Oberhausen. In Oberhausen suchen Eltern verzweifelt Betreuungsplätze für ihre Kinder. Nils Gehring hat welche, wird sie aber nicht los. Er ist frustriert.
Wenn die Kinder unten toben, reißt Nils Gehring die Fenster seines Büros auf. Er hat einen freien Blick auf die St. Marienkirche. Was ihn glücklich macht, ist nicht das Geläut des Gotteshauses, sondern der Lärm der Kinder seiner Betriebskita. „Das ist die Entlohnung für die Mühen“, sagt er.
Mit seinen 38 Jahren leitet Nils Gehring ein wachsendes Unternehmen am Max-Planck-Ring. Die Gehring Group ist ein Spezialist für Aktenarchivierung. In Zeiten von Corona, als die Pandemie der Digitalisierung einen Schub gab, war die digitale Lagerung von Daten sehr gefragt. Nils Gehring ist aber nicht nur Firmenchef, sondern auch Vater von Zwillingen. „Wenn die Betreuung nicht funktioniert, kann das zu einer echten Zerreißprobe für die gesamte Familie werden“, sagt der Mülheimer.
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Betriebskita ist ein Herzensprojekt des zweifachen Vaters
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Die Betriebskita war deshalb ein Herzensprojekt des Unternehmers. Im vergangenen August wurde der eindrucksvolle Bau hinter der großen Lagerhalle fertiggestellt. Oben moderne Firmenräume, unten eine schicke Kita. Das Besondere ist allerdings kaum zu sehen: Der Dachspielplatz. Geschützt von Glaswänden können die Kinder auf dem Dach des Unternehmens spielen. Die Konstruktion ist allerdings so aufwendig und speziell, dass sie den Firmenchef einige Nerven gekostet hat und den Start der Kita verzögert hat.
Man könnte meinen, die Plätze in einer solchen Kita sind schnell vergriffen. In Oberhausen suchen Eltern verzweifelt Kita-Plätze. Das Giraffenland hat zudem fast das ganze Jahr geöffnet und bietet Betreuungszeiten von 7 bis 17 Uhr an. 120 Kinder können hier spielen, schlafen, essen. Aber: Nils Gehring wird die Plätze nicht los.
Die Betriebskita hat seitens des Jugendamtes eine Auflage bekommen: Die Hälfte der Plätze gehören sozusagen der Öffentlichkeit – sie werden durch die Stadt vermittelt und sind daher für alle zugänglich. Die anderen 60 Plätze dürfen Arbeitgeber und Selbstständige buchen. Die 60 städtischen Kita-Plätze sind allesamt weg, die der Arbeitgeberseite nicht. 30 Plätze könnten noch vergeben werden.
Der Haken an der Sache ist: Die Arbeitgeber müssen die Plätze für ihre Angestellten buchen. Sie zahlen 250 Euro pro Platz im Monat, die sie über die Betriebskosten abrechnen könnten. Bedeutet auch: Angestellte, die einen Betreuungsbedarf haben, müssen sich an ihren Arbeitgeber wenden – und der muss sich mit der Gehring Group beziehungsweise dem Träger in Kontakt setzen.
Firmenchef Nils Gehring: Betriebskita zahlt sich für das Unternehmen aus
„Was mich am meisten frustriert ist, dass in Oberhausen rund tausend Plätze fehlen und ich nicht weiß, wie ich die Betroffenen erreichen kann.“
Die Gehring Group hatte anfangs fünf Plätze für ihre Mitarbeitenden reserviert. Mittlerweile sind es drei, weil Nils Gehrings Kinder in die Schule gehen. Das Unternehmen hat 46 Mitarbeitende. Nils Gehring findet, die Betriebskita zahlt sich aus: So konnte eine junge Mitarbeiterin ihre Ausbildung nur deshalb machen, weil sie einen Betreuungsplatz hatte.
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Nils Gehring nahm an, dass seine Vision auch von anderen Unternehmen geteilt wird. Die Rollenaufteilung habe sich gewandelt. „Zum Glück“, sagt Nils Gehring. Im Ringen um Fachkräfte müssten Firmen etwas anbieten können, das den Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfüllt. „Der Staat muss das machen? Nein, wir müssen was machen. Wir Unternehmen müssen selbst anpacken und unserer sozialen Verantwortung gerecht werden“, sagt Nils Gehring.
Der Begriff Belegplatz könnte abschreckend wirken
Das Giraffenland ist die erste Betriebskita in Oberhausen. Sie genießt somit eine Vorreiterrolle in der Stadt. Aber das Modell kommt noch nicht an. Warum? Nils Gehring vermutet, dass der Begriff „Belegplatz“ hauptsächlich in Großstädten bekannt ist. Das würde manche abschrecken, die im Glauben seien, diese Plätze seien für die Angestellten des Unternehmens belegt. „Vielleicht müssen wir für mehr Verständnis werben“, überlegt Nils Gehring.
Womöglich hat es auch mit einem Wertewandel zu tun. Nils Gehring spricht offen über die Herausforderung, die Kinder mit sich bringen, über die Anstrengung für eine Familie. Seine Kinder sind zwar nicht mehr in der Kita und toben unten im Sandkasten, aber sie sind weiterhin präsent: Die Pinnwand hinter seinem Schreibtisch ist voll von Familienfotos. Ob er noch mal eine Betriebskita bauen würde? „Ja. Erstens, weil ich jetzt weiß, wie es geht. Zweitens, weil ich täglich in die glücklichen Kinderaugen sehe“.
>>> Nächstes Projekt: Schulkinderbetreuung
Im nächsten Jahr möchte Nils Gehring eine Schulkinderbetreuung anbieten. Diese soll nachmittags stattfinden und den Kindern unter anderem bei den Hausaufgaben helfen. Damit möchte er auf fehlende Plätze im Offenen Ganztag reagieren.
Im Zuge dieses Projektes soll es auch eine Ferienbetreuung geben.