Mülheim. Angesichts des chaotischen Fahrplanwechsels entzieht Mülheims Politik der Ruhrbahn und Verwaltung das Vertrauen. Ein Arbeitskreis soll’s richten.

Seit Wochen kocht die öffentliche Wut über den verkorksten Einstieg der Ruhrbahn in den neuen Nahverkehrsplan. Jetzt knallte es im Mobilitätsausschuss, zu dem die Ruhrbahn-Verantwortlichen vorgeladen wurden: Busausfälle, miserable Kommunikation, nicht abgestimmte Schulbusse, kaum vorhandene Busanschlüsse – „kläglich, der schlechteste Fahrplanwechsel seit Jahrzehnten“, ging bei Axel Hercher (Grüne) hörbar der Puls hoch. Politisch traut man weder Verkehrsunternehmen noch Stadtplanung mehr zu, dies wieder hinzubiegen. Das soll jetzt ein Arbeitskreis leisten.

„Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ’ ich einen Arbeitskreis“, unkte FDP-Chef Peter Beitz. Aus seiner Sicht müsste die Ruhrbahn den Karren selbst aus dem Dreck ziehen. „Die Politik gibt die Rahmen vor, sie kontrolliert, deswegen haben wir Ausschüsse. Aber sie setzt sich nicht mit in den Sandkasten.“

Mülheims Politik resigniert: „Wenn es keiner macht, müssen wir es machen“

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„Wenn es aber keiner macht, müssen wir es machen“, brachte Hercher den Vertrauensverlust auf den Punkt. Und auch Daniel Mühlenfeld (SPD) befürchtete, dass andernfalls eine Lösung der zahlreichen Probleme noch länger auf sich warten ließe. Denn die Zeit drängt, besonders für den Schulverkehr – das machten schon die sechs Bürgeranträge zum Nahverkehr deutlich, allein fünf zur „Wiedereinsetzung der Linie 122“ in Speldorf.

An den Schulen sei man entsetzt, berichtet Bezirksschulvertreter Samuel Bielak. Schülerinnen und Schüler kommen zu spät zum Unterricht, Das liege zum einen an Busausfällen und Verspätungen, die es seit Beginn des neuen Fahrplans zuhauf gebe. Zum andern aber vor allem an den Taktungen, die nicht funktionieren: Schüler erreichten deshalb ihre Anschlüsse nicht mehr.

Neuer Fahrplan in Mülheim: Deutliche Kritik an Ruhrbahn-Umsetzung

Das aber sei nun der Grund für den Arbeitskreis: „Wir haben die Umstiege nicht beschlossen“, stellte Timo Spors, grüner Vorsitzender der Mobilitätsausschusses, die Verantwortlichkeit von Stadtplanung und Ruhrbahn klar, die den Beschluss ausgearbeitet hatten. Doch, wie Spors und auch Hercher kritisierten, sei es an einigen Stellen nicht gelungen, auch nur einen Anschluss optimal herzustellen, etwa den nach Oberhausen.

Carsten Trojahn (SPD) griff vor allem den Zeitpunkt an, an dem man den Start angesetzt hatte: „Was hat die Ruhrbahn dazu veranlasst?“ Es habe sich gerächt, dass man den SPD-Antrag auf einen Schnuppertag vor dem Beginn des Fahrplans ignoriert habe - „der hätte Stress verhindert“.

Ruhrbahn-Chef kontert: Politik hätte früher beschließen müssen

Ruhrbahn-Chef Michael Feller indes schwieg in der heißen Debatte an vielen Stellen, hier aber spielte er den Ball zurück: Dafür hätte die Politik viel eher als im Dezember 2022 zu einem Beschluss kommen müssen. Denn nicht nur die Planung dauere, die Fahrpläne unterliefen dann eine schwierige Anmeldeprozedur, an deren Ende die Bezirksregierung Düsseldorf genehmigen müsse. Daher habe man nun die Situation einer „Operation am offenen Herzen“.

Damit kündigt sich schon an: Eine schnelle Lösung wird es allenfalls für den Schulbusverkehr geben können, den die Kommunen freier gestalten können. Denn für das übrige Netz gilt, dass jeder Eingriff in das Nahverkehrsnetz durch ein langes Genehmigungsverfahren geht und daher nur zwei Mal im Jahr möglich ist.

Eine schnelle Lösung wird es für Mülheims ÖPNV-Probleme nicht geben

Die vielen Anschlüsse zwischen Bussen und Bahnen, auf denen das neue Netz ja letztlich umgestellt wurde, mache einzelne Veränderungen kompliziert, gab Stadtplaner Roland Jansen an einigen Stellen zu verstehen. Der Eingriff in eine Linie um Minuten habe somit Auswirkungen auf viele weitere. Mit Zusagen zu den verschiedenen Änderungsanträgen hielt sich aber nicht nur Jansen zurück. Auch CDU-Verkehrsexperte Siegfried Rauhut bekundete – wissend um die Komplexität – nur vorsichtig, sich „alles in Ruhe anschauen“ zu wollen.

Neues ÖPNV-Netz in Mülheim – so berichteten wir:

Wie also kann es genau weitergehen? Der Arbeitskreis soll schon kommende Woche tagen und die Anträge der Bürger bearbeiten. Vordringlich wird es wohl um den einfacher zu steuernden Schulverkehr gehen, damit es nach den Herbstferien im Oktober besser läuft.

Mögliche Änderungen im regulären Netz aber werden dauern: Intern rechnet man frühestens mit einer Umstellung im Sommer 2024, denn die Frist für das Frühjahr 2024 sei schon im August abgelaufen. Ein Trostpflaster: Sogar die Rückkehr der Linie 122 für die Speldorfer ist kein Tabu mehr. Verkehrsdezernent Felix Blasch kündigte an, auch das in den Arbeitskreis mitnehmen zu wollen.

So läuft es im Schulverkehr: Drei Beispiele

Besonders die Entscheidung der Ruhrbahn, mit dem Schulbeginn einzusteigen, kritisierte Bezirksschülervertreter Samuel Bielak. Ruhrbahn und Stadtplanung hätten sich zu wenig mit der Abstimmung von Schulbus- und regulärem Nahverkehr beschäftigt, obwohl dies seit Monaten und auch in einem eigenen Workshop mit den Schulen thematisiert worden ist: „Vor einem Jahr sind uns von der Ruhrbahn weitreichende Anpassungen im Schulbusverkehr zugesagt worden. Auf die warten wir noch immer. Wurde uns das nur versprochen, um uns ruhigzuhalten?“

Wie quer Schulverkehr und regulärer Nahverkehrsplan auseinanderlaufen, kann man an verschiedenen Stellen erleben: Morgens um sieben von Speldorf zum Oberhausener Elsa-Brändström-Gymnasium etwa. Der 125er Bus kommt zwar im 15-Minuten-Takt an den Brandenberg. Dort wartet schon die zweite Gruppe von etwa 15 jungen Leuten. Wie buddhistische Mönche in Hoodies übers Handy gebeugt.

Speldorf

Zwölf sitzen schon drin, auf dem Weg zur Mülheimer Innenstadt wird’s rappelvoll. Doch wie weiter? Ab Stadtmitte – wo die meisten aussteigen – in die Straßenbahn 112 bedeutet knapp 20 Minuten Fahrt zur Luise-Albertz-Halle. Dort kommt man um zehn vor Acht an – wenn nichts dazwischen kommt -, läuft fünf Minuten und ist kurz vor Acht im Klassenzimmer. Wer aber eine Viertelstunde eher fährt, ist dann etwa 20 Minuten zu früh an der Schule.

Oder man fährt durch zum Hauptbahnhof. Dort macht sich die S3 alle 30 Minuten auf zum Oberhausener Hauptbahnhof, kommt etwa zehn vor Acht an und muss dann zehn Minuten laufen. Knappe Sache, zumal auch die S3 von Ausfällen geplagt ist. In jedem Fall heißt es 50 Minuten Fahrzeit von Speldorf aus. Mit der Direktlinie 122 brauchte man früher nur 25.

Selbeck

Beispiel zwei: Selbeck. Gut 40 Schülerinnen stehen um 6.50 Uhr an der Haltestelle Stooter Straße. Drei Freundinnen warten auf den 752er zur Gesamtschule Saarn. Der Unterricht startet um 7.30 Uhr. Schon um 7.05 Uhr werden sie dort ankommen – „25 Minuten zu früh“, sagt eine. Schlechter wäre noch der Rückweg. Wenn sie Schicht haben, müssen sie in zwei Minuten an der Haltestelle sein. Kaum zu schaffen. Der 752er fährt nur stündlich.

Dümpten

In Dümpten sei die Lage an der Gustav-Heinemann-Schule durch Verspätungen und überfüllte Busse derart schlecht, dass ein anderes Verkehrsmittel unerwünschte Konjunktur habe: das Elterntaxi. „Das ist doch genau das, was wir seit Jahren verhindern wollen“, meint Bielak.

Die kurzfristigen Nachbesserungen, die die Ruhrbahn ab kommenden Montag (11.9.) versprochen hat, reichten längst nicht aus. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, an dem auch Politik den Nahverkehr „nicht länger schönreden sollte“, fordert der Bezirksschülersprecher eine offene Debatte über „den wahren Zweck: Geld einzusparen. Damit hängt man aber den Bildungssektor ab“.