Mülheim. Während des Weltkriegs gab es 44 öffentliche Bunker in Mülheim. Fast alle sind weg. Wie wird heute für Zivilschutz gesorgt, wenn Gefahr droht?
Vor mehr als 80 Jahren erlebte Mülheim den schlimmsten Luftangriff des Zweiten Weltkrieges. Er legte vor allem die Innenstadt in Schutt und Asche und kostete mehr als 500 Menschen das Leben. Mülheim wurde während des Krieges rund 160 Mal aus der Luft angegriffen. 800 Mal wurde Luftalarm gegeben und die Menschen damit aufgerufen, einen der damals 44 öffentlichen Bunker oder einen der 500 Luftschutzräume aufzusuchen. Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die zum Teil bei der Trümmerbeseitigung eingesetzt wurden, war der Zutritt zu Luftschutzräumen und Bunkern verboten.
Doch auch ein Bunkerplatz war keine Lebensversicherung. Während des schwersten Luftangriffs starben im Juni 1943 mehr als 80 Prozent der Getöteten in Bunkern und Luftschutzräumen. Und beim Luftangriff auf den Flughafen wurde ein Hochbunker an der Windmühlenstraße durch einen Volltreffer zerstört, so dass mehr als die Hälfte seiner 600 Insassen getötet wurden. Insgesamt verloren mehr als 1100 Menschen in Mülheim durch den Luftkrieg ihr Leben.
Pläne für ein Mülheimer Bunkermuseum scheiterten
Der im Kriegsjahr 1943 geborene Mülheimer Hans-Georg Hötger fand als Kleinkind während der letzten beiden Kriegsjahre mit seiner Familie in einem Bunker an der Bülowstraße Zuflucht. Als Geschichtslehrer, Heimatforscher und Stadtführer hat er vielen Menschen die Mülheimer Bunker erschlossen. Mit dem Verein „Mülheimer Bunkerwelten“ versuchten Hötger und seine Mitstreiter zwischen 2009 und 2020 vergeblich, im Bunker an der Meißelstraße ein Bunkermuseum einzurichten. Seine Nachforschungen haben ergeben, dass es während des Zweiten Weltkrieges nur für 13 Prozent der Stadtbevölkerung einen Platz im Bunker gegeben habe.
Nach Kriegsbeginn wurde in Mülheim ein Luftschutzbauamt eingerichtet, das auch beim entsprechenden Ausbau von Hauskellern half. Denn die Industriestadt Mülheim, siehe Thyssen und Friedrich-Wilhelms-Hütte, wurde von der Royal Air Force als Teil der deutschen Rüstungsindustrie ins Visier genommen. Mülheims Luftschutzzentrale befand sich unter dem Polizeigebäude an der Von-Bock-Straße. Von dort aus führte ein Tunnelgang bis zum Kuhlendahl. Ein weiterer Großbunker befand sich am Schloss Broich, ein weiterer in einem Stollen unterhalb der Freilichtbühne an der Dimbeck. Dorthin wurden auch Patienten des Evangelischen Krankenhauses ausgelagert. Große Hoch- und Tiefbunker existierten während des Krieges auch an der Josefstraße, an der Meißelstraße, an der Eberhardstraße und auf dem Werksgelände der Friedrich-Wilhelms-Hütte.
Alle Bunker und Luftschutzräume in Mülheim wurden aufgegeben
Aber wie ist es über 80 Jahre nach dem verheerendsten Luftangriff auf Mülheim und fast zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine um Mülheims Bunker und Luftschutzräume bestellt? Unterstützt von Jürgen Schimanski aus dem Technischen Rathaus haben Sandra Schrenner und Florian Lappe von der städtischen Berufsfeuerwehr auf Anfrage der Redaktion die Fakten gecheckt. Ihr Ergebnis: „Wir haben zurzeit keine einsatzfähigen Bunker- und Luftschutzräume in Mülheim. Denn der für Bunker und Luftschutzräume zuständige Bund hat diese 2008 offiziell aufgegeben.“
Ein Blick auf eine Übersichtsliste zeigt: Fast alle Bunker und Luftschutzräume sind verfüllt, eingeebnet, gesprengt oder zurückgebaut worden. Der Hochbunker an der Josefstraße wird heute von Bands als „Rockbunker“ genutzt. Im ehemaligen Luftschutzstollen unterhalb der Freilichtbühne hat der Naturschutzbund Nabu ein Fledermausreservat eingerichtet. Auch die Bunker am Schloss Broich, an der Meißelstraße und am Marienplatz, durch die Hans-Georg Hötger vor einigen Jahren noch Interessierte geführt hat, sind inzwischen nicht mehr zugänglich.
Wohnprojekt im alten Styrumer Bunker geplant
Der Hochbunker zwischen Hammer- und Eberhardstraße in Styrum soll demnächst umgebaut werden zu einem modernen Wohnhaus mit zehn Appartements. In der Tiefbunkeranlage am Schloss Broich sind zudem nach einem großangelegten Kabelklau die Lichter ausgegangen. An der Adolfstraße hat es vor einigen Jahren aufgrund des dortigen Bunkerstollens einen Tagesbruch gegeben, und auf Teilen des Otto-Pankok-Schulgeländes können aufgrund der unterirdischen Bunkeranlage nur Pavillons aufgestellt werden.
Wie werden die Mülheimerinnen und Mülheimer im Notfall alarmiert? Hierzu sagt Feuerwehrexperte Florian Lappe: „Wir haben ein flächendeckendes Sirenenwarnsystem mit 36 Standorten in der Stadt installiert und können über die Warn-App Nina sowie Cell Broadcast sehr schnell die Bevölkerung vor besonderen Gefahren warnen. Bei einem Strom- oder Telekommunikationsausfall werden 16 Notruf-und Informationspunkte (NIP) in Betrieb genommen. Hier können die Bürgerinnen und Bürger einen Notruf absetzen oder Informationen zur aktuellen Lage einholen.“
Mülheimer Bunkerexperte: Offenbar nichts aus der Geschichte gelernt
Angesichts der aktuellen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten stellt Hans-Georg Hötger fest: „Das belastet mich emotional stark, weil ich sehe, dass die Menschheit scheinbar nichts aus der Geschichte gelernt hat. Und deshalb könnte ich im Moment auch niemanden durch die noch vorhandenen Bunker Mülheims führen.“
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