Mülheim. Das „Café Light“ wechselt zum neuen Jahr den Betreiber. Für viele Mülheimer Drogensüchtige ein harter Schlag. Was ihnen der Ort bedeutet.
Die große Wanduhr mit dem roten Zeiger zeigt Punkt zwölf Uhr. Es riecht nach deftigem Essen – mit lauter Stimme ruft eine Dame lang gedehnt zum „Mit-tag!“. Die Beine der Holzstühle schlittern über den Boden, als sich die ersten Männer erheben, um sich ihre Portion zu holen. „Heute gibt es Grünkohl“, sagt Michaela Rosenbaum. Die Geschäftsführerin des Awo-Kreisverbandes wirkt mitgenommen. Erst vor wenigen Tagen war öffentlich gemacht worden, dass der Wohlfahrtsverband das Drogenhilfezentrum samt „Café Light“ aufgeben muss. „Das ist eine traurige Bilanz, auch für mich persönlich“, sagt Rosenbaum, während sie sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen fährt.
Übernehmen wird zum Jahreswechsel das Gesundheitsamt – „nahtlos, das war uns allen sehr wichtig“, sagt die Awo-Geschäftsführerin. Die Klienten des „Café Light“ wissen seit einigen Wochen Bescheid, für viele ein Schock. Die in einem Innenhof an der Gerichtsstraße gelegenen Räume sind für viele hier einige der wenigen Konstanten in ihrem Leben, wenn nicht gar die einzige. Nicht wenige sind jeden Tag hier. Der Gesellschaft, des Essens oder auch der Hilfe wegen.
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Mülheimer (45) sieht sich als Urgestein des „Café Light“
„Hier kann ich einfach ich sein“, sagt Ali Aydin. Der 45-Jährige ist ein „Urgestein“ des „Café Light“ und schon „da, seit ich denken kann“. Die Mitteilung, dass die Awo die Anlaufstelle aus der Hand geben muss, habe ihn sehr getroffen. „Ich dachte, es ist aus.“ Kaum eine Stunde vor unserem Gespräch mit Aydin waren „Leute von der Stadt“ da, wie der mittlerweile seit einem Jahr drogenfreie Mülheimer sagt. „Die waren nett und sympathisch.“ Seine Sorgen habe ihm das etwas genommen.
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„Ohne das Café Light, ich weiß nicht. Ich wäre wohl tot oder im Gefängnis“, sagt er, während er die Arme verschränkt. Sein schwarzes, im Nacken zu einem Zopf gebundenes Haar fällt auf die Formel 1-Jacke, die Lesebrille hat Aydin abgenommen. „Die Leute hier sind Engel. Ohne Übertreibung.“ Sein Blick schweift durch den Raum, bleibt hängen. „Clara zum Beispiel, die ist so geduldig und hilft mir mit allem. Das ist Wahnsinn.“ Egal ob Papierkram, Amtsgänge oder einfach mal das Herz ausschütten: Im „Café Light“ geht das alles.
Mülheimer hat Entgiftung und Entzug hinter sich
„Ich bin drogenabhängig seit meinem 13. Lebensjahr. Dank der Betreuer habe ich eine Entgiftung und eine Therapie hinter mir und bin seit einem Jahr drogenfrei“, sagt Ali Aydin und senkt den Blick. „Dieser Ort ist mein Halt, ohne ihn wäre ich in einem tiefen Loch.“ Um die Vorurteile aus der Gesellschaft wisse er. „Viele sehen das ganz einfach. Aber wenn wir keine Probleme hätten, wären wir nie süchtig geworden.“
Während Ali Aydin spricht, hört ein Mann im Hintergrund zu. Offenbar gar nicht mal so sehr in die Tageszeitung vor ihm vertieft, hebt er den Kopf und nickt. „Das stimmt, ganz so einfach ist das nicht. Wir sind nicht alle Schmarotzer, die nie in ihrem Leben gearbeitet haben und kriminell sind“, sagt er, nun endgültig von der Zeitung abgewandt. Carsten, wie der 56-Jährige heißt, möchte lieber anonym bleiben. Etwas zu sagen hat er trotzdem.
Mülheimer „Café Light“ ist nicht nur ein Zufluchtsort
„Wir haben hier unsere Bezugspersonen. Bei mir wird gerade ein Behinderungsgrad festgestellt und ich stehe vor der Verrentung“, zählt Carsten auf. Seit fünf Jahren lebe er mittlerweile in Mülheim, besuche das „Café Light“ regelmäßig. „Das ist mein Rückzugsort. Wenn sich hier alles ändert oder es das nicht mehr gäbe... das wäre schlimm.“ Seine Historie wolle und könne er nicht einfach neuen Menschen anvertrauen.
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Eine, die die Geschichten von Carsten, Ali und vielen, vielen weiteren kennt, ist Clara Niedick. Seit Anfang 2022 arbeitet die 28-Jährige im „Café Light“. Als Sozialarbeiterin ist es ihre Aufgabe, den Alltag in der Anlaufstelle zu begleiten. „Eigentlich weiß man nie so genau, was der Tag bringt“, sagt die junge Frau. „Jeder hat andere Bedürfnisse und Anliegen, die versuchen wir dann zu erfüllen.“ Einen großen Teil ihrer Arbeit mache das Lesen von Amtspost und das Ausfüllen von Anträgen aus. „Da geht es dann um Leistungsbezug, Wohnsituationen oder auch die Notschlafstelle.“
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Mülheimer Sozialarbeiterin hat viele Fragezeichen im Kopf
Als Niedick erfuhr, dass die Awo den Betrieb des Cafés abgibt, stellten sich ihr viele Fragen – auch die um ihre persönliche Zukunft. Wie es für sie weitergeht, wisse sie noch nicht. Das Gesundheitsamt hatte allen bisherigen Mitarbeitern angeboten, sich auf die offenen Stellen bewerben zu können, die Awo andererseits angekündigt, niemandem Steine in den Weg legen zu wollen. „Aber ganz ehrlich, mein erster Gedanke war bei den Klienten“, sagt die 28-Jährige. „In dieser Zeit des Jahres geht es vielen Menschen besonders schlecht und ich weiß einfach, wie wichtig wir als Bezugspersonen den meisten sind.“
Einer von ihnen ist Robert. 2015 war das Jahr, in dem es für den 47-Jährigen steil bergab ging, er geriet erst in eine Depression, dann in die Sucht und verlor alles, wie er selbst sagt. „Ich habe in der Obdachlosenunterkunft an der Kanalstraße gelebt und hatte gar nichts mehr.“ 2018 dann der harte Einschnitt: Eine Überdosis, Krankenhaus, Entzug. „Das war richtig hart, mein Tiefpunkt.“ Seitdem hat sich aber vieles getan. Mittlerweile substituiert Robert, hat eine eigene Wohnung. „Ich bin sehr froh, dass es das alles hier gibt. Das gibt mir eine Tagesstruktur. Ich wüsste nicht, wie mein Leben sonst aussehen würde.“
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