Kreis Wesel. Die Ermittlungsgruppe Kinderpornographie der Kreispolizei Wesel hat sich dem Schutz der Wehrlosen verschrieben. Wie die Polizisten damit umgehen.

218 Fälle von Kinderpornographie verzeichnet die Kreispolizeibehörde Wesel in der Kriminalitätsstatistik 2023 – darunter fallen Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung. Eine Zahl, die von Ausbeutung, Erniedrigung und Missbrauch derjenigen zeugt, die eigentlich auf den Schutz Erwachsener vertrauen dürften. Die Kreispolizei Wesel hat das Thema ganz oben auf ihrer Agenda. Zuständig dafür, die Verantwortlichen zu finden, damit die Justiz sie zur Rechenschaft zieht, ist im Kreis Wesel die Einsatzgruppe Kinderpornographie im Kriminalkommissariat 11. Ihre Aufklärungsquote ist hoch, die Strafen sind spürbar. Doch wie hält es jemand aus, sich diese Filme, Bilder, Whatsapps und sonstige Social-Media-Nachrichten täglich anzusehen? Warum meldet man sich für diese Arbeit, die grundsätzlich freiwillig ist?

Michael Schulz ist Leiter der Ermittlungsgruppe Kinderpornographie, Christiane Dötsch gehört zum Presseteam der Kreispolizei, beide sind Kriminalhauptkommissare. Wir treffen uns im Kinderanhörungszimmer der Kreispolizei. Hier sprechen Polizisten mit Mädchen und Jungen. Ein kleines Sofa, ein flauschiger Teppich mit Sternen und Mond, ein Bärchen, ein Stofftier, bunte Bilder: All das soll Kindern, die aus unterschiedlichsten Gründen Kontakt mit der Kriminalpolizei haben, die Angst vor der fremden Welt der Uniformierten, der Akten und fremden Geräusche nehmen. Mikrophon und Kameras sind eher unscheinbar. Hier soll Vertrauen geschaffen werden.

„Niemand schafft es, sich acht Stunden am Tag mit der Auswertung zu beschäftigen“

Was genau gilt als Kinderpornographie? „Der Fokus liegt in der Regel auf den Geschlechtsteilen der Kinder, auf unnatürlichen Posen, es wird Missbrauch dargestellt, ein Kind wird penetriert“, fasst Michael Schulz sachlich zusammen, was er und seine Kollegen Tag für Tag zu sehen bekommen und ertragen müssen. Er stellt klar: „Niemand schafft es, sich acht Stunden am Tag mit der Auswertung zu beschäftigen.“ Es gibt Unterbrechungen, Teamsitzungen etwa. „Wir sprechen über anliegende Fälle, tauschen uns auch mal privat aus“, sagt Schulz. Christiane Dötsch, die viel Berufserfahrung aus der kriminalpolizeilichen Arbeit hat, bringt es auf den Punkt: „Wir passen aufeinander auf.“

Wir sitzen alle im gleichen Boot und geben einander das Gefühl, dass wir mit den Problemen nicht allein sind
Christiane Dötsch - Kriminalhauptkommissarin und Pressesprecherin

Man achte darauf, wie die Kollegen sich fühlen. Kann und darf es jemand ansprechen, wenn es einfach zu viel der Widerlichkeiten werden? „Ja, unbedingt. Wir sitzen alle im gleichen Boot und geben einander das Gefühl, dass wir mit den Problemen nicht allein sind“, sagt Dötsch, die aus dem Bereich Sexualdelikte kommt und weiß, wovon sie spricht. Die Auswertung des Materials ist ein Teil der Arbeit, aber da sei so viel mehr. „Es gibt Durchsuchungen, Ermittlungsaufträge der Staatsanwaltschaft, Vernehmungen, immer wieder Unterbrechungen“, erläutert Schulz. „Wir sind Menschen wie alle anderen auch“, beteuert er. Schwer zu glauben, angesichts dieser Arbeit in der „EG Kipo“. Viele betreiben Sport, um abzuschalten, den Stress abzubauen. Wichtig sei es auch, über Erlebtes zu reden, es nicht mit nach Hause zu nehmen, womöglich zur eigenen Familie.

Jährlich gibt es „Tag der Seele“ bei der Kreispolizei Wesel

Dafür sorgen auch Polizeibehörde und Landesregierung, die sich um ihre Mitarbeiter kümmern, sagen beide. Es gibt Seminare, Dienstsport. Und die Polizeiseelsorge, die – anders als der Dienst am Thema Kinderpornographie – nicht freiwillig ist: Jährlich fällt die PSU an, die psychosoziale Unterstützung, vor ihr kann sich niemand drücken. „Wer aber mehr Termine benötigt, kann sie vereinbaren“, sagt Schulz. Jährlich gibt es zudem beim Kriminalkommissariat 11 den „Tag der Seele“, dem Kommissariat, das mit den übelsten Straftaten der Gesellschaft im Kreis Wesel zu tun hat. Todesermittlung, Sexualdelikte, Brandermittlung und eben mit der „EG Kipo“ auch die Kinderpornographie: Straftaten, die etwas mit den Menschen machen, die dagegen ermitteln.

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Warum tut sich jemand diesen Job an? „Kinder sind die Schwächsten unserer Gesellschaft, sie können sich nicht wehren“, sagt Michael Schulz. Wofür alle in seiner Ermittlungsgruppe brennen, sei, die Wehrlosen zu schützen. Wann immer der Verdacht auf noch andauernden Missbrauch eines Kindes aufkomme, geben die Ermittler alles, um ihn zu stoppen, so Christiane Dötsch, dann schaue niemand auf Überstunden.

Verbreitung von Kinderpornographie: Oft sind es Jugendliche, die das Material weiterleiten

Ob jemand das lange machen kann? „Ich habe eine erwachsene Tochter. Ob ich weiter machen kann, wenn es mal Enkel gibt, weiß ich nicht“, erläutert Michael Schulz. Klar sei aber: Wenn jemand nicht mehr will, ist er oder sie raus, das sei für alle in Ordnung. Freiwilligkeit ist ein Prinzip dieser Gruppe, die Schulz als eingeschworenes, gut aufeinander eingestelltes Team beschreibt.

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Wer verbreitet Kinderpornographie? Das hat wenig mit dem klassischen Klischee des alten, irgendwie schmierigen einsamen Mann zu tun. 24,1 Prozent derjenigen, die dieses Material weiterleiten, sind jugendlich. Den gleichen Anteil nehmen tatsächlich Kinder ein. Sie tun es aus Neugierde, Gedankenlosigkeit und mangelnder Lebenserfahrung. Die andere Hälfte, die das Material produzieren, damit handeln, es kaufen oder tauschen, sind Erwachsene. „Das geht quer durch die Gesellschaft“, sagt Christiane Dötsch.