Mülheim. Ob jemand in Mülheim oder Essen wohnt, macht für Bürgergeldempfänger viel aus. Städte bestimmen über angemessene Wohnkosten. Spart Mülheim zu sehr?

Bürgergeld ist Bürgergeld, wer wie viel bekommt, ist schließlich gesetzlich geregelt und überall in Deutschland gleich. Stimmt aber so nicht. Zwischen den Kommunen tun sich große Lücken auf. Wer etwa in Mülheim wohnt, kann vergleichsweise kräftig draufzahlen, im Durchschnitt mehr als 100 Euro fürs Wohnen und Heizen. Der Grund: Die Städte dürfen den Kostenbedarf selbst einschätzen. Ein Spielraum, den die Stadt an der Ruhr mehr auskostet als manche andere.

Denn nur ein paar Meter weiter sieht es schon anders aus: Knapp 80 Euro müssen Mieterbedarfsgemeinschaften nach SGB II in Oberhausen in der Regel zu ihren Wohnkosten selbst beisteuern - das zeigt ein Vergleich des Landesverbands des Sozialverbands Deutschland, der Zahlen von 2022 zugrundelegt. In Essen sind es sogar nur 78,43 Euro, in Duisburg kommt man auf durchschnittlich 76,31 Euro.

Mancher Bürgergeldempfänger hat die Wahl: zahlen oder frieren

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Möglich macht das ein Passus im Gesetz: So sollen zwar die Kosten für Unterkunft und Heizung „in tatsächlicher Höhe“ von den Kommunen übernommen werden. Doch nur dann, wenn sie als „angemessen“ bewertet werden. Darüber, was für Mieten und Heizkosten angemessen ist, befindet aber die jeweilige Kommune selbst. Eine Hintertür, die laut Sozialverband zu ungleichen Lebensbedingungen führt.

Sind etwa die Unterkunftskosten aus Sicht der Stadt unangemessen hoch, können die Betroffenen aufgefordert werden, die Kosten innerhalb einer Frist von höchstens sechs Monaten zu senken, in der Regel heißt das ‚umziehen‘. Oder aber die Differenz selbst stemmen zu müssen. Auch beim Heizen kann die Stadt festlegen, wann es zu viel ist. Dann heißt es Sparen und Frieren - oder draufzahlen. Nur fehlt das Geld dann an anderer Stelle.

So nutzt die Stadt ihren Ermessungsspielraum

Wie die Stadt die Angemessenheit von Mieten und Heizkosten berechnet? Zwei Personen, zum Beispiel Alleinerziehende mit Kind, haben Anspruch auf 65 Quadratmeter, allerdings nur bis zu einer Kaltnettomiete von 5,92 Euro pro Quadratmeter. Die Obergrenze liegt bei Bestandswohnungen demnach bei 384,80 Euro kalt. Mit den Betriebskosten werden brutto maximal 533,65 Euro übernommen, Heizkosten kommen obendrauf.

Familien ab vier Personen stehen 95 Quadratmeter zu, die Obergrenze liegt bei 782,80 Euro ohne Heizkosten. Für Neuanmietungen liegt die Grenze der Angemessenheit jeweils etwas höher, was in Summe zwischen 10 und 40 Euro ausmachen kann.

Familien und Alleinerziehende zahlen am meisten drauf

Rund neun Prozent solcher Bedarfsgemeinschaften in Mülheim zahlen einen Teil der Wohnkosten aus eigener Tasche, haben die Erhebungen des Sozialverbands Deutschland ergeben.

Die Stadtverwaltung hingegen kommt auf abweichende, deutlich niedrigere Werte, was unter anderem daran liegen könnte, dass der Verband sich auf frühere Daten bezieht: Der Stadt zufolge wurden die Unterkunftskosten aktuell in 437 Fällen von insgesamt rund 10.000 Bedarfsgemeinschaften in Mülheim gekürzt. Das entspricht einer Quote von nur 4,37 Prozent.

Im Jahr spart Mülheim durch solche Kürzungen etwa 44.242,44 Euro. Das seien durchschnittlich nur geringe Kürzungen bezogen auf die Menge aller Bedarfsgemeinschaften - so rechnet die Stadt. Bezogen auf die 437 Fälle jedoch im Schnitt knapp 101 Euro pro Fall.

Laut Sozialverband zeigen die Zahlen aber ebenso, dass der Sparkurs der Kommunen insbesondere Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und Alleinerziehende trifft. Erste müssten ihren Berechnungen zufolge in Mülheim rund 142 Euro aufwenden, letztere etwa 118 Euro monatlich. Singles hingegen müssen durchschnittlich 95 Euro selbst berappen.

Sozialverband fordert Prüfung der kommunalen Unterschiede

Der Sozialverband Deutschland schlägt Alarm angesichts landesweiter Ungleichheiten zwischen den Lebensverhältnissen in den NRW-Kommunen: „Es könnte sein, dass die Kommunen ihre Entscheidungsspielräume allzu sehr ausnutzen“, gibt Daniel Kreutz, Sozialexperte des Verbands, zu bedenken. Dass auch in Mülheim besonders betroffene Alleinerziehende hohe Zuzahlungen leisten müssen, hält Kreutz für dramatisch. „Oft ist es so, dass der eine Partner auszieht und die Alleinerziehende - in der Regel sind das Frauen - mit dem Kind in der Wohnung bleibt. Die ist dann aber unter den Entscheidungskriterien der Stadt plötzlich ‚zu groß‘.“

Doch sparen verschuldete Kommunen, auch Mülheim, also auf Kosten der Ärmsten? Verschuldung und durchschnittliche Mieten in einer Stadt könnten bei der Bemessung zwar eine Rolle spielen, räumt Kreutz ein, doch längst nicht alle Städte, die einen hohen Mietspiegel haben, haben auch einen hohen Anteil an Bedarfsgemeinschaften, die zuzahlen müssen. In Münster zum Beispiel seien nur 3,7 Prozent betroffen. In Mülheim liegt der Anteil mit 8,8 Prozent (Stadt abweichend: 4,3 Prozent) zwar mehr als doppelt so hoch, aber immer noch ein gutes Stück unter dem Landesdurchschnitt.

Daher will sich der Verband mit Mutmaßungen über die Ursachen zurückhalten und fordert Aufklärung durch die Landesregierung: Sie habe die Fachaufsicht, bemerkt Kreutz, und müsse daher nachforschen, wie diese Unterschiede zustande kommen.

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