Mülheim. Sie alle haben ausländische Wurzeln, sind in Mülheim und Umgebung heimisch. Über ihre Erfahrungen und was sich in Deutschland ändern muss.

„Nehmen wir mal das japanische Viertel in Düsseldorf“, sagt Awo-Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum und lehnt sich nach vorne. „Dort kann man leben, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Trotzdem würde niemand sagen, dass sich dort ein Ghetto bildet. Wäre das bei türkischen Menschen auch so?“ Das Beispiel sitzt. Jede Kultur hat ein Image und das prägt maßgeblich, wie man Menschen dieser Kultur begegnet. „Japaner gelten als fortschrittlich und von hohem Bildungsstand“, sagt Michaela Rosenbaum und schiebt gleich hinterher: „Es gibt eben auch das, was sich positiver Rassismus nennt.“

Leben das Miteinander (hintere Reihe v.l.): AWO Mülheim Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum, Noureddine Qassimi, AWO Mülheim Vorsitzende Jacqueline El-Masri, (vordere Reihe v.l.) Ewa Soszynska, Ae-Rin Kim und Isabella Gopin erzählen ihre persönlichen Geschichten über Flucht, Migration und Partizipation.
Leben das Miteinander (hintere Reihe v.l.): AWO Mülheim Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum, Noureddine Qassimi, AWO Mülheim Vorsitzende Jacqueline El-Masri, (vordere Reihe v.l.) Ewa Soszynska, Ae-Rin Kim und Isabella Gopin erzählen ihre persönlichen Geschichten über Flucht, Migration und Partizipation. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Es gibt nur eine Sache, die gegen Stereotype und Vorurteile hilft und das ist persönlicher Kontakt. Deshalb hat sich die Awo zum internationalen Tag gegen Rassismus etwas einfallen lassen. In der hauseigenen Werkstatt haben sie eine Bank bauen lassen mit der Aufschrift „Wir schaffen Platz für Vielfalt“. Auf dieser Bank, die demnächst vervielfältigt und an mehreren Awo-Standorten aufgestellt werden soll, nahmen verschiedene Awo-Mitarbeitende Platz und erzählten die Geschichte ihrer Migration. Wir haben sie protokolliert und geben sie hier wieder. Lebenswege, die deutlich machen, welch großer Schritt es ist, in einem fremden Land neu anzufangen. Und die die Frage aufwerfen: Wie wäre es für mich, in einer neuen Heimat Fuß zu fassen?

Fatemeh Hippler: Deutschland, das Land der Papiere

Fatemeh Hippler ist Beraterin im kommunalen Integrationsmanagement.
Fatemeh Hippler ist Beraterin im kommunalen Integrationsmanagement. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Fatemeh Hippler stört es nicht, wenn sie gefragt wird, wo sie herkommt. Sie wurde im Iran geboten, hat in mehreren Ländern gelebt und sagt: „Es ist schön, multikulti zu sein.“ Sie kam vor vielen Jahren als Studentin nach Deutschland, inzwischen arbeitet sie selbst im Integrationsmanagement mit Menschen zusammen, die neu nach Deutschland kommen. Sie sagt: „In meinen Anfangsjahren war ich noch nicht aufmerksam gegenüber Alltagsrassismus, habe alles so hingenommen, wie es war.“ Inzwischen habe sie durch ihre Arbeit feinere Antennen. Deutschland, das ist für sie „das Land der Papiere“. Manchmal wünscht sie sich einfachere Strukturen.

Noureddine Qassimi: Integration muss von beiden Seiten kommen

Noureddine Qassimi ist Asylverfahrensberater in der ZUE Raadt.
Noureddine Qassimi ist Asylverfahrensberater in der ZUE Raadt. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Der gebürtige Marokkaner ist durch seine weit verstreute Verwandtschaft und seinen früheren Beruf zum Weltbürger geworden. Er studierte Anglistik und lernte als Hotelkaufmann die Welt kennen. Dann kam er nach Deutschland und war enttäuscht, wie wenig NRW touristisch erschlossen ist. Er schulte um auf Fitnessfachwirt und kam so über ein sportpädagogisches Projekt zur Arbeit mit Geflüchteten. Heute arbeitet er in der Zentralen Flüchtlingsunterkunft in Raadt, die immer wieder in die Schlagzeilen gerät und wo es starke Spannungen mit der Nachbarschaft gibt. Welche Haltung hat der Vielgereiste zum Thema Integration? „Man erwartet Integration von Menschen, die gerade erst in dieses Land gekommen sind. Man sollte nicht von einer höheren Position herabsetzend Anweisungen geben, sondern die Sicht des anderen verstehen. Es bringt zum Beispiel viel, wenn Behördenmitarbeiter eine Fremdsprache sprechen, etwa Englisch oder Französisch.“

Isabella Gopin: Dann noch ein bisschen Glück

Isabella Gopin ist Verwaltungsmitarbeiterin bei der Awo und leitet den Schenkladen.
Isabella Gopin ist Verwaltungsmitarbeiterin bei der Awo und leitet den Schenkladen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Eigentlich arbeitet Isabella Gopin in der Awo-Verwaltung. Doch als kurz nach Ausbruch des Ukrainekriegs der Schenkladen für Spenden eröffnete, war für die gebürtige Ukrainerin klar: „Da mache ich mit. Denn das ist nicht bloß ein Laden.“ Sie muss Tränen unterdrücken, während sie das sagt. „Die Leute sind hier hingekommen, ohne Kenntnisse über dieses Land zu haben.“ Ihr wichtigster Rat für ihre eingereisten Landsleute: „Sprache ist die wichtigste Sache. Dann noch ein bisschen Glück, ein bisschen Mut und ein bisschen Spaß. Und nie im Leben aufgeben.“

Ae-Rin Kim: Behördendeutsch macht das Leben schwer

Ae-Rin Kim ist Beraterin im Berufs- und Bewerbungscoaching.
Ae-Rin Kim ist Beraterin im Berufs- und Bewerbungscoaching. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Ae-Rin Kim ist in Bochum geboren. Ihre Eltern waren es, die Mitte der Siebzigerjahre aus Südkorea einwanderten. „Über mich wurden gern Witze gemacht, dass ich gut Mathe können müsste“, erinnert sie sich an ihre Schulzeit. Gute Mathekenntnisse - das sei ein klassisches Klischee, das mit Südkoreanern in Verbindung gebracht würde. Ihre Eltern machen unterschiedliche Erfahrungen. Ihre Mutter, die als Krankenschwester arbeitet und schnell gute Deutschkenntnisse erwerben musste, werde herzlich aufgenommen. Ihr Vater, der zunächst unter Tage arbeitete, hat weniger gute Sprachkenntnisse und werde dementsprechend anders behandelt. „Die bürokratische Sprache in offiziellen Schreiben ist für beide ein Problem. Es vergeht fast keine Woche, in der ich nicht einen Anruf von meinen Eltern deswegen bekomme.“

Ewa Soszynska: Berufliche Chancen hart erkämpft

Ewa Soszynska leitet eine besondere Wohnform für psychisch kranke Erwachsene.
Ewa Soszynska leitet eine besondere Wohnform für psychisch kranke Erwachsene. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die Liebe brachte Ewa Soszynska 2004 von Polen nach Deutschland. Was sie damals schnell lernte: Ihr Studium der russischen Philologie bringt ihr hier gar nichts. Also machte sie viele Jahre lang Aushilfsjobs, arbeitete unter anderem als Reinigungskraft und Hautcreme-Verkäuferin. „Ich hatte so viele Baustellen am Anfang, ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte.“ Letztlich stellte sie fest: Wenn sie sich beruflich weiterentwickeln will, „habe ich keine andere Chance, als nochmal zu studieren“. Sie entschied sich für soziale Arbeit und arbeitet inzwischen in einer Awo-Wohnform für Menschen mit psychischer Erkrankung. „Die Nichtanerkennung von Abschlüssen ist ein Problem. Manchmal scheitert es daran, dass sich die Leute die Übersetzung ihrer Dokumente nicht leisten können, denn die ist sehr kostspielig“, sagt sie.

Zum Abschluss des Gesprächs zitiert Ewa Soszynska die Awo-Gründerin Marie Juchacz. Diese habe gesagt: Der Starke soll mit eintreten für den Schwachen zum Wohle des Ganzen. „Früher war ich die Schwache, heute bin ich die Starke. Manchmal reichen ein paar Tipps oder kleine Gesten, um viel Gutes zu tun.“

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