Moers. Ein Duisburger (22) soll eine unbeteiligte Moerserin zu Tode gerast haben. Einen Führerschein besaß er nicht - die Details zum Prozessauftakt.
Der Hauptangeklagte im so genannten Moerser Raserprozess hat sich zum Auftakt des Verfahrens vor dem Klever Landgericht bei der Familie der getöteten Sema S. entschuldigt. Der 22-jährige Mann aus Duisburg soll sich im April 2019 in Moers mit einem ebenfalls 22-Jährigen ein Rennen geliefert haben, laut Anklage kollidierte der Mercedes-Fahrer dabei mit dem Wagen der 43-jährigen Moerserin. Sema S. verstarb wenige Tage später im Krankenhaus. Am ersten Prozesstag kamen neue Details über den mutmaßlichen Unfallfahrer heraus.
In einer von seinem Rechtsanwalt, Thilo Pfordte aus München, verlesenen Erklärung äußerte der 22-jährige Fahrer des mehr als 500 PS-starken Mercedes sein „tiefes Bedauern“ über die Tat und darüber, dass sein „verantwortungsloses Verhalten und eine sinnlose Wettfahrt“ den Tod eines Menschen verursacht hätten. Heute sei er sich seiner Verantwortung dafür bewusst. Der 22-Jährige ist von der Staatsanwaltschaft wegen Mordes angeklagt.
Raserprozess: Angeklagte lassen ihre Anwälte sprechen
Am Tattag habe er der „Motorkraft des Mercedes“ und seiner Fahrkunst vertraut und das Risiko ausgeblendet, dass etwas passieren könnte, ebenso sei er davon ausgegangen, sein Vater würde es nicht merken, dass er sich „den Wagen genommen“ hatte. Er sei sich heute bewusst, dass seine Tat nicht zu entschuldigen sei und er sich rücksichtslos verhalten habe. Der Hauptangeklagte hatte keinen Führerschein – vor allem deshalb, weil er in der theoretischen Prüfung gescheitert war.
Auch der zweite Angeklagte, der einen Range Rover mit ebenfalls mehr als 500 PS gefahren hatte und sich mit dem Mercedes das Rennen geliefert haben soll, äußerte sich nicht selbst. Sein Anwalt, Mario Prigge aus Bad Oeynhausen, sagte in einer kurzen Erklärung, sein Mandant räume ein, dass er der Fahrer des Range Rover gewesen sei und es sich um eine Wettfahrt gehandelt habe.
Zu einem späteren Zeitpunkt soll eine längere Erklärung folgen. Die beiden Angeklagten, lässig in Hemd und Jeans gekleidet, sahen sich vor Gericht nicht an. Ihre Blicke gingen meist nach unten und selten ins Publikum, wo Verwandte und Freunde saßen.
Kurz hinter dem Bahnübergang zog der Mercedes auf die Gegenfahrbahn
Am ersten Prozesstag vernahm das Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Gerhard van Gemmeren vier Jugendliche als Zeugen, die an dem Abend des Unfalls auf der Bismarckstraße zu Fuß auf dem Weg zu McDonald’s waren. Vom Bahnübergang in Meerbeck („Glückaufschranke“) waren sie gut 50 Meter entfernt, als ihnen die Boliden entgegenkamen – der Range Rover sei vorne gefahren, der Mercedes dahinter. Kurz hinter den Schienen sei der Mercedes auf die Gegenfahrbahn gezogen und die Fahrer hätten Gas gegeben. Ein Zeuge sprach von einem sogenannten „Kick-down“.
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Mit heulenden Motoren seien die Autos auf der Bismarckstraße weiter gefahren, der Mercedes habe auf dem etwa 200 Meter langen Stück bis zur Ecke Donaustraße noch nicht überholt, sei aber sichtbar schneller und „dominant“ gewesen, wie sich ein Jugendlicher ausdrückte. Der 22-Jährige soll seinen Mercedes-AMG laut Gutachten auf dieser kurzen Strecke auf 167 Kilometer in der Stunde und damit auf über das Dreifache der zulässigen Höchstgeschwindigkeit beschleunigt haben. Kurz vor dem Aufprall, so die Zeugen, habe der Mercedes-Fahrer offenbar versucht auszuweichen und eine Notbremsung ausgeführt. Während er aus dem Wagen ausstieg und davonlief, parkte der Fahrer des Range Rovers in einer Seitenstraße. Drei weitere Insassen dieses Fahrzeugs leisteten Erste Hilfe, wie eine Polizistin vor Gericht bestätigte, die als eine der ersten am Unfallort gewesen war.
Moers: Mercedes-Fahrer war mit 167 km/h unterwegs
Die laut Staatsanwaltschaft nicht angeschnallte Sema S. aus Moers-Meerbeck wurde aus dem Wagen geschleudert. Sie starb drei Tage später an ihren Verletzungen. Der Ehemann des Unfallopfers, die Tochter und der Sohn sind nach Angaben des Gerichts Nebenkläger in dem Verfahren, waren am ersten Prozesstag allerdings nicht selbst anwesend.
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Sema S. kam mit ihrem Kleinwagen zu diesem Zeitpunkt aus der Donaustraße. Bei der Vernehmung der Zeugen ging es nun auch um die Frage, ob das Unfallopfer kurz vor dem Crash an dem Stoppschild gehalten hat oder nicht. Aufklären konnten die Jugendlichen das nicht, ihre Aussagen dazu waren nicht einheitlich. Das Detail könnte am Ende wichtig werden: Sollte Sema S. hier ein Verkehrsdelikt begangen haben, spielt das möglicherweise bei der Frage der Vermeidbarkeit des Unfalls eine Rolle und könnte bei der Strafzumessung für die Angeklagten von Bedeutung sein. An der grundsätzlichen Schuld, so der Anwalt des Mercedes-Fahrers auf Nachfrage, spiele dieses Thema aber keine Rolle.
Ehemaliger MSV-Profi war Halter des Range Rovers und sagt als Zeuge aus
Einen denkwürdigen Auftritt hatte gegen Ende des ersten Prozesstages der Halter des Range Rovers. Der frühere Fußballprofi, der bei Hertha BSC, Eintracht Frankfurt und bis Januar 2019 beim MSV Duisburg gespielt hatte, lebte nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt des Unfalls in Berlin, nur sein Wagen sei samt der Autoschlüssel noch bei seiner Ex-Verlobten in Duisburg gewesen, die offenbar eine Nachbarin des Angeklagten gewesen ist.
Er selbst kenne ihn nicht, er habe auch zunächst keine Einzelheiten über den Unfall wissen wollen. Wie Schlüssel und Auto zu dem 22-Jährigen gekommen sind, konnte der frühere Fußballer nicht klären. Dies wird dann möglicherweise seine ehemalige Verlobte tun, die für einen der kommenden Prozesstage als Zeugin geladen ist. (mit dpa)
Update, 17. Februar 2020 – Urteil gefallen: Der 22-jährige Hauptangeklagte ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der zweite Angeklagte ist zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und neun Monaten verurteilt worde. Lesen Sie hier den Bericht zum Urteil im Moerser Raserprozess.