Mülheim. Der ausdauernde Regen hat Erde ins Rutschen gebracht. Nun steht eins von Mülheims Hochhäusern plötzlich vielleicht zu nah an der tiefen Baugrube.
An einer viel beäugten Großbaustelle am Kassenberg hat der Dauerregen zum Jahreswechsel einen Hang in Bewegung gebracht. Direkt angrenzend in höherer Lage, an der Straße Ruhrblick: ein Hochhaus mit vielen Wohnungen. Dort schauen sie aktuell sorgenvoll aus Fenstern und von Balkonen in den Abgrund: „Wir haben Befürchtungen, dass da noch mehr abbricht und dass das Auswirkungen auf die Stabilität unseres Hauses hat, dass es schlimmstenfalls sogar geräumt werden muss“, so eine 87-jährige Bewohnerin aus dem vierten Stock.
Das betroffene Grundstück Kassenberg 61/63 neben der seit Jahren als Schandfleck ruhenden Baustelle mit halb fertiggestelltem Terrassenhaus, war im vergangenen Jahr schon einmal Gegenstand der Nachrichten: Damals war dort bei Erdarbeiten ein geheimnisvoller Tunneleingang zum Vorschein gekommen. Im Nachgang hatte sich herausgestellt, dass wohl die Bierbrauerei Heinrich Gelsam und Carl Tellberg im 19. Jahrhundert jenen Tunnel in den Ruhrfels geschlagen hatte, um dort zwischen Stroh das im Winter geschnittene Eis der Ruhr für die Sommerkühlung ihres Bieres einzulagern. Ohne dass womöglich noch Recherchen für eine denkmalrechtliche Begutachtung hätten stattfinden können, hatte der Bauherr seinerzeit Beton anfahren lassen, um den Tunnel zu verfüllen – eine gehörige Verzögerung am Bau inklusive.
Blick vom Mülheimer Hochhaus zeigt: Vom Garten zur Abbruchkante sind es nur zwei Meter
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Nun die nächste Hiobsbotschaft: Nach Fällungen einiger Bäume und den starken Regenfällen vor, über und nach Weihnachten ist die Erde am Hang in Bewegung gekommen, ein weiterer Baum lag umgestürzt in dem steilen Gelände. Wer vom Kassenberg zum Ende der 60er Jahre errichteten Hochhaus hinaufschaut, kann die Sorgen der Bewohner nachvollziehen. Direkt oberhalb der Abbruchkante steht der Holzzaun zum Gemeinschaftsgarten. Wer von oben hinunterschaut, sieht auch: Von der Rasenfläche sind es kaum zwei Meter, bis es steil bergab geht.
Die 87-Jährige und eine Mitbewohnerin (85) genießen normalerweise den fantastischen Blick ins Ruhrtal, nun blicken sie vom Balkon sorgenvoll in die Tiefe. „Wir kennen den Untergrund hier nicht, wissen nicht, wie er sich beim nächsten starken Regen oder Sturm verhält“, so die Jüngere. „Man hört von überall, dass Häuser abrutschen, zum Beispiel aus der Schweiz. Wir haben Angst, dass wir nochmal umziehen müssen oder das Haus irgendwann in Trümmern liegt.“ Leider, so klagen die Frauen, bleibe einem nichts anders übrig, als zu beobachten: „Wir tappen völlig im Dunkeln, wissen nicht, was da unten passiert. Wir würden uns freuen, wenn MWB als Verwalter oder die Stadt uns informieren würden.“ Und zwar gern auch über die Entwicklung bei der Bauruine, betont die 87-Jährige: „Das ist ja ein riesiger Schandfleck an einer der Einfallstraßen Mülheims. Ich wundere mich, dass die Stadt da nichts unternimmt.“
„Zum Kahlschlag gehörte auch eine sehr schöne Robinie: ein Eldorado für Wildbienen“
Dass Bäume fallen mussten für das neue Bauprojekt, kritisiert die Bewohnerin ebenfalls: „Zum Kahlschlag gehörte eine sehr schöne, gesunde Robinie. Sie war sommertags ein Eldorado für Wildbienen und andere Insekten.“ Zwei weitere Laubbäume seien - „wie der Zufall es will“ - vom Wind entwurzelt worden. „Es ist bedauerlich, wie die Natur durch den Kommerz verdrängt wird.“
Auf Anfrage bei der städtischen Bauaufsicht erklärte deren stellvertretender Leiter Markus Hüls unterdessen, dass seinem Amt die neue Sachlage seit dem Abend des 2. Januar bekannt sei. Unmittelbar am selben Abend habe es eine Begehung gegeben, mit der Feuerwehr und einem Statiker. „Hierbei ist keine unmittelbare Gefährdung der Standsicherheit des oberhalb der Hangkante liegenden Hochhauses oder der unterhalb gelegenen öffentlichen Verkehrsflächen am Kassenberg festgestellt worden“, so Hüls. Der Bauherr habe am folgenden Tag noch mal einen Baugrundgutachter aufs Areal bestellt, der diese Einschätzung bestätigt habe.
Gutachter hält Sofortmaßnahmen für nötig, um Grundstück für die Bebauung vorzubereiten
Der Gutachter hält allerdings Sofortmaßnahmen für nötig, um das Grundstück weiter für eine spätere Bebauung mit einem in den Hang hineingebauten Terrassenhaus vorbereiten zu können. So sollten mit Beginn dieser Woche umgestürzte Bäume mittels Hubsteiger oder ähnlichem Gerät beseitigt werden. Dort, wo es wegen der Erdbewegungen zu einem Riss gekommen ist, soll ein Böschungsprofil angelegt werden. Das gilt auch für den südlichen Teil des Hangs. Hier soll loses Feldgeröll entfernt werden und eine Böschung mit einer Neigung von 45 Grad profiliert werden, wie es in der Fachsprache heißt.
„Mittelfristig“, so der städtische Bauaufseher Hüls, soll der obere Teil des Hanges mit einem rückverankerten Stahlnetz und einer sogenannten Anspritzbegrünung dauerhaft gesichert werden. Eine Anspritzbegrünung ist laut Hüls „ein Spezialverfahren zur Rekultivierung und Erosionssicherung topografisch schwieriger beziehungsweise schwer erreichbarer Flächen“. Im unteren Teil der Böschung werde, wenn eine weitere grundbautechnische Prüfung dies ergebe, gegebenenfalls zusätzlich eine Spritzbetonschale nötig.
Entstehen soll ein Terrassenhaus mit 30 Plätzen für betreutes Wohnen
Diesen Aufgabenkatalog muss der Investor laut Hüls abarbeiten, bevor es zu weiteren Erd- und Fundamentarbeiten kommen kann. Entstehen soll in Hanglage ein Terrassenhaus mit 30 Plätzen für betreutes Wohnen. Darüber hinaus soll es eine Wohnung im Dachgeschoss mit Weitblick aufs Ruhrtal geben.
Über die Hangkante eine Plane zu legen, ist derzeit nicht geplant. Denn eine regelmäßige örtliche Prüfung weiterer Risiken ist nun angekündigt; da würde eine Plane nur stören. „Insbesondere nach starken Niederschlägen und gegebenenfalls Tauwetter“ soll es Sichtkontrollen geben - nicht nur seitens des Bauherrn, sondern auch von Amts wegen.
„Ich wollte jetzt nicht da wohnen. Es ist beängstigend, wie nah das Haus am Abgrund steht“
Für Be- und Anwohner geht das Bangen derweil weiter: Ingrid Boes (88) ist froh, dass sie im vom Abhang abgewandten Teil der großen Anlage wohnt. Haus Nummer 1 liegt direkt am Fossilienweg, „da fühle ich mich sicher“. Andere Teil des Hochhauses aber seien gefährdet, glaubt sie. Davon ist auch Eveline Blank (72) überzeugt, die seit 24 Jahren im angrenzenden Terrassenhaus lebt. „Ich möchte jetzt nicht im Hochhaus wohnen. Es ist beängstigend, wie nah das am Abgrund steht.“ Anders bewertet indes Nachbarin Marita Jeschke (80) die Lage: „Da muss keiner Angst haben. Das Haus steht hier seit über 50 Jahren - fest auf dem darunterliegenden Felsen.“
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