, dass ich sterbe.“

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Denn Van Den Bleeken hat keine Hoffnung, sich jemals aus seiner Lage befreien zu können. „Wir haben in den vergangenen Jahren viele Psychiater getroffen“, sagt Van Den Bleekens Anwalt Jos Vander Velpen: „In einem Punkt waren sie alle derselben Meinung: Mein Klient leidet unerträglich, und Hilfe ist nicht möglich.“

Tötung vor drei Jahren beantragt

Vor drei Jahren beantragte er bei der staatlichen Euthanasie-Kommission seine Tötung. Voraussetzung ist, dass drei Psychiater dem Antragsteller unerträgliches Seelenleid bescheinigen und sich ein Arzt findet, der die Hilfestellung praktisch leistet. Außerdem müssen alle Therapie-Möglichkeiten ausgeschöpft sein. Letzteres ist in diesem Fall fraglich: Zwar sind die belgischen Ärzte am Ende ihres Lateins. Das Pieter-Baan-Centrum im niederländischen Utrecht verfügt indes noch über eine alternative Behandlungsmethode.

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Eine Sprecherin des Justizministeriums bestätigte, dass der Mann in einem Krankenhaus sein Leben beenden dürfe. „Mein Klient kann für 48 Stunden in ein Krankenhaus verlegt werden, um von seiner Familie Abschied zu nehmen und auf eine menschenwürdige Art zu sterben“, so Rechtsanwalt Vander Velpen. Dieses Arrangement muss am 29. September noch vom Berufungsgericht in Brüssel formell zur Kenntnis genommen werden. Wann Van Den Bleeken dann den Freigang in den Tod antreten werde, ist nach Angaben seines Anwalts offen.

Mit Kameras ausgestattete Räume

In Deutschland ist ein solcher Fall nicht vorstellbar. „Die Tötung auf Verlangen ist nach Paragraf 216 StGB strafbar – und zwar ausnahmslos“, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Anfrage dieser Zeitung. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist zwar nicht strafbar. „Aber der Staat muss den Suizidwunsch eines Gefangenen nicht aktiv unterstützen.“

In deutschen Gefängnissen ist das Personal angehalten, Insassen mit Selbsttötungs-Absicht besonders genau zu beobachten. In der Regel gibt es für diese Häftlinge spezielle, mit Kameras ausgestattete Räume, in denen sich die Insassen nicht gefährden können. Dennoch kommt es immer wieder zu Suiziden.

Prof. Eckhard Nagel, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Essen und Mitglied des Nationalen Ethikrates, merkt an, dass der Fall „fundamental den bisherigen Normen des ärztlichen Handelns und des Strafvollzuges widerspricht“.