Graham Nash, Altmeister des Folkrock, ist als Einzelkämpfer unterwegs. Mit 81 Jahren bringt er ein neues Album heraus – und geht auf Tournee.
Schneeweißes Haar, hagere Statur und Antworten, die vor Idealismus wie Kampfgeist strotzen: Graham Nash, der Mann aus Manchester, der seit Ende der 60er-Jahre in den USA lebt und mit den Hollies wie mit Crosby, Stills, Nash and Young zum Weltstar wurde, sieht sich mit 81 Jahren weiter als mahnende Stimme der Vernunft und musizierender Weltverbesserer. Nachzuerleben auf „Now“, seinem ersten Solo-Album seit sieben Jahren, das ganz nebenbei zu seinen stärksten zählt – und in einem offenen Gespräch.
Mr. Nash, Ihr neues Album zerfällt in zwei Teile. Zum einen Liebeserklärungen an ihre dritte Frau Amy, die etwas jünger ist als Sie…
Graham Nash: Stimmt. Ich habe mich in diese Frau verliebt – und es ist mir egal, dass ich 81 bin und sie 44. Sämtliche Lovesongs auf diesem Album sind für sie. Einfach, weil ich sie über alles liebe. Sie versteht mich, sie lässt sich nichts gefallen, sie ist sehr stark – und eine wunderbare Künstlerin.
Zum anderen haben Songs wie „Golden Idols“ etwas von einer Abrechnung mit der Ära Trump, über die Sie immer noch ziemlich erbost zu seien scheinen.
Es geht nicht nur um Trump, sondern auch um Mitch McConnell, McCarthy, Ted Cruz und wie sie alle heißen. Machtmenschen, die meinen, sie hätten alle Antworten. Dabei muss es doch auch ein paar Republikaner mit Hirn geben. Wie will man sonst eine vorwärts gerichtete Politik machen? Und warum sind sie alle so blind für das, was Trump wirklich ist? Nämlich ein schrecklicher Mensch. Ich verstehe nicht, warum sie an ihm festhalten. Und es ist irre, dass die einzigen beiden politischen Kräfte in den USA entweder für oder gegen Demokratie sind. Was ist da passiert? Trump ist passiert! Aber der Schlimmste ist Ron DeSantis. Er ist noch übler, weil er intelligenter ist. Er nimmt alles, was Trump getan hat, und führt es ins Extrem. Wenn er Präsident wird, werde ich die USA verlassen.
Auch interessant
Also sehen Sie sich weiterhin als politischen Songwriter?
Ja, es ist die Pflicht jedes Künstlers, das zu reflektieren, was um ihn herum passiert. Eben auf der ganzen Welt – und einschließlich des Aufstiegs der Rechten, gerade in den USA. Wir müssen über Trump und seine Zerstörung der Wahrheit reden. Wir müssen über Umweltprobleme reden – über alles, was um uns herum geschieht. Und Musik ist ein wunderbares Medium, um seine Meinung zu sagen. Das ist es, was ich mein ganzes Leben getan habe: Ich habe beobachtet, was um mich herum passiert. Und ich will Hoffnung und Optimismus verbreiten. Ich will immer eine Lösung finden, bei der jeder gewinnt.
Auch interessant
Wie erklären Sie sich, dass die gesellschaftliche Erneuerung der 68er-Bewegung, zu der Sie auch zählen, offensichtlich gescheitert ist?
Es hat eine Menge mit der Kontrolle zu tun, die multinationale Großkonzerne auf die Medien ausüben. Bis vor kurzem wurden nicht einmal Fotos all dieser Flaggen-umhüllten Särge gezeigt, in denen verstorbene Soldaten aus Afghanistan abtransportiert wurden. Und man hat nie etwas darüber gehört, was in Panama passiert. Denn es wird kontrolliert, was man sieht – und dann zur Wahrheit erklärt. Ich meine, schaut euch an, was gerade mit Putin und der Ukraine passiert: Putin erzählt seinen Landsleuten, es wäre eine militärische Spezialoperation. Dabei ist es ein Krieg, in dem Tausende von Menschen sterben, und der sich einzig gegen die Demokratie richtet. Das passiert weltweit. Eine erschreckende Entwicklung. Wird es noch schlimmer? Wird DeSantis Präsident? Was für ein grässlicher Gedanke!
Auch interessant
Was wäre dagegen Ihre Utopie?
Dass es in der Zukunft Menschen gibt, die einfach einen Chip unter der Haut tragen – und zum Beispiel keinen Code oder kein Passwort mehr brauchen. Mein Punkt ist also, dass diese Kombination aus Menschlichkeit und Technik kommen wird – und sehr interessant werden könnte. Ich frage mich oft, wie wohl das Leben in hundert Jahren aussieht. Werden wir dann überhaupt noch hier sein? Wird künstliche Intelligenz alles übernehmen und uns kontrollieren – statt wir sie? Eine spannende Sache – und ich werde es nicht erfahren, wenn ich nicht 100 werde. Also muss ich so lange durchhalten.
Auch interessant
Gleichzeitig blicken Sie – zumindest musikalisch – gerne zurück. Ist der Song „Buddy’s Back” eine Hommage an Ihr Jugendidol Buddy Holly?
Richtig. Wobei ich „Buddy’s Back“ für das neue Album meines alten Partners Allan Clarke geschrieben habe. Er hat die Hollies verlassen, weil er nicht mehr singen konnte. Aber inzwischen hat er seine Stimme wiedergefunden und wollte ein Solo-Album machen. Also hat er mir ein paar Stücke geschickt. Er meinte: Wenn sie mir gefallen, solle ich den Gesang dazu beisteuern. Bei zwei Stücken, die ich besonders mochte, habe ich das getan. Doch was macht Allan? Er schickt mir weitere zwei, und dann noch mehr. Mittlerweile bin ich auf zehn Stücken seines Albums vertreten. „Buddy’s Back“ habe ich wegen unserer gemeinsamen Liebe für Buddy Holly geschrieben. Ich meine, wir hießen schließlich The Hollies.
Eine Band, die gerade ihr 60. Dienstjubiläum feiert.
In der Tat. Und in letzter Zeit habe ich mir wieder einiges von den Hollies angehört. Dabei ist mir klar geworden, was für eine tolle Band wir doch waren. Ich meine, wir wollten, dass die Leute tanzen, dass sie sich in die Melodien und Texte verlieben. Und was das betrifft, waren wir wirklich gut. Wir hatten nicht umsonst 15 Top-10-Hits. Aber dieser Sound, den David, Stephen und ich kreierten, als wir das erste Mal in Joni Mitchells Wohnzimmer sangen, hat dafür gesorgt, dass ich die Hollies verlassen habe – was viele Leute für Irrsinn hielten. Nach dem Motto: ,Wie kann man bei so einer erfolgreichen Band aussteigen’? Na ja, sie hatten halt noch nicht gehört, wie ich mit David und Stephen klinge. Seitdem besteht mein Leben darin, diesem Sound zu folgen.
Angeblich hatten die Hollies Ihre Stücke wie „King Midas In Reverse“ abgelehnt – Stephen Stills und David Crosby fanden sie dagegen toll. Mythos oder Wahrheit?
Das war wirklich so. Die Hollies haben sie nicht verstanden, aber Crosby meinte: „Das ist doch ein ordentlicher Song, Mann. Genau wie dieser andere, ,Marrakesh Express’. Der ist auch nicht schlecht. Du meinst, die Hollies wollen die nicht? Im Ernst?“ Irgendwo im Archiv der Londoner Abbey Road Studios existiert noch eine Hollies-Version von „Marrakesh Express“. Sie ist einfach Mist. (lacht)
Auch interessant
CSN&Y haben Sie das Stück „I Watched It All Come Down“ gewidmet. Wie denken Sie heute über die Band – acht Jahre nach ihrer Trennung?
Ich vermisse sie sehr.
Stimmt es, dass Sie sich kurz vor seinem Tod mit David Crosby versöhnt haben?
Zumindest waren wir wieder in Kontakt: Er hatte mir eine Sprachnachricht geschickt, dass er gerne reden und sich für seine verbalen Entgleisungen in Bezug auf Neil und seine Frau Daryl, entschuldigen wolle. Ich hatte dann ein Facetime-Gespräch angesetzt, damit wir uns beim Reden sehen können. Doch er hat sich nie gemeldet – und dann ist er gestorben. Er war 50 Jahre lang mein bester Freund. Klar, hatten wir harte Jahre, aber am Ende seines Lebens haben wir wieder zusammengefunden, und ich bin sehr froh darüber. Es hat seinen Tod etwas leichter für mich gemacht.
Trotzdem bezeichnen Sie Crosbys Ableben als Erdbeben. Warum?
Für mich war es ein gewaltiger Schock zu erfahren, dass David gestorben ist – es hatte wirklich etwas davon. Und wie bei jedem Erdbeben gibt es auch Nachbeben. Sprich: Jedes Mal, wenn ich in den sozialen Medien unterwegs bin, sehe ich sein Gesicht und lese, was Leute über ihn sagen. Das macht mich traurig. Ich denke jeden Tag an ihn. Er war ein brillanter Musiker. Was er mit seiner Gitarre angestellt hat, war wahnsinnig interessant. Und er war ein toller Mensch – unglaublich witzig. Außerdem hat er bis zu seinem Tod Musik gemacht: Er war in Los Angeles, um mit seiner Band für eine Show im Lobero Theatre in Santa Barbara zu proben. Eine Gala, bei der er der Stargast sein sollte. Doch nach drei Tagen fühlte er sich ein bisschen krank. Er hatte zum zweiten Mal Covid, ist nach Hause gefahren und hat sich zurückgezogen, um einen Mittagsschlaf zu halten. Er hat sich auf sein Bett gelegt und ist nie wieder aufgewacht. Was für ein wunderbarer Abgang: Im eigenen Bett, in dem man sich sicher und wohl fühlt – großartig. Nur: Ich will hier noch mindestens 20 Jahre verbringen. Im Ernst: Ich würde gerne 100 werden.
Im September kommen Sie zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder nach Deutschland. Was erwartet uns diesmal?
Ich werde Stücke von den Hollies singen, von Crosby, Stills Nash, von Crosby, Stills, Nash Young, von Crosby/Nash und Graham Nash. Ich habe einen riesigen Fundus, aus dem ich mich bedienen kann. Und mein Problem ist: Normaler Weise spiele ich 24 Songs – zwölf im ersten Teil, dann gibt es eine Pause und weitere zwölf Songs. Von daher stellt sich die Frage: Wohin mit den neuen Sachen? Verzichte ich auf „Marrakesh Express“? Auf „Our House“, „Teach Your Children“, „Military Madness“ oder „Simple Man”? Was schmeiße ich aus dem Programm, um Neues unterzubringen? Das ist es, worüber ich mir gerade den Kopf zerbreche. Aber: Ich kriege das hin.
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei.Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent?Hier geht es zu unseren Angeboten.