Essen. Sein Roman-Debüt "Grenzgang" wurde mit dem aspekte-Literaturpreis 2009 ausgezeichnet und steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2009. Im Interview erklärt der Schriftsteller Stephan Thome warum er den umstrittenen Dialog mit China für zwingend notwenig hält.
Herr Thome, war die Einladung Chinas zur Frankfurter Buchmesse richtig?
Stephan Thome: An dem Dialog kommen wir nicht vorbei. Man kann das Land ausgrenzen, das fühlt sich sicherlich gut an: Dann kann man sagen, ihr habt eure Hausaufgaben nicht gemacht, ihr unterdrückt eure Bürger. Aber konstruktiv ist das nicht. Der Eiertanz, der sich nun entspinnt, ist bedauerlich, aber ein bisschen habe ich das Gefühl, dass wir ihn einfach tanzen müssen.
Es gibt zwei Argumentationslinien: Müssen die Chinesen sich anpassen? Oder verstehen wir eine Kultur falsch, die den Gast-Status anders interpretiert?
Thome: Letztlich ist beides richtig: Die Chinesen müssen sich ändern. Und wir müssen verstehen, dass sie sich langsamer ändern werden, als wir das gerne hätte. Es werden in sorgsamen Dosen demokratische Elemente in das System eingeführt, aber natürlich wird das Einparteiensystem auf absehbare Zeit Bestand haben.
Die chinesische Regierung aber betont, dass sie sich nicht „belehren” lassen will.
Thome: Dennoch weiß sie, dass sie in einem Lernprozess begriffen ist. Die Chinesen unterhalten Kontakte, in Deutschland etwa zu den Gewerkschaften, durch die die Entwicklung zur Zivilgesellschaft gefördert wird. Vordenker in der kommunistischen Partei wissen, dass ihr Machtanspruch sich nicht auf ewig erhalten lässt.
Und das chinesische Volk?
Thome: Es gibt im Moment keinen richtigen Druck aus der Gesellschaft – wenn man von den Dissidenten absieht, die in China kaum einer kennt. Diejenigen, von denen wir glauben, sie müssten sich für Demokratie einsetzen, sind relativ zufrieden, weil sie so stark profitieren vom Aufschwung.
Aber die Probleme kritischer Autoren sind real.
Thome: Natürlich. Chinesische Autoren beschreiben das Zensursystem als komplex. Es gibt einige Tabus und Sprachregelungen, die zum Beispiel die Taiwan-Frage betreffen. Und daneben gibt es Grauzonen, so dass Autoren oft nicht vorhersehen können, ob sie mit ihren Texten Probleme bekommen werden oder nicht. Und welche Probleme genau: Publikationsverbot, Werbeverbot, persönliche Repressalien . . . Manchmal schaffen es kritische Texte in Nischen und finden so eine Verbreitung.
Auch ein veröffentlichtes Werk kann subversiv sein?
Thome: Das ist ja eine alte Kunst in China, sich so mitzuteilen, dass es nicht als Kritik wahrgenommenn wird und von den Lesern doch verstanden.
Auch der Ost-West-Dialog begann ja früher, als wir heute wahrnehmen.
Thome: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam China massiv in Kontakt mit westlicher Kultur – durch deren Expansion. Sie hat China aus seiner Isolation und aus seinem Selbstverständnis als Reich der Mitte herausgezwungen. Das war eine schockartige Erfahrung für China, das Kaiserreich brach zusammen, es gab Bürgerkriege. Und erregte Debatten um die Frage, warum sind wir so rückständig? Daraus entstand das Interesse, die Grundlagen der westlichen Kultur zu verstehen.
Inwieweit spielt die Geschichte derzeit eine Rolle?
Thome: Das koloniale Erbe ist den Chinesen sehr bewusst und erklärt ein wenig, warum sie jetzt so reagieren. Das haben wir nicht auf der Rechnung, allerdings zum Teil auch zu Recht: Die Menschenrechtsverletzungen sind eklatant, die Arbeitslager grausam. Um das festzustellen, braucht man kein historisches Wissen. Aber der Ton der Unterhaltung – mit wie viel Verständnis, wie viel Hintergrund man ihnen begegnet, das spüren die Chinesen. Das macht einen Unterschied für die Art des Dialogs.