Kreis Wesel. In kaum einem Kreis in NRW sind die Herausforderungen in der Pflege so gewaltig wie in Wesel. Der Bedarf ist explodiert und wird weiter steigen.

Ulrich Petroff wirkt wie ein Mann, der für seinen Beruf brennt. Es war also wenig verwunderlich, dass der Leiter der Heimaufsicht im Kreis Wesel ausgesprochen deutliche Worte für die Situation im Kursana-Altenheim in Hamminkeln gefunden hatte. Wegen Personalmangels gab es in der Einrichtung in Mehrhoog zwischenzeitlich Probleme bei der Pflege der Bewohner, wie Petroff Ende November in einem Ausschuss in Hamminkeln berichtete. Zwar beteuert die Verwaltung, dass zumindest diese Probleme dort mittlerweile gelöst sind – der Fall macht aber deutlich, wie groß die Herausforderungen in der Pflege im Kreis Wesel schon sind und in Zukunft noch sein werden.

Denn immer mehr Menschen im Kreis sind pflegebedürftig oder haben einen Anspruch auf Pflege. Eindrücklich zeigt die Entwicklung der Altersstruktur das auf: Während im Jahr 2000 knapp 15 000 Menschen (3,1 Prozent der Bevölkerung) über 80 Jahre alt waren, sind es im Jahr 2020 bereits mehr als 35 000 gewesen – das entspricht einem Anteil von 7,7 Prozent. Gleichzeitig ist die Zahl der unter 19-Jährigen von gut 105 000 auf etwas weniger als 82 000 gesunken. Man könnte sagen: Der Kreis Wesel vergreist.

Der Kreis Wesel gehört zu den ältesten in NRW

Im landesweiten Vergleich sticht der Kreis Wesel hervor – beim Altersdurchschnitt liegt er mit 46,2 Jahren auf Platz zwei in Nordrhein-Westfalen, lediglich die Bürgerinnen und Bürger im Ennepe-Ruhr-Kreis sind noch etwas älter. In konkreten Zahlen drückt sich das etwa im Vergleich mit dem Nachbarkreis Borken aus, den die Verwaltung ausgerechnet hat: Hätte der Kreis Wesel die selbe Altersstruktur, würden hier etwa 6700 Menschen weniger leben, die 80 Jahre und älter sind. „Wir haben demografie-bedingt eine rote Ampel“, sagt Petroff.

Dementsprechend ist die Anzahl der Pflegebedürftigen schier explodiert – was jedoch nicht nur mit dem Alter der Menschen begründet werden kann, sondern auch mit der veränderten Definition des sogenannten Pflegebedürftigkeitsbegriffes im Jahr 2017. Während es zur Jahrtausendwende rund 12 000 Pflegebedürftige im Kreis gab, sind es nach den aktuellsten Zahlen der Verwaltung über 31 000.

Was jetzt bei Kursana passiert ist, könnte flächendeckend zur Realität werden: Weil nicht genügend Pflegekräfte da sind, kann nur die Hälfte der Heimplätze belegt werden. „Der Personalmangel wird in der Zukunft noch größer“, sagt Petroff, der aber auch betont, dass es derzeit kein massives Personalproblem im Kreis gebe, sehr wohl aber beinahe bereits überall einen Bedarf für Neueinstellungen.

Kreis Wesel: Großer Bedarf nach neuem Pflegepersonal

Doch schon in den nächsten Jahren könnte sich die Problematik in den stationären Einrichtungen verschärfen: Bis Juli 2023 muss die Zahl der Vollzeitstellen von Pflegekräften im Kreis Wesel um 475 steigen, in dieser Rechnung entfallen 130 Stellen auf Pflegefachkräfte, die eine dreijährige Ausbildung absolviert haben. Hinzu kommen Pflegehelfer- und Helferinnen mit einer einjährigen Ausbildung sowie die sogenannten Pflegehilfskräfte, die keine Ausbildung gemacht haben.

Die Corona-Situation stellt das Personal in Pflegeeinrichtungen vor weitere Herausforderungen (Symbolbild).
Die Corona-Situation stellt das Personal in Pflegeeinrichtungen vor weitere Herausforderungen (Symbolbild). © dpa | Jens Kalaene

Um eine Überlastung des Systems zu verhindern, sind aus Sicht des Kreises unterschiedliche Maßnahmen nötig. Für ganz entscheidend hält Ulrich Petroff den Ausbau der Kurzzeit- und Tagespflege. „Wir brauchen eine Tagespflege für jeden kleinen Ortsteil“, sagt der Leiter der Heimaufsicht. In der Praxis ist man davon aber noch weit entfernt, derzeit gibt es im Kreis 671 Tagespflegeplätze – in manchen Kommunen wie Hamminkeln, Kamp-Lintfort, Alpen oder Sonsbeck gibt es derzeit nur eine oder zwei Einrichtungen. Besser aufgestellt sind die Städte Moers, Dinslaken und Wesel.

Heimaufsicht betont: Wir haben gute Heime

Auch bei der ambulanten Pflege sieht der Kreis Ansatzpunkte. Im Januar soll deshalb ein Austausch mit möglichst vielen der rund 70 Dienstleister stattfinden, die hier tätig sind. Die Verwaltung will eine Plattform bieten, um die Routen zu den Pflegebedürftigen effektiver zu gestalten.

Trotz der komplizierten Lage will Petroff unbedingt den Eindruck vermeiden, dass der Kreis Wesel ein generelles Problem mit der Qualität der Pflegeeinrichtungen hat. „Wir haben gute Heime und gehen allen Beschwerden nach. Die Situation bei Kursana hat sich deutlich verbessert, es gibt keine Mängel mehr.“ Dennoch macht der Leiter der Heimaufsicht deutlich, wie herausfordernd diese Entwicklungen sind und wie dringlich der Handlungsbedarf ist: „Es geht nicht um eine ferne Zukunft, sondern die Pflege muss hier und heute sichergestellt werden.“ Die Pandemie erschwert die Lösung dieser Probleme: Das Personal in den meisten Pflegeeinrichtungen arbeitet seit Monaten am Limit.