Berlin. Die Ampel zerbrach am Streit ums Geld. Das dürfte sich rückwirkend als Geplänkel erweisen: Die harten Entscheidungen stehen noch bevor.
Wie immer auch die künftige Bundesregierung aussehen mag – eines steht schon fest: Zu den ersten Aktionen des neuen Regierungsbündnisses wird ein Kassensturz gehören. Die Wirtschaft in Deutschland steckt in der Krise, die Steuereinnahmen sprudeln nur spärlich, dem Bund fehlt es an Geld. Zwangsläufig geraten da auch mögliche Steuererhöhungen in den Blick – so wie am Mittwochabend beim letzten Fernsehduell zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Herausforderer Friedrich Merz (CDU).
Auf die Nachfrage, ob es unter ihm als Kanzler eine Mehrwertsteuererhöhung geben werde, antwortete Merz: „Ich möchte sie nicht erhöhen.“ Und er glaube, dass „wir mit 19 Prozent und sieben Prozent ermäßigtem Steuersatz an der Stelle sind, wo wir sie nicht weiter erhöhen sollten“. Merz verwies aber auch auf noch anstehende Koalitionsverhandlungen. Ein klares Dementi klingt anders. Experten halten eine 180-Grad-Wende in dieser Frage für denkbar. Auch Scholz‘ SPD will die Mehrwertsteuer bisher nicht erhöhen, sondern eigentlich sogar senken: Der ermäßigte Satz auf Lebensmittel sollte nach Vorstellung der Sozialdemokraten künftig bei fünf statt bei sieben Prozent liegen.

„Die Mehrwertsteuer ist eine ergiebige Einnahmequelle für den Staat. Eine Erhöhung des regulären Satzes von 19 auf 20 Prozent würde rund 16 Milliarden Euro zusätzlich in die Staatskasse spülen“, sagte Tobias Hentze, Steuerexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), dieser Redaktion. Verkraftbar wäre dies wohl, betonte Hentze, der auch darauf verweist, dass die Mehrwertsteuer in den anderen EU-Ländern im Schnitt bei 22 Prozent liegt. Verbrauchern drohten dann allerdings Preiserhöhungen und eine wieder anziehende Inflation. Zudem seien Steuern und Abgaben in Deutschland insgesamt bereits hoch.
Regierungsbildung: Der Bund braucht schnell einen regulären Haushalt
Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), rät von Steuererhöhungen „eher ab“. „Als Teil eines Gesamtpaketes, das an anderer Stelle die Abgabenbelastung reduziert, wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer jedoch durchaus denkbar. Die Mehrwertsteuer belastet den Konsum, aber nicht die Unternehmensinvestitionen“, so Holtemöller zu dieser Redaktion. Eine höhere Mehrwertsteuer bei gleichzeitig niedrigeren Unternehmenssteuern könnte daher positive Wachstumseffekte haben. Es müsse aber der soziale Ausgleich mitgedacht werden.

So oder so: Wenn nach der Wahl eine neue Regierung gebildet wird, muss diese schnell die Frage klären, wie viel Geld überhaupt da ist und wie gegebenenfalls weiteres mobilisiert werden kann. Dafür muss zunächst ein regulärer Bundeshaushalt für 2025 her, den es bisher nicht gibt. Am Streit über die Staatsfinanzen war letztlich im November die Ampelkoalition zerbrochen. Seit dem Jahreswechsel gilt die vorläufige Haushaltsführung. Das bedeutet, dass der Bund zwar seinen Aufgaben nachkommt und beispielsweise regelmäßig das Kindergeld oder die Gehälter seiner Beschäftigten auszahlt. Neue Projekte können aber nicht ohne Weiteres angeschoben werden.
Der noch von der Ampel ausgearbeitete Entwurf für den Haushalt 2025 sah Ausgaben im Umfang von knapp 490 Milliarden Euro vor. Nach einem leichten Rückgang im Folgejahr sollten die Ausgaben bis 2028 auf knapp 500 Milliarden Euro anwachsen – bei steigenden Steuereinnahmen und einer sinkenden Neuverschuldung im Rahmen der Schuldenbremse.
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Grundlage für diese Eckwerte war aber eine Konjunkturprognose, die sich nachträglich als zu optimistisch herausstellen dürfte: Deutschland droht 2025 das dritte Rezessionsjahr in Folge. Statt zu wachsen, dürfte die Wirtschaft abermals schrumpfen. Das bedeutet, dass der Staat höhere Ausgaben hat (insbesondere für Soziales) und gleichzeitig weniger Steuern einnimmt.
Die bisherigen Annahmen zum Haushalt dürften also überholt sein. Bis mögliche Reformen einer neuen Regierung zur Belebung der Konjunktur beschlossen sind und wirken, wird einige Zeit vergehen. Und: Es ist in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage immer auch mit externen Schocks zu rechnen. Sie könnten die Wirtschaft weiter in Mitleidenschaft ziehen – etwa ein Handelskrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union.
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Die künftige Regierung wird im Lichte der verfügbaren Mittel entscheiden müssen, ob und wo sie neue Prioritäten setzt und wie es in der Steuerpolitik weitergeht. Und mit Sicherheit kommt bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen auch die Frage aufs Tapet, ob die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse in der bisherigen Form Bestand haben soll. Sie erlaubt dem Bund in normalen Zeiten nur eine sehr geringe Neuverschuldung.
Das größte Problem sind dabei absehbar die Verteidigungsausgaben. Im vergangenen Jahr mobilisierte Deutschland rund 70 Milliarden Euro für die Verteidigung und erfüllte damit die Nato-Vorgabe, wonach jedes Mitgliedsland mindestens zwei Prozent seiner nationalen Wirtschaftsleistung für diesen Zweck aufwenden muss.
Verteidigungsausgaben: Das Sondervermögen ist bald aufgebraucht
Ein großer Teil des ausgegebenen Geldes stammt allerdings aus dem schuldenfinanzierten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das der Bund unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Jahr 2022 eingerichtet hatte. Dieser Topf wird aber im Laufe der neuen Legislaturperiode leer sein. Kanzler Scholz betont immer wieder, dass Deutschland ab 2028 zusätzlich 30 Milliarden Euro pro Jahr brauche, um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erfüllen.
Solange der Weg über neue Schulden versperrt ist, müsste das Geld aus dem Bundeshaushalt kommen – was zwangläufig zulasten anderer Aufgaben gehen dürfte. Doch das ist noch nicht alles: Es zeichnet sich ab, dass sämtliche Nato-Staaten sich angesichts der Bedrohung durch Russland schon bald dazu verpflichten werden, ihre Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen.
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US-Präsident Trump will die Vereinigten Staaten entlasten und verlangt von den Europäern, künftig fünf Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung für Verteidigung aufzuwenden. Doch selbst wenn sich die Nato-Staaten beim Gipfeltreffen Ende Juni in Den Haag lediglich auf eine Untergrenze von drei Prozent verständigen sollten, wird das viele europäische Mitglieder zumindest mittelfristig vor riesige Herausforderungen stellen. Und zwar selbst dann, wenn es längere Übergangsfristen gibt und die Verteidigungsbudgets nicht auf einen Schlag wachsen müssen.
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Scholz jedenfalls erinnert regelmäßig daran, dass im Falle Deutschlands jeder zusätzliche Prozentpunkt bei der gegenwärtigen Wirtschaftsleistung 43 Milliarden Euro entspricht. Verteidigungsausgaben im Umfang von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprächen also derzeit fast 130 Milliarden Euro. Fünf Prozent, wie von Trump gefordert, wären gegenwärtig deutlich mehr als 200 Milliarden Euro – bei einem Bundeshaushalt, der zurzeit ein Volumen von weniger als 500 Milliarden Euro hat.