Mülheim. Wie steht es eigentlich um Angebot und Nachfrage im sozialen Wohnungsbau in Mülheim? Stadtentwicklung soll bald nicht mehr im Trüben fischen.
Immer wieder stellt sich bei Mülheimer Bauprojekten die Frage, wie groß der Neubau-Bedarf an öffentlich gefördertem Wohnraum ist. Lange schon lässt eine Antwort auf sich warten. Jetzt endlich soll sich das ändern.
Erst dauerte es für manch einen Beteiligten eine gefühlte Ewigkeit, bis ein Gutachten zum günstigen Wohnraum für Mülheim auch zur Debatte in die Öffentlichkeit gelangte. Das Kernergebnis im Jahr 2019 war alarmierend: Rund jeder 25. Haushalt in Mülheim, hochgerechnet 2370 an der Zahl, musste seinerzeit mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens allein für die Warmmiete ausgeben. Die Not erschien so außerordentlich, dass die Landesregierung Mülheim in die Riege von landesweit 37 Städten einstufte, in denen eine außerordentliche Förderung notwendig erschien, um das Angebot an sozialem, preisgebundenem Wohnraum zu erhöhen.
Zwischenzeitlich sorgten die explodierten Energiepreise für eine Verschärfung, für eine Entlastung zuletzt der Bund mit seiner Reform des Wohngeldes, die Unterstützung in mehr Mülheimer Haushalte mit geringen Einkommen bringt und Wohngeldansprüche im Durchschnitt laut Stadtverwaltung fast verdoppelt. Aber wie steht es heute um die ausreichende Versorgung der Mülheimerinnen und Mülheimer mit bezahlbaren Wohnungen?
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Bedarf an sozialem Wohnraum in Mülheim: Grundlagendaten fehlen
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Günstiger Wohnraum werde in Mülheim knapp, mahnte Frank Esser als Vorstand des Mülheimer Wohnungsbaus schon vor Jahren eindringlich. Doch ein unter Federführung der Stadtverwaltung geschmiedetes, politisch insbesondere von der SPD eingefordertes „Bündnis für Wohnen“ mit Verwaltung, Wohnungsunternehmen und Politik, im gleichen Jahr begründet, geriet immer wieder ins Stocken.
Jetzt endlich ist bei einem der rar gesäten Bündnis-Treffen verabredet worden, dass Mülheim sich überhaupt einmal aktuelle Grundlagendaten verschafft, um nicht – wie zuletzt häufiger von Politikern bemängelt – bei Bebauungsplanverfahren im Blindflug unterwegs zu sein in der Frage, ob und in welchem Maße man Investoren bei ihren Bauprojekten Quoten für den sozialen Wohnungsbau auferlegen sollte. Etwa für die Parkstadt-Pläne oder – wie zuletzt diskutiert – für ein Vorhaben an der Duisburger Straße, wo ein Investor an Stelle einer brachliegenden Hofstelle 90 Wohnungen bauen will.
Mülheim: Mehr als jede fünfte Sozialwohnung fällt bis 2033 aus der Bindung
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Matthias Lincke, Leiter im Amt für Wohnbauförderung, stellte nun in Aussicht, dass die Stadt sich mit Hilfe einer Co-Finanzierung aus der Wohnungswirtschaft 2024 endlich anschicken wird, ein neues Handlungskonzept Wohnen von Gutachtern erstellen zu lassen. Das Konzept, zuletzt vor Flüchtlings- und anderen Krisen 2012 erarbeitet, soll eben auch aufzeigen, wie viel bezahlbarer Wohnraum in Mülheim zu schaffen sein wird, um die Nachfrage zu stillen.
Lincke präsentierte zuletzt im Planungsausschuss Zahlen, die deutlich machen, dass die Stadt gegensteuern muss, will sie nicht riskieren, innerhalb der nächsten zehn Jahre gut ein Fünftel beziehungsweise 1111 der knapp noch 5000 öffentlich geförderten Wohnungen im Stadtgebiet zu verlieren. Bei eben jenen 1111 Sozialwohnungen laufe die Bindung aus, berichtete Lincke. Chancen, die Entwicklung aufzuhalten, bestünden natürlich in der Verlängerung der Bindungen, aber eben auch im Neubau.
Trotz Baukosten-Explosion: Mülheimer Wohnungsunternehmen investieren weiter
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Nur: Im gesamten Jahr 2022 ist nicht eine einzige Sozialwohnung in Mülheim neu entstanden. Lincke sieht das allein nicht als dramatisch an, da für dieses und die kommenden zwei Jahre fast 330 Wohnungen für eine öffentliche Förderung projektiert seien. Die örtlichen Wohnungsbauunternehmen SWB und MWB tun sich hier positiv hervor. SWB will an der Filchnerstraße 87 Sozialwohnungen schaffen. Für eine Rekord-Fördersumme von 16,3 Millionen Euro modernisiert SWB zurzeit 206 Wohnungen im Doppel-Hochhaus am Hans-Böckler-Platz – wo sich die Zweckbindung für die Sozialwohnungen entsprechend verlängert.
Der MWB plant bekanntlich 135 Sozialwohnungen auf dem Gelände der alten Stadtgärtnerei, daneben bezahlbaren Wohnraum auf dem Sportplatz der Papenbusch-Siedlung. Auch für das Lindgens-Areal verpflichtete sich die Genossenschaft zu einer Quote von 30 Prozent für öffentlich geförderte Wohnungen. In den Vorjahren ist es laut Lincke in Mülheim gelungen, die Zahl der Sozialwohnungen durch frische Förderungen recht stabil zu halten. Offen bleibt die Frage, ob nicht gleichzeitig auch der Bedarf gestiegen ist, frisst die Inflation doch einen gehörigen Teil der Haushaltseinkommen auf. Eine Verschärfung im unteren Segment des Wohnungsmarktes sieht Lincke auch durch den Zuzug von Flüchtlingen.
Verbandsdirektor Rychter: Deutschland steckt „in einer enormen Baukostenkrise“
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Die aktuelle NRW-Wohnraumförderkulisse sei „die beste, die es je gab“, sieht Lincke gute Voraussetzungen geschaffen, dass der geförderte Wohnungsbau in Mülheim trotz erheblichem Anstieg bei Baupreisen und Zinsen sowie weiter hohen Bodenpreisen nicht zum Erliegen kommt. Die Förderung habe sich gegenüber 2022 nochmals „deutlich verbessert“, sowohl bei den Zinsen (null Prozent für fünf Jahre und 0,5 Prozent für weitere 25 oder 30 Jahre) als auch bei den Tilgungsnachlässen (35 Prozent „geschenktes Geld“ vom Fördergeber). Ebenso seien die Grundförderpauschalen um rund 13 Prozent angehoben worden, so Lincke.
Der Chef der städtischen Wohnbauförderung ließ aber nicht unerwähnt, dass Alexander Rychter als Verbandsdirektor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen und Moderator des Mülheimer „Bündnisses für Wohnen“ das weiterhin nicht als ausreichend ansieht, um die Baupreisexplosion aufzufangen. Deutschland stecke „in einer enormen Baukostenkrise, in ähnlicher Dimension wie in den 70-ern bei der Ölkrise. Rund 75 bis 85 Prozent der Neubauprojekte werden im Verbandsgebiet abgewartet, von der Hälfte der Projekte wird bereits jetzt ausgegangen, dass sie nicht mehr kommen werden“, hatte dieser gesagt.
Günstigen Wohnraum zu schaffen im Spannungsbogen vieler beeinflussender Faktoren, etwa auch der Vorgaben zur Energieeffizienz oder der älter werdenden Gesellschaft mit einem höheren Bedarf an barrierefreien Wohnungen, werde „nicht einfacher“, stellte Lincke fest. Mülheims „Bündnis für Wohnen“ bleibe gefordert.