Kamp-Lintfort. Im Sommer besucht ein Künstler die Kamp-Lintforter mit seinem eigenen Balkon, im Herbst schockt die Deponie Eyller Berg. Kies bleibt ein Thema.

Egal, ob erste oder vierte Etage: Garvin Dickhof kommt auf ein Pläuschchen vorbei. Mit seinem eigenen Balkon. Er bringt auch was zu Essen mit. Der Künstler ist im Juli mit seiner Balkonien-Aktion in Kamp-Lintfort unterwegs. Das Ganze nennt sich Interventions-Kunst und läuft unter der Überschrift „Stadtbesetzung“, gefördert vom Kultursekretariat Gütersloh. Gestartet ist Dickhoff mit Musiker Matthias Reute am Rathaus, danach sollte es zum Awo-Altenheim gehen und „danach mal schauen“. Für Aufsehen sorgt der Hubwagen mit Blümchen und Sichtschutz, der bis zu sieben Meter hoch fahren kann, auf jeden Fall.

>>> Deutliche Worte Richtung Eyller Berg Abfallgesellschaft

Schock im Herbst: Es stellt sich heraus, dass der Betreiber der umstrittenen Deponie Eyller Berg auf dem Klageweg das weitere Ablagern von Abfällen erzwingen will. Dabei war bei einem gerichtlichen Vergleich vor einem Jahr zwischen Land und Eyller-Berg Abfallbeseitigungsgesellschaft (EBA) festgelegt worden, dass zum 31. Dezember 2022 Schluss sein soll.

Für weitere Empörung sorgt dabei, dass die Stadt Kamp-Lintfort nur deshalb von diesem Vorgang erfuhr, nachdem der Landtagsabgeordnete René Schneider im Landtag eine entsprechende Anfrage gestellt hatte. Danach sei die Klage gegen das Land NRW schon am 7. Oktober zugestellt worden. Erfahren haben die Kamp-Lintforter davon über eine Woche später.

Die Deponie im Herbst 2022.
Die Deponie im Herbst 2022. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Ziel der Klage sei es, die Ablagerungsphase bis zum 31. Dezember 2023 zu verlängern und gleichzeitig die Verlängerung der Rekultivierungspflicht bis Ende Juni 2031 erlangen. Hier stand nach dem Vergleich noch das Datum 31. Dezember 2027. Schneider bezeichnet dieses Vorgehen der Eyller-Berg Abfallbeseitigungsgesellschaft (EBA) als eine „riesengroße Sauerei“.

Auch Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt findet klare Worte: „Die Klage der Deponiebetreiber mit dem Ziel des Weiterbetriebs der Giftdeponie ist ein einziger Skandal! Wie miserabel muss ein nach jahrelangen Verhandlungen errungener Vergleich eigentlich sein, wenn er kurzerhand durch eine Klage aus der Welt geschaffen werden könnte. Jetzt zeigt sich, dass unsere Kritik an dem Vergleich mehr als berechtigt und das damalige Einknicken des Landes offensichtlich völlig verfehlt war. Wir erwarten jetzt von der Bezirksregierung und dem Land, dass sie alle rechtlichen und aufsichtsmäßigen Register ziehen, um diesem Treiben der EBA Einhalt zu gebieten.“ Er gehe davon aus, dass, wenn der Betrieb nach dem Jahreswechsel weitergehe, sich massiver Widerstand formieren werde.

Den kündigt alsbald schon der SPD-Fraktionschef Jürgen Preuß an, der bereit sei, „zivilen Ungehorsam“ zu leisten. Lutz Malonek, der dann 80-jährige Mitbegründer der mittlerweile aufgelösten IG Endlager Mensch, sagt, es werde eine „Demo am Fuße des Eyller Berges geben, von der man noch lange sprechen wird“.

Die EBA rechtfertigt das Vorgehen mit erheblichen Verzögerungen wegen der Corona-Pandemie und der gesamtwirtschaftlichen Lage – unter anderem Lieferkettenprobleme und Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Baustoffen – die „weder von der EBA zu vertreten noch beim Vergleichsabschluss vorhersehbar gewesen wären“.

>>> Eklat beim Kies-Treffen in Düsseldorf

Bürgermeister Christoph Landscheidt ist überhaupt nicht amüsiert: Kurz vor dem Gespräch mit Ministerin Mona Neubaur über Kiesabbau am Niederrhein wird bekannt, dass sich das Wirtschaftsministerium bereits festgelegt hat. Eine Herauslösung des Kieskomplexes aus dem Regionalplanentwurf sei nicht möglich. Doch genau darum hätte es in dem Treffen gehen sollen. Denn nur so kann der Regionalplan auf einen überarbeiteten Landesentwicklungsplan des Landes treffen. Der aber wird erst 2025 fertig.

Der Zeitpunkt der Bekanntgabe, die vor dem angesetzten Gespräch Fakten geschaffen hat, sorgt für Empörung. Bürgermeister Christoph Landscheidt und sein Neukirchen-Vluyner Kollege Ralf Köpke sagen ihre Teilnahme ab und nennen das Vorgehen bei einer Informationsveranstaltung von SPD-Landtagsmitglied René Schneider unter anderem „einen Affront“. Sie fragen sich, worüber man mit dem Land überhaupt noch diskutieren solle. „In 30 Jahren Politik habe ich so etwas noch nicht erlebt.“ Man habe nun keine andere Möglichkeit, als gegen den Regionalplan zu klagen, wann immer er angewandt werden solle, so der Bürgermeister.

Die Karte mit den Auskiesungsgebieten neben dem Flughafen liegt auf dem Tisch.
Die Karte mit den Auskiesungsgebieten neben dem Flughafen liegt auf dem Tisch. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Dabei sieht es wenige Wochen zuvor noch so aus, als wäre eine Wende in der verfahrenen Situation möglich. Vom RVR selbst gab es Anfragen an das Ministerium, ob eine Herauslösung des Kieskomplexes möglich sei. Unmut zieht sich der RVR im Oktober zu, als eine Informationsveranstaltung zur dritten Offenlage des Regionalplans zum Reinfall geriet. Statt sich mit den Sorgen und Nöten derer zu befassen, die in den geplanten Abbaugebieten wohnen, gibt es technokratische Erläuterungen. Eine Entwicklung, die Bürgermeister Christoph Landscheidt voraus ahnt und im Vorfeld „eine Farce“ nennt.

Noch im Mai sehen sich die Gegner des Kiesabbaus bestätigt. Das Oberverwaltungsgericht in Münster bescheinigt dem Land NRW, nicht ausreichend ermittelt zu haben, ob überhaupt eine Verlängerung der Versorgungszeiträume auf 25 Jahre notwendig sei. Auch seien Umweltbelange und Bedenken eines erhöhten Flächenfraßes nur unzureichend berücksichtigt worden. Landscheidt nennt den Landesentwicklungsplan in der Folge „rechtswidrig“. Also könne sich der RVR darauf nicht berufen. Nach dessen Plänen sollen in Kamp-Lintfort nördlich und südlich des Flugplatzes Saalhoff auf insgesamt 139 Hektar Kies abgebaggert werden. Insgesamt sollen 230 Hektar Abgrabungsfläche entstehen.