Essen. Thyssenkrupp wirbt für ein Stahl-Bündnis mit dem Tschechen Kretinsky. Thyssenkrupp-Chef López äußert sich auch zu HKM in Duisburg.

Ein Hauptakteur, der bei Thyssenkrupp dieser Tage eine wichtige Rolle spielt, ist naturgemäß nicht zur Bilanzpressekonferenz erschienen: der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky. Aber – und das ist neu – das Thyssenkrupp-Management spricht mittlerweile offen darüber, welche Erwartungen in Essen mit Kretinsky verbunden sind. Im fein austarierten Wechselspiel von Redebeiträgen der Thyssenkrupp-Vorstände wird der tschechische Geschäftsmann nun auch namentlich erwähnt – und stark umworben.

Zunächst spricht Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López ausführlich darüber, warum er es als sinnvoll erachte, ein Bündnis mit Kretinskys Energiekonzern EPH einzugehen. Kurz darauf berichtet Personalvorstand Oliver Burkhard, Kretinsky sei mittlerweile auch mit Arbeitnehmervertretern von Thyssenkrupp „direkt im Austausch“. Mehrfach hatten einflussreiche Akteure der IG Metall betont, der potenzielle Investor habe noch kein „industrielles Konzept“ für den Stahl vorgelegt.

Es ist schwer vorstellbar, dass Thyssenkrupp-Chef López seine Pläne für ein neues Stahl-Gemeinschaftsunternehmen mit EPH gegen den Willen der einflussreichen IG Metall durchdrücken wird. Bei der Bilanzvorlage ist es die Aufgabe von Oliver Burkhard, einst IG Metall-Chef in NRW, die Bedeutung der betrieblichen Mitbestimmung hervorzuheben. Sollte es zu einem Deal mit Kretinsky kommen, werde es eine „Best-und-Fair-Owner-Vereinbarung“ geben, betont Burkhard. Wie eine solche Vereinbarung im Detail aussehen könnte, lässt der Manager wohlweislich offen.

Thyssenkrupp: „Diesen Ansatz unterstützt auch EPH“

Mögliche Auswirkungen auf die Beschäftigten durch ein Bündnis mit Kretinsky seien „überschaubar“, beteuert Burkhard. „Alle bestehenden Tarifverträge, alle Vereinbarungen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung sowie alle sonstigen Vereinbarungen im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung blieben davon unberührt“, so Burkhard. „Diesen Ansatz unterstützt auch EPH“, fügt er noch hinzu, fast wie ein Sprecher des Tschechen. Vorstandschef López bestätigt indes, dass sein Unternehmen mit EPH ein Gemeinschaftsunternehmen anstrebe, bei dem beide Partner jeweils zur Hälfte beteiligt sein sollen. „50-50 ist das Modell“, sagt López.

Thyssenkrupp-Chef Miguel López, begleitet von seinen Vorstandskollegen Oliver Burkhard (links) und Klaus Keysberg. Die Thyssenkrupp-Führung wirbt für ein Stahl- und Energie-Bündnis mit den tschechischen Milliardär Kretinsky.
Thyssenkrupp-Chef Miguel López, begleitet von seinen Vorstandskollegen Oliver Burkhard (links) und Klaus Keysberg. Die Thyssenkrupp-Führung wirbt für ein Stahl- und Energie-Bündnis mit den tschechischen Milliardär Kretinsky. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Für die IG Metall steht viel auf dem Spiel. Bei einem möglichen Einstieg des tschechischen Milliardärs geht es um mehrere große Werke in NRW, darunter Europas größter Stahlstandort Duisburg. Ein Forderungs- und Fragenkatalog der Gewerkschaft liegt auf dem Tisch. Zu klären ist aus Sicht der IG Metall unter anderem, ob der Konzern nach einer Übernahme durch Kretinsky weiterhin seinen Sitz in Deutschland haben werde und Thyssenkrupp langfristig beteiligt bleibe. Die IG Metall fordert zudem eine mehrjährige Sicherung von Standorten, Anlagen und der Beschäftigung.

HKM in Duisburg – López sieht aus Salzgitter und Vallourec gefragt

Neben dem Thyssenkrupp-Stahlstandort Duisburg mit vier Hochöfen hat die IG Metall auch das benachbarte Unternehmen Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Blick, das weitere zwei Hochöfen betreibt. Thyssenkrupp ist mit 50 Prozent an HKM beteiligt, hinzu kommen der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter und der französische Rohrhersteller Vallourec als Anteilseigner. Bei HKM laufen – ähnlich wie bei Thyssenkrupp – Vorbereitungen für den Bau einer Direktreduktionsanlage für die Grünstahl-Produktion. López betont auf Nachfrage bei der Bilanzpressekonferenz, die Diskussion über die Zukunft von HKM müsse von den drei Eigentümern geführt werden. Es müssten „in der nächsten Zeit Entscheidungen getroffen“ werden.

López wirbt eindringlich für das, was er eine „Energiepartnerschaft“ nennt. Eine entscheidende, aber noch offene Frage beim Aufbau der Grünstahl-Produktion sei: „Wo kommen die gigantischen Mengen grüner Energie her, die wir für einen klimaneutralen Betrieb der Anlagen benötigen?“ Schon mit der Inbetriebnahme der ersten Direktreduktionsanlage müssten allein für den Thyssenkrupp-Standort Duisburg „über 800 neue Windräder zu Wasser und auf Land gebaut werden“, erklärt López. Thyssenkrupp werde mit der Stahlsparte „absehbar einer der größten Verbraucher von Grünstrom und grünem Wasserstoff sein“. Künftig werden nach Einschätzung von López die Energiekosten bei der Stahlherstellung bis zur Hälfte der Gesamtkosten ausmachen.

Mit seinem Unternehmen EPH ist Kretinsky bereits in der deutschen Energiebranche aktiv. Im Jahr 2016 übernahm er vom Energieversorger Vattenfall das ostdeutsche Braunkohlegeschäft der Leag mit Kraftwerken und Tagebaugebieten in der Lausitz. Bislang ist der Tscheche aber nicht als großer Investor im Bereich der erneuerbaren Energien aufgefallen.

Hauptversammlung von Thyssenkrupp wieder in Präsenz

Die Stahlsparte von Thyssenkrupp ist eigenen Angaben zufolge bislang für rund 2,5 Prozent des gesamten Kohlendioxidausstoßes in Deutschland verantwortlich. Wenn die Produktion umgestellt werde, könne dies einen „Riesenbeitrag zur Dekarbonisierung“ leisten. „Die größten Klimaaktivisten im Land, das sind wir“, sagt López in diesem Zusammenhang.

Ein Beschluss der Hauptversammlung sei übrigens bei einem Teilverkauf des Stahlgeschäfts an EPH nicht erforderlich, sagt der Thyssenkrupp-Chef. Immerhin können die Aktionärinnen und Aktionäre des Konzerns Anfang nächsten Jahres wieder auf offener Bühne debattieren. Nach mehreren Digital-Veranstaltungen plant Thyssenkrupp für den 2. Februar in Bochum wieder eine Hauptversammlung in Präsenz.

Krupp-Stiftung erfreut über „Dividendenkontinuität“

Trotz des aktuellen Verlusts plant das Thyssenkrupp-Management die Ausschüttung einer Dividende. Wie im Vorjahr sollen rund 93 Millionen Euro an die Aktionärinnen und Aktionäre fließen. Das entspricht 15 Cent je Aktie. Nach drei Nullrunden hatte Thyssenkrupp für das Geschäftsjahr 2021/22 erstmals wieder Geld an die Anteilseigner überwiesen – zu diesem Zeitpunkt noch unter Martina Merz, der Vorgängerin von Miguel López. Der Essener Krupp-Stiftung – mit einem Anteil von rund 21 Prozent größte Einzelaktionärin – sollen damit rund 19,6 Millionen Euro zukommen.

„Die Stiftung begrüßt die in Aussicht gestellte Dividendenkontinuität“, erklärte eine Sprecherin von Stiftungschefin Ursula Gather auf Anfrage unserer Redaktion. „Trotz der notwendigen Wertberichtigung in der Bilanz der Stahlsparte ist die Stiftung zuversichtlich, dass die ergriffenen Performancemaßnahmen die Leistungsfähigkeit und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Thyssenkrupp nachhaltig stärken werden.“

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