Mülheim. Wenn der Liebhaber nur ein Double ist: Regisseur Philipp Preuss widmet sich an Mülheims Theater einem antiken Stoff. Was zu sehen sein wird.
Einen Klassiker der Weltlitertur hat Regisseur Philipp Preuss sich vorgenommen. Er liefert für „Rausch 3“ im Theater an der Ruhr seine Version von Heinrich von Kleists „Amphitryon“. Die Tragikomödie um den doppelten Amphitryon – den weltlichen Feldherrn aus Theben und seinen göttlichen Doppelgänger (Gott Jupiter) – ist ein verwirrendes und beunruhigendes Spiel um Identität. Preuss lotet in seiner Inszenierung Bewusstseinsabgründe aus. Premiere ist am Freitag, 15. März, um 19.30 Uhr im Theater an der Ruhr.
Der Ursprung des Amphitryon-Stoffes ist die uralte Sage von der Zeugung und Geburt der Halbbrüder Herakles und Iphikles. Aktuell kennt man über 50 verschiedene Werke, die diesen mythologischen Stoff behandeln. Kleist hat die Fassung von Molière aus dem Jahre 1668 überarbeitet, aus der Gesellschaftskomödie des französischen Autors aber ein Stück geschaffen, das um Identität und Identitätsverlust, um das Bewusstsein vom eigenen Ich kreist. Die Ereignisse der Zeit (um 1807) sind in das Werk eingeflossen: Der Beginn des 19. Jahrhunderts war eine Zeit des Umbruchs, in wirtschaftlicher, politischer und literarischer Hinsicht.
Gott Jupiter verführt Alkmene in Gestalt ihres Gatten Amphitryon
Zur Handlung: Der Gott Jupiter verführt die irdische Alkmene in Gestalt ihres Gatten Amphitryon. Als der Gehörnte von einem siegreichen Feldzug zurückkehrt, wird er mit dem „Ehebruch“ und mit seinem Doppelgänger konfrontiert. Vergeblich versucht er, seine Echtheit zu beweisen. Auch Alkmene erkennt den echten Ehemann nicht. Am Ende gibt sich Jupiter zu erkennen und entschädigt Amphitryon mit dem Versprechen, dass seine Frau ihm den Gottessohn Herkules schenken werde.
„Kleists Drama leuchtet wie kein anderes eine fundamentale Krise der Identität aus: Wie kann ich eigentlich meiner selbst sicher sein? Was passiert, wenn ich meiner eigenen Erfahrung und Empfindung nicht mehr trauen kann – und wie kann ich noch handeln, wenn die Sache, von der ich vermeintlich die größte Sicherheit besitze, nämlich die Ich-Identität, erschüttert wird? Das passiert nämlich den Dramenfiguren Amphitryon und seinem Diener Sosias, die sich plötzlich selbst gegenüberstehen: Jupiter nimmt die Gestalt Amphitryons an, um dessen Gattin Alkmene zu verführen – und Sosias wird vom Gott Merkur verdoppelt, damit dieser seinem Chef Jupiter beim Liebesabenteuer den Rücken freihalten kann“, erläutert Regisseur Philipp Preuss.
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Aber auch Alkmene, die den „Betrug“ nicht erkennt, könne auf ihre eigene Erfahrung und ihr Gefühl nicht mehr bauen. „Die Verdopplung hat komisches Potenzial – aber natürlich auch irritierendes“, so Dramaturgin Constanze Fröhlich. Eine wichtige Folie, vor der das Stück spiele, sei zudem der Krieg, aus dem der Feldherr Amphitryon zurückkehrt. „Gewalterfahrung führt zur Abspaltung von Identitätsanteilen, sie zeigt Menschen von einer unbekannten Seite. Auch das ist in Kleists Text enthalten: Wir sind nicht immer die, die wir zu sein glauben“, erklärt Philipp Preuss.
In Mülheimer Theater an der Ruhr „fliegen die Perücken“
Wie passt das alles zum Spielzeit-Thema „Rausch“? „Die Figuren (bei Kleist) haben keinen Zugriff mehr auf ihr Bewusstsein, sie erleben sich als Opfer von Vorgängen, die sie in ihrer Person infrage stellen. Das kann im Rausch passieren: Man erlebt sich als nicht mehr handlungsfähig, weiß nicht mehr, wer man ist. Die Liebesnacht von Alkmene und Jupiter ist eine absolute Rausch-Erfahrung – wie soll man von einem solchen „Trip“ ohne Schaden wieder runterkommen?“
Die Inszenierung bietet viel für Augen und Ohren: Das Bühnenbild von Sara Aubrecht ruft eine klassische barocke „Gassenbühne“ auf, die zahlreiche Möglichkeiten von Auf- und Abgängen erlaubt. Das Spielerische zeige sich, so Preuss, auch in den Kostümen (Eva Karobath), die bei den rasanten Identitätswechseln rasch gewechselt werden müssen: „Das hat durchaus komisches Potenzial: Hier fliegen die Perücken!“, sagt Constanze Fröhlich. Musiker Kornelius Heidebrecht entwirft einen suggestiven, elektronischen Klangteppich und Videokünstlerin Konny Keller findet „traumartige Bilder für Vervielfachung und Persönlichkeitsspaltung“.
Weitere Vorstellungen finden am Samstag, 16. März, um 19.30 Uhr, am Sonntag, 17. März, um 18 Uhr, sowie am 24., März und 11., 12. und 13. April statt. Mehr Informationen unter theater-an-der-ruhr.de.
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