Oberhausen. Elterntaxis sorgen immer wieder für Diskussionen. Experten der Oberhausener Verkehrswacht sind über einen der genannten Gründe überrascht.
Melina und Victoria haben den Dreh sofort raus. Die Kindergarten-Kinder brauchen nur ein paar Sekunden, um sich mit dem Laufrad vertraut zu machen. Schon düsen die zweijährige Melina und die dreijährige Victoria über den Innenhof der Kita Heidekids. „Ich hab auch einen Roller“, sagt Melina. „Aber der ist gerade kaputt.“ In der Kita kann sie jetzt jeden Tag fahren.
Seit 2015 besucht die Verkehrswacht Oberhausen Kindergärten und hat stets ein paar neue Roller und Laufräder im Gebäck. In dieser Woche erhielt auch der neue Lebenshilfe-Kindergarten in Osterfeld ein Paket samt Helmen. „Die Kinder freuen sich wahnsinnig darüber“, sagt Leiterin Judith Schacht. Drei Roller und drei Laufräder sind jetzt im Besitz des Kindergartens.
Kita-Projekt: Hohe Zahl an Verkehrsunfall als Auslöser
Die Aktion hat einen ernsten Hintergrund. Nachdem im Jahr 2015 14 Kinder im Straßenverkehr in Oberhausen verunglückten, wollte die Verkehrswacht etwas tun und so früh wie möglich mit der Förderung anfangen. Inzwischen hat sie 92 Kindergärten in Oberhausen mit ihren Roller-Sätzen ausgestattet. Geschätzter Gegenwert: 75.000 Euro. „Kinder sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer“, sagt der Vorsitzende der Verkehrswacht, Dirk Marten. „Sie sehen anders. Sie können die Geschwindigkeit nicht einschätzen, nicht wahrnehmen, ob sich das Auto nähert oder nicht. Deshalb wollen wir schon früh die Bewegung fördern und für den Verkehr sensibilisieren.“
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Das Projekt scheint Wirkung zu zeigen. 2022 gab es keinen einzigen Schulweg-Unfall. 2023 wurde ein Kind verletzt. Erfreulich für die Verkehrsexperten, die zum Beispiel an Grundschulen Fußgängerprüfungen anbieten und so die Kinder fit für den Verkehr kriegen wollen. Allerdings beobachten sie eine andere Entwicklung mit Sorge: die Elterntaxis.
Elterntaxis: Sorge vor Kindesentführung
Immer wieder sorgen diese Eltern-Fahrdienste für Diskussionen in Oberhausen und den Nachbarstädten. Denn durch das Abholen und Bringen bis zum Schultor entstehen gefährliche Situationen. Stellenweise protestieren Schulkinder gegen Elterntaxis. Polizei und Schulleiter machen durch Aktionen auf die Gefahren aufmerksam. Die Beweggründe sind vielfältig: Oft wird der lange Schulweg angegeben. Auch Dirk Marten beobachtet, dass im Vergleich zu früher der Weg zur Schule länger wird. „Die Entscheidung für die Grundschule ist heute teilweise abgekoppelt vom Wohnort.“ In den Kitas besteht oft noch eine wohnliche Nähe. Heidekids-Leiterin Schacht stellt fest, dass viele Kinder mit dem Kinderwagen gebracht werden. Das ändere sich dann in der Grundschule. „Ich bin selbst berufstätig und kann verstehen, dass man auf dem Weg zur Arbeit das eigene Kind vor der Schule absetzt“, sagt Schacht.
Doch die Verkehrsexperten machen noch weitere Gründe aus: Zum einen sinke die Lust zur Bewegung. Statistiken weisen auf die negative Tendenz hin, dass mehr Kinder ein Problem mit dem Gewicht haben. Als Ursache dafür wird Bewegungsmangel vermutet. Ein weiterer Grund überrascht die Verkehrswacht, weil er Tatsachen entbehrt: „Viele Eltern haben Angst vor Kindesentführungen“, sagt Dirk Marten. Sie befürchten, dass ihren Kindern auf dem Schulweg etwas zustoßen könne. „Das sind oft Gerüchte und Spekulationen, die in Whatsapp-Gruppen weitergeleitet werden.“ Dabei spreche die Statistik eine andere Sprache. Die Kriminalität nimmt ab. Oberhausen zählt bundesweit zu den sicheren Großstädten. Polizistin Melanie Birr fasst es so zusammen: „In 28 Jahren, in denen ich bei der Polizei bin, habe ich noch nie erlebt, dass ein Kind auf dem Schulweg entführt wurde.“
Sicher zur Schule: Expertin gibt Tipps
Sie rät Eltern, den Weg zur Schule gemeinsam abzugehen, aber nicht nur das: „Wichtig ist, dass Eltern den Schulweg mit den Kindern lernen, die Kinder also einbeziehen. Dann werden sie ganz schnell feststellen, dass die Kinder auch lernen.“ Wo sind Ampeln? Wo muss ich stehenbleiben? Das würden Kinder zügig begreifen. Auch sei es wichtig, den Schulweg im Alltag zu trainieren und nicht in den Ferien, wo der Verkehr in der Regel ruhiger ist.
Eine Unlust an Bewegung stellt zumindest Kita-Leiterin Schacht in ihrer Einrichtung nicht fest. „Die Kinder sind in aller Regel sehr neugierig darauf, sich selbst auszuprobieren und Neues zu erlernen.“ Das lässt sich auch an diesem Morgen beobachten: Melina und Victoria denken gar nicht daran, von ihren Laufrädern zu steigen.