Brüssel. Die Nato erhöht ihr Verteidigungsausgaben massiv – doch die USA fordern mehr Anstrengungen. Mit Blick auf die Ukraine droht ein Problem.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine erhöhen Deutschland und die anderen Nato-Staaten ihre Militär-Ausgaben so stark wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Verteidigungsaufwendungen der europäischen Nato-Mitglieder und Kanadas um 20 Prozent auf 485 Milliarden US-Dollar, berichtete Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Mittwoch im Nato-Hauptquartier. Damit erfüllten nun zwei Drittel der Mitgliedsländer die Vorgabe, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben, auch Deutschland gehört dazu.  „Wir wissen, was zu tun ist“, meinte Rutte.

Doch US-Präsident Donald Trump ist nicht zufrieden. Sein Verteidigungsminister Pete Hegseth zeigte sich bei seinem ersten Treffen mit den Nato-Amtskollegen in Brüssel ungeduldig, schon vorab drohte er „Klartext“ an: Auf dem Kontinent müsse mehr in die Verteidigung investiert werden. „Die Nato muss eine stärkere, tödlichere Kraft sein - kein diplomatischer Club“, erklärte Hegseth im Hauptquartier. Hegseth machte auch deutlich, dass Europa aus Sicht der neuen US-Regierung die Hauptverantwortung für die Ukraine übernehmen und so „seine Nachbarschaft verteidigen“ müsse – die Amerikaner würden bei dieser Verteidigung „zur Seite stehen“.

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    Bei neuen Militärhilfen für die Ukraine, über die im Hauptquartier beraten wurde, zeigte sich der Pentagon-Chef entsprechend zurückhaltend. Stattdessen betont Hegseth nun, Trump habe recht, dass europäische Staaten fünf Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben müssten – statt bisher zwei Prozent. Es wäre eine neue Zeitenwende: Deutschland müsste in diesem Fall seine Ausgaben für das Militär mehr als verdoppeln und fast die Hälfte seines Bundeshaushaltes dafür verwenden.

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     Nato-Generalsekretär Mark Rutte vermied es, die amerikanischen Forderungen direkt zu kommentieren. Er betonte, die Nato bewege sich in die richtige Richtung, doch müssten die Alliierten „noch viel, viel mehr tun.“ Schließlich wolle das Bündnis beim Gipfeltreffen im Juni in Den Haag „ehrgeizige neue Plänen für die Verteidigungsfähigkeit“ beschließen. Aktuell sei die Nato gut gegen einen russischen Angriff gewappnet, aber nicht für die möglichen Bedrohungen in vier, fünf Jahren.

    Nato-Generalsekretär Mark Rutte sieht die Allianz bei den Verteidigungsausgaben auf dem Weg in die richtige Richtung. Es müsse aber noch viel mehr getan werden, sagte er im Hauptquartier in Brüssel.
    Nato-Generalsekretär Mark Rutte sieht die Allianz bei den Verteidigungsausgaben auf dem Weg in die richtige Richtung. Es müsse aber noch viel mehr getan werden, sagte er im Hauptquartier in Brüssel. © AFP | John Thys

    Trump macht längst Druck, die Zielvorgaben für Verteidigungsanstrengungen massiv auszuweiten. Nach dem Drängen von Hegseth in Brüssel dürfte US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende in diesem Sinne die drastische Fünf-Prozent-Forderung bekräftigen. Die hatte Trump überraschend im Januar verkündet und behauptet, die Verbündeten „können es sich alle leisten“ - obwohl auch die USA nur bei 3,4 Prozent liegen.

    Für Deutschland würden sich die Militärausgaben von aktuell etwa 90 Milliarden Euro auf über 210 Milliarden Euro im Jahr erhöhen. Das gilt in der Bundespolitik parteiübergreifend als völlig unrealistisch. Auch Nato-Diplomaten mehrerer Bündnisstaaten versichern in Brüssel, die große Mehrzahl der Alliierten halte ein Fünf-Prozent-Ziel für nicht erreichbar, nur Polen, Estland, Lettland und Litauen seien dafür. Das britische Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) warnt in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie, zwar seien die Verteidigungsausgaben in Europa in den vergangenen zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen – dieses Tempo werde aber wegen der angespannten Lage der nationalen Haushalte kaum durchzuhalten sein.

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    Geht es nach Generalsekretär Rutte, wird der Nato-Gipfel im Juni aber immerhin ein Ausgabe-Ziel von mindestens drei Prozent beschließen. Inzwischen ist im Hauptquartier sogar von 3,5 Prozent die Rede. Für Deutschland hießen solche Größenordnungen noch einmal zweistellige Milliardensummen zusätzlich. Dabei ist nicht einmal das bisherige Zwei-Prozent-Ziel finanziell abgesichert, wenn das kreditfinanzierte Bundeswehr-Sondervermögen 2027 erschöpft ist. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mahnte in Brüssel, der Bund müsse dann ab 2028  mindestens 30 Milliarden zusätzlich in den Haushalt einplanen.

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    Schwedische Soldaten bei einer Nato-Übung. © AFP via Getty Images | JONATHAN NACKSTRAND

    Der Druck wächst aber, weil die USA den europäischen Partnern die Hauptlast bei der künftigen Unterstützung der Ukraine überlassen wollen. Sichtbares Zeichen war im Nato-Hauptquartier am Mittwoch das Treffen von Verteidigungsministern in der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe. Diese Beratung zur Koordinierung von Militärhilfen stand erstmals nicht unter Leitung der USA, sondern Großbritanniens. Hegseth kündigte an, er wolle in den internen Besprechungen „Trumps Engagement für eine möglichst rasche diplomatische Beendigung des Krieges in der Ukraine bekräftigen.“

    200.000 Soldaten könnten für eine Sicherung des Waffenstillstandes nötig sein – das wird zum Problem

    Bei den europäischen Alliierten besteht ebenso wie in der Ukraine die Sorge, dass sich die USA nach einem Waffenstillstand nicht an den notwendigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine beteiligen könnten. Hegseth nährte die Befürchtung: Die USA würden keine Truppen in die Ukraine schicken, versicherte er. Es gilt aber unter europäischen Regierungen als kaum machbar, eine Friedenstruppe für einen robusten Einsatz ohne amerikanischen Beitrag aufzustellen.

    Nato-Militärs schätzen, die großen europäischen Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien würden allenfalls 50.000 Soldaten stellen können – für einen robusten, glaubwürdigen Einsatz zur Sicherung eines Waffenstillstandes aber würden mindestens 200.000 Soldaten benötigt. Um Russland von neuen Angriffen abzuhalten, sei am Ende auch eine atomare Abschreckung nötig. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte vor dem Treffen: „Sicherheitsgarantien ohne Amerika sind keine echten Sicherheitsgarantien.“ Kiew lehne eine solche Lösung klar ab.

    Doch Hegseth sandte vom Nato-Hauptquartier noch eine weitere enttäuschende Botschaft nach Kiew: Den ukrainischen Wunsch nach einem Nato-Beitritt lehnt die neue US-Regierung ab. Das sei „nicht ein realistisches Ergebnis einer Verhandlungslösung“, meinte der Verteidigungsminister. Auch die Rückkehr zu den ukrainischen Grenzen vor 2014 sei unrealistisch und „wird den Krieg nur verlängern und mehr Leid verursachen.“