Essen. „Die Sterne“-Sänger Frank Spilker spricht im Interview über benachteiligte Musik, den Ruf als Kultband und wieso das neue Album Grandezza heißt.
„Die Sterne“, die bis heute für Indie stehen, gibt es jetzt schon seit 30 Jahren. Sänger Frank Spilker, der sich mit seiner Musik stets in unterschiedlichen Genres bedient hat, schaut zufrieden zurück. Im Interview mit unserer Sonntagszeitung spricht der 57-Jährige über die Geschichte der Band, den Begriff Hamburger Schule und das neue Album „Grandezza“, auf dem Hits aus der Bandgeschichte präsentiert werden.
Herr Spilker, wie blicken Sie auf die 30 Jahre zurück?
Frank Spilker: Ganz ehrlich? Ich schaue gar nicht so sehr zurück. Es kommt natürlich vor wie bei dem Sampler oder meinem Buch mit den Songtexten. Dann beschäftigt man sich schon noch mal mit dem ganzen Kram und lässt Revue passieren, was alles geschehen ist und wie sich die Sichtweise auf die Musik verändert hat. Das finde ich auch spannend. Aber wenn es keinen Auftrag gibt, blicke ich gar nicht so sehr zurück. Ich denke viel mehr darüber nach, was jetzt noch kommen kann.
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Und was kann noch kommen?
Vielleicht ein Buch oder Theater. Ich beschäftige mich gerade sehr mit den 1920er-Jahren und Friedrich Hollaender, weil sich damals und heute ähneln. Das sind meine Überlegungen, und am Ende kommt meistens eine Sterne-Platte dabei raus. (lacht) Das ist einfach das mächtigste Organ. Ich habe jetzt schon Ideen für eine nächste Platte. „Die Sterne“ sind meine Startrampe für alles.
Wie kam es eigentlich zu dem Bandnamen „Die Sterne“?
Eine witzige Geschichte. Die Schülerbands, in denen ich spielte, haben immer ihren Namen geändert, wenn ein neues Mitglied dazu kam. Die letzte Inkarnation von diesen Schülerbands hieß „Die Sterne“. Eigentlich wollte ich etwas Neues machen, als ich nach Hamburg kam. Aber meine zwei Kollegen Thomas Wenzel und Frank Will und später Christoph Leich wollten unbedingt diesen Namen weiterführen, obwohl es eine komplette Umbesetzung gab. Damit war der Tabu-Bruch begangen. Ich bin die einzige Konstante, und der Bandname wird weiter gepflegt.
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Und warum lautet der Albumtitel „Grandezza“?
Der Titel ist deshalb so brillant, weil er ein wenig im Widerspruch steht zu unserem Image als lakonische Beschwerdeführer mit nöligem Charme. Auf dem Cover glitzern Sterne in schwarz-weiß, und wenn man die Scheibe auf den Plattenteller legt knistert es erst ein wenig und dann kommt nur noch „Grandezza“.
In der Presseinfo steht, dass Ihr immer eine Band gewesen seid, die als höflich und bescheiden galt. Damit ist es jetzt vorbei. Warum?
Das ist eine provokative Geschichte. Es ist nicht damit vorbei. Es liegt nicht in unserer Hand, wie man die Band wahrnimmt. Aber der Auftritt mit diesem Album soll „Grandezza“ haben. Und das ist das Gegenteil von bescheiden. Ich bin stolz darauf, dass unsere Songs würdevoll altern. Die Sterne lassen sich ganz gut andocken an internationale Phänomene. Das liegt zum einen daran, dass die Songs stets über die Tagesaktualität hinaus gegangen sind. Zum anderen hat die Band ihren Sound immer weiter entwickelt. Das Ganze mit einem Ohr darauf, was sich auf der internationalen Bühne im Pop oder Indie Bereich so tat. Wir sind also nicht einfach eine Neunziger-Crossover- oder Grungeband geblieben. Das kann man anhand der Platte sehr gut nachvollziehen.
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Was bedeutet Ihnen heute die Band?
Ich hatte es schon angesprochen. Ich denke mir alle möglichen Projekte aus, und am Ende landet alles wieder bei den Sternen. Weil das die größte Kraft ist von dem, was ich mache. Da schließt sich der Kreis immer wieder, und das bedeutet mir viel. Das ist sehr schön.
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„Die Sterne“ waren nie eine typische Radioband, sondern immer Indie. Sind Sie froh darüber?
Das Ziel ist immer, dass man mit Musik etwas ausdrücken kann und die Menschen damit erreicht. Die deutsche Musiklandschaft ist weniger abwechslungsreich als der englischsprachige Markt. Es gibt halt ein kleineres Publikum. Man landet in Deutschland leider immer bei einer Mainstream-Musik wie Schlager oder Singer/Songwriter-Pop. Genau das wollen wir nach wie vor nicht. Deswegen sind wir erfolgsmäßig etwas benachteiligt. Viele verstehen nicht, warum wir das so lange schon machen. Und es kommt dann immer das Gerede von der Kultband.
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Sind Sie keine?
Ich bin stolz, dass wir eine Kultband sind, weil wir uns nicht den Märkten angepasst haben, sondern mit einer gewissen Dickköpfigkeit unser Ding gemacht haben. Da sind wir für viele junge Leute ein Vorbild.
Sind Sie da etwas wie Ihr Kollege Stoppok, der sich auch in keine Mühle reinpressen lassen wollte?
Ich mag Stoppok und seine Musik, habe aber immer gedacht das ist keine Indie-Tradition, sondern Folkrock-Tradition. Er ist ein ehrlicher Liedermacher aus dem Ruhrgebiet. Da habe ich uns nicht so gesehen. Man kann aber in jedem Genre an sich glauben.
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2018 fand ja nach dem Ausstieg von Thomas Wenzel und Christoph Leich eine Zäsur bei „Die Sterne“ statt. Gab es die Überlegung, sich als Band aufzulösen?
Ich hatte die Sorge, dass viele Fans enttäuscht sein würden, wenn ich mit neuen Musikern als „Die Sterne“ weitermache. Es war eine Risikoentscheidung. Doch ich war sehr froh, dass wir als „Die Sterne“ weitermachen konnten, weil es sehr viel einfacher ist, als etwas Neues zu etablieren. Rückblickend war es genau richtig, und das Feedback der Fans war sehr positiv. Es war eine neue Energie in der Band.
Wie schaffen Sie es sich auch nach über 30 Jahren im Musikgeschäft immer wieder neu zu erfinden?
Das Problem ist nicht, sich neu zu erfinden. Die Schwierigkeit war die Kontinuität, weil ich die einzige personelle Konstante war. Bis auf Keyboarderin Dyan Valdés, die sich bis 2020 aus den Produktionen heraus gehalten hat, war ich ja zu dem Zeitpunkt die einzige Verbliebene. Also war die Schwierigkeit eher die Kontinuität. Ich hatte nach dem Umbruch schon sehr viele Songs auf meiner Festplatte arrangiert, da war ich also auf mich allein gestellt. Schon dadurch war eine Kontinuität da. Erst bei unserem 2019er-Album „Hallo Euphoria“ haben wir dann als Team zusammengearbeitet. Das hat den Übergang sehr sanft gemacht.
Sie haben mal gesagt, dass Sie Ihre Texte nicht für das Publikum „ausinterpretieren“ wollen. Wie haben Sie das gemeint?
Ich versuche, Leute abzuholen. Ich finde, dass Songtexte sehr bevormundend sind, wenn man sich die Schlagertexte aus den 1970er- und 1980er-Jahren anschaut. Sie geben einem Leitlinien mit, wie man mit Krisensituationen umgeht. Ich versuche erstmal, eine Situation in den Raum zu werfen und dann Fragen zu stellen.
Wie stolz sind Sie heute auf den „Universal Tellerwäscher“? Das war schon der größte Hit, oder?
Was das Airplay angeht, war es „Was hat dich bloß so ruiniert?“. Dann kommt „Du musst gar nichts“ und danach „Universal Tellerwäscher“. Zwei von den Stücken sind 25 Jahre, und das andere ist erst drei Jahre alt. Ich spiele die alten zwei Hits immer noch gerne und würde kein Wort davon zurücknehmen. Es fühlt sich nicht altmodisch an, diese Songs zu spielen. Dadurch, dass wir uns weiter „Die Sterne“ genannt haben, ging die Verpflichtung einher, die alten Songs zu spielen.
2019 landeten Die Sterne im Musikexpress gleich mit zwei Alben unter den 100 wichtigsten deutschen Produktionen aller Zeiten. Wie stolz macht Sie solch eine Huldigung?
Ich freue mich natürlich über so eine Wertschätzung. Die Leute, die da abgestimmt haben, sind Musikkritiker und Personen, die sich eingehend damit beschäftigt haben. So eine Einordnung freut einen schon sehr. Das tut gut und ist einen Schluck Sekt wert. (lacht)
Wie groß ist die Sehnsucht nach einem weiteren großen Hit?
Der Moment, in dem diese ganze Arbeit am meisten Sinn macht, ist vergleichbar mit einem Haufen Stroh, der lichterloh brennt. Um mal spontan ein Bild zu erfinden. Das Größte, was man mit einem Song erreichen kann, ist, dass man die Leute mit einem Thema abholt. Es geht um Empathie füreinander. Das ist uns mit „Du musst gar nichts“ gelungen. Das war ein Song während Corona, und die Menschen haben das gefühlt. Ich hoffe, das gilt für jeden einzelnen Song.
Welche deutschen Künstler sind für Sie wichtige Kollegen, an denen Sie sich gerne auch mal orientieren?
Ich habe große Vorbilder wie Rio Reiser, Friedrich Hollaender, Trio oder Kolossale Jugend, an denen ich mich orientiere. Heute finde ich Bands wie International Music oder Düsseldorf Düsterboys toll, wo ich sofort eine Seelen-Verwandtschaft erkenne.
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Tocotronic, Selig, früher Blumfeld und die Nationalgalerie. Alle standen für die Hamburger Schule. Wie sehr lebt dieser Begriff noch?
Die Hamburger Schule war einst ein Marken-Etikett. Die Lassie Singers gehörten auch dazu. Es war ein dynamisches Ding das gibt es so nicht mehr. In den Neunzigern kamen viele Künstler nach Hamburg. Tilman Rossmy muss hier auch genannt werden. Da war viel los in der Stadt, einige sind dann nach Berlin gegangen. Bis Mitte der Nuller-Jahre haben wir uns alle noch dauernd bei Konzerten und Festivals gesehen. Heute bemüht man sich kaum noch um Kontakt. Die Hamburger Schule ist Vergangenheit.
Wie schwer fällt es bei der Weltlage, an Glücksgefühle zu glauben, die Musik auslöst?
Überhaupt nicht, weil das ist das, was Musik immer kann und konnte – auch in einer großen Krise. Musik kann sogar bei einer Beerdigung noch Glücksgefühle auslösen. Das ist die große Magie, und deshalb lieben wir Musik so.
Dies ist ein Artikel der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen. Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.