Duisburg/Essen. RWE soll Grünstrom für die neue DRI-Anlage von Thyssenkrupp in Duisburg liefern. Doch der Stromhunger ist längst nicht gestillt.

Thyssenkrupp baut in Duisburg eine Anlage mit einem gewaltigen Energiehunger. Schon mit der Inbetriebnahme der ersten Direktreduktionsanlage müssten allein für den weitläufigen Thyssenkrupp-Standort „über 800 neue Windräder zu Wasser und auf Land gebaut werden“, rechnete Konzernchef Miguel López unlängst bei der Bilanzpressekonferenz in Essen vor. Thyssenkrupp werde mit der neuen Anlage, die einen Hochofen ersetzen soll, in nicht allzu ferner Zukunft einer der bundesweit größten Verbraucher von Grünstrom und Wasserstoff.

Es geht um Dimensionen, die derzeit fern der Realität sind. Ab dem Jahr 2029 will Deutschlands größter Stahlkonzern rund 143.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr verbrauchen. Das entspreche alle zwei Stunden und 365 Tage im Jahr der Füllmenge des Gasometers Oberhausen, erklärte das Unternehmen schon vor einigen Monaten. Vor wenigen Tagen hat Thyssenkrupp Steel nun eigenen Angaben zufolge die Ausschreibung für die Wasserstoff-Versorgung der ersten Direktreduktionsanlage gestartet – in enger Abstimmung mit dem von Robert Habeck (Grüne) geführten Bundeswirtschaftsministerium.

Strom aus Nordsee-Windpark für Stahlstandort Duisburg

Immerhin: Mit Blick auf den wachsenden Ökostrom-Bedarf ist Thyssenkrupp Steel schon einen Schritt weiter. Der Essener Energiekonzern RWE wird einer der wichtigen Grünstrom-Versorger für die geplante klimafreundliche Thyssenkrupp-Stahlproduktion in Duisburg. Ein entsprechender Liefervertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren sei unterzeichnet worden, teilte Thyssenkrupp Steel mit. Es gehe um eine Liefermenge von 110 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr. RWE will die Energie mit Windrädern in der Nordsee erzeugen – im Offshore-Windpark Kaskasi rund 35 Kilometer vor der Küste Helgolands.

Trotz des großen Liefervertrags seien aber weitere Verträge mit Energieerzeugern notwendig, um die neue Grünstahl-Anlage in Duisburg vollständig mit Grünstrom zu versorgen, räumt Thyssenkrupp ein. „Die Zusammenarbeit mit RWE ist der Auftakt“, sagt Arnd Köfler, der zuständige Vorstand von Thyssenkrupp Steel. Zusätzliche Schritte seien erforderlich, um den Bedarf an erneuerbarer Energie in Duisburg decken zu können.

Thyssenkrupp ist schließlich nicht das einzige Unternehmen, das sich grünen Strom sichern will. RWE berichtet, der Strom des Windparks Kaskasi werde ab dem Jahr 2026 an insgesamt sieben große deutsche Industriekunden geliefert. Verträge hätten neben Thyssenkrupp Steel auch der Essener Chemiekonzern Evonik, der Logistikriese DHL sowie der Mobilfunkanbieter Vodafone unterschrieben. Hinzu kämen der baden-württembergische Kunststoff-Verarbeiter Ensinger und der hessische Chemiestandort-Betreiber Infraserv Höchst. Bereits im Frühling vergangenen Jahres habe der Handelsriese Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland) einen ersten Liefervertrag für Strom des RWE-Windparks Kaskasi abgeschlossen.

Zum Windpark Kaskasi gehören 38 Windturbinen mit einer installierten Kapazität von insgesamt 342 Megawatt. Damit könnte Kaskasi rechnerisch etwa 400.000 Haushalte pro Jahr mit grünem Strom versorgen, erklärt RWE. Die erste Belieferung starte im Jahr 2026, weitere Verträge folgen in den Jahren 2027 und 2028.

Thyssenkrupp-Chef Miguel López sieht noch Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Umstieg der Industrie auf Ökostrom und Wasserstoff. „Wo kommen die gigantischen Mengen grüner Energie her, die wir für einen klimaneutralen Betrieb der Anlagen benötigen?“, fragt er.
Thyssenkrupp-Chef Miguel López sieht noch Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Umstieg der Industrie auf Ökostrom und Wasserstoff. „Wo kommen die gigantischen Mengen grüner Energie her, die wir für einen klimaneutralen Betrieb der Anlagen benötigen?“, fragt er. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Bei Thyssenkrupp Steel ist der zusätzliche Strombedarf besonders groß. Denn mit dem beabsichtigten Abschied von den bestehenden Hochöfen und dem Bau neuer Direktreduktionsanlagen (DRI-Anlagen) ändert sich die Stromrechnung für den Stahlstandort Duisburg grundlegend. Heute liegt der Anteil der Energie an den Gesamtkosten für die Herstellung einer Bramme Rohstahl von Thyssenkrupp Unternehmensangaben zufolge bei rund fünf Prozent. Für zukünftige, grüne Verfahren zur Stahlherstellung werde der Energiekostenanteil auf bis zu 50 Prozent steigen, heißt es im Konzern.

Kohlezeitalter bei Thyssenkrupp soll zu Ende gehen

Derzeit betreibt Thyssenkrupp vier Hochöfen in Duisburg und ist damit einer der größten Emittenten von Kohlendioxid (CO2) in Deutschland. Durch den Umbau der Produktion soll sich die Klimabilanz erheblich verbessern. Das Management beteuert: Das Kohle-Zeitalter wird bei Thyssenkrupp zu Ende gehen.

Die neuen Anlagen zur Grünstahl-Produktion von Thyssenkrupp Steel gibt es derzeit nur als Modell. Etwa 150 Meter hoch soll die DRI-Anlage werden.
Die neuen Anlagen zur Grünstahl-Produktion von Thyssenkrupp Steel gibt es derzeit nur als Modell. Etwa 150 Meter hoch soll die DRI-Anlage werden. © FUNKE Foto Services | Foto: Lars Fröhlich / FUNKE Foto Services

Bislang steht allerdings erst die Finanzierung, um einen der vier Thyssenkrupp-Hochöfen in Duisburg zu ersetzen. Der benachbarte Konzern Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), an dem Thyssenkrupp Steel zur Hälfte beteiligt ist, hat noch zwei weitere Hochöfen. „Wir wollen mit aller Macht vermeiden, dass uns das Schicksal von Rheinhausen ereilt“, sagt Marco Gasse, der Betriebsratsvorsitzende von HKM. Vom Hafen der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) bietet sich ein guter Blick auf den früheren Stahlstandort Rheinhausen. 30 Jahre liegt die Schließung des Werks aus dem Krupp-Konzern mittlerweile zurück. Wo früher Hochöfen standen, haben längst Logistiker ihre Hallen aufgebaut.

Milliardenschwerer Umbau der Industrie

Der Umbau der Industrie ist ein kostspieliges Unterfangen: Für den Aufbau der geplanten Produktion von klimafreundlichem Stahl mit der ersten DRI-Anlage soll allein Thyssenkrupp Steel rund zwei Milliarden Euro vom Staat erhalten. Davon kommen voraussichtlich rund 1,3 Milliarden Euro aus der Kasse des Bundes. NRW will bis zu 700 Millionen Euro beisteuern – die größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes. Die Eigeninvestitionen für das Vorhaben seitens Thyssenkrupp liegen Unternehmensangaben zufolge bei knapp einer Milliarde Euro.

DRI steht für direkt reduziertes Eisen. In der Anlage wird anstelle von Kokskohle Erdgas und später Wasserstoff verwendet, um dem Eisenerz den Sauerstoff zu entziehen. Der gewonnene Eisenschwamm wird dann in einem weiteren Schritt eingeschmolzen. Es ist ein energieintensives Verfahren.

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Thyssenkrupp-Chef López wirbt wegen der industriellen Transformation eindringlich für das, was er „Energiepartnerschaften“ nennt. Eine entscheidende, aber noch offene Frage beim Aufbau der Grünstahl-Produktion sei: „Wo kommen die gigantischen Mengen grüner Energie her, die wir für einen klimaneutralen Betrieb der Anlagen benötigen?“

Schon seit mehreren Monaten lotet López die Chancen für einen Verkauf des Stahlgeschäfts an den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky aus. Mit seinem Unternehmen EPH ist Kretinsky bereits in der deutschen Energiebranche aktiv. Im Jahr 2016 übernahm Kretinsky vom Energieversorger Vattenfall das ostdeutsche Braunkohlegeschäft der Leag mit Kraftwerken und Tagebaugebieten in der Lausitz.

Ruf nach neuen Wasserstoff-Pipelines

Im Gespräch mit unserer Redaktion mahnte López unlängst auch den Bau neuer Wasserstoff-Pipelines aus Südeuropa an. Deutschland benötige Leitungen aus Ländern wie Spanien, Portugal und Marokko, „sonst wird sich der riesige Wasserstoff-Bedarf in Deutschland kaum decken lassen“, gibt López zu bedenken.

Der Thyssenkrupp-Chef betont, dass die bereits in Bau befindliche erste Grünstahl-Anlage in Duisburg auch mit Erdgas laufen könne. Bei einer übermäßigen Nutzung von Erdgas statt Wasserstoff würde dem Revierkonzern aber nicht mehr die gesamte staatliche Förderung zustehen, sondern nur ein Teil der rund zwei Milliarden Euro: „Es sind Kontingente für den Einsatz von grünem Wasserstoff vorgesehen, an die Teile der staatlichen Förderung gekoppelt sind. Denn ein Ziel ist, die Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland anzukurbeln.“