Kreis Wesel. Der islamische Monat Ramadan steht vor der Tür und für Muslime beginnt damit die jährliche Fastenzeit, ebenso im Kreis Wesel. Ihre Alltagshürden.
Vor der Pandemie hat die gebürtige Syrerin Kholoud Al Saraj an Ramadan junge Syrer, die hier keine Familie haben, bekocht und sie täglich bei sich zum Essen versammelt. Die Pandemie-Jahre haben diese Tradition jedoch aufgelöst. Nun versucht sie, an Ramadan ihren Alltag zu bewältigen und geht täglich wie gewohnt morgens zur Arbeit. Die gelernte Ingenieurin ist in einem Altenheim tätig. Verkürzte Arbeitszeiten während des Fastenmonats, wie sie sie aus ihrer Heimat in Syrien kennt, gibt es hier nicht. Dass sie fastet, bekommen Nicht-Muslime in ihrem Umfeld hin und wieder mit. „Die Menschen machen den Fastenden Probleme“, sagt Al Saraj. „Welche Religion sagt, du musst hungern?“, hört die Muslima immer wieder.
Syrerin aus Moers: „An Ramadan braucht der Körper Zucker“
Die heute 58-Jährige flüchtete 2015 vor dem Krieg und lebt seitdem alleine in einer kleinen Einzimmer-Wohnung in Moers. Eine Woche vor Ramadan befüllten Menschen viele Körbe mit Speiseöl, Zucker, Bohnen, Linsen und anderen trockenen Grundnahrungsmitteln, um sie an arme Familien zu verteilen, damit diese sich im Fastenmonat keine Sorgen ums Essen machen müssen, erinnert sich Al Saraj an die Vorkriegszeit in Syrien zurück. „Die beste Zeit ist der ‚Iftar‘“ (Fastenbrechen nach Sonnenuntergang), sagt sie. Dann komme die ganze Familie zum Essen zusammen.
Süßspeisen und -getränke seien bei Syrern in dieser Zeit ein Muss, denn: „An Ramadan braucht der Körper Zucker“, so die Muslima. Daher ist für sie wichtig: „An Ramadan müssen mindestens drei verschiedene Säfte auf dem Tisch stehen.“ Als besonders begehrtes Getränk nennt sie „Sus“, ein wie Lakritz anmutendes Kalt-Getränk, das in Syrien im Sommer oft getrunken wird. Zum Iftar werden Datteln und getrocknete Früchte gegessen und dazu wird ein Saft getrunken. Das soll helfen, den Zuckerspiegel wieder hochzutreiben. „Danach geht man zum Gebet“, beschreibt Al Saraj den weiteren Ablauf. Im Anschluss werde Suppe und „Fatoush“ (ein Salat) serviert. „Dann hast du keinen Platz mehr, um weiter zu essen, aber du musst essen“, sagt die Syrerin lachend.
Nach dem Gebet gibt es Suppe und „Fatoush“
In ihrer Heimatstadt Damaskus war es üblich, dass jemand, der viel gekocht hat, seinen Nachbarn einen Teller davon zum Iftar schickt. Diesen Teller erhielt man am nächsten Tag ebenfalls mit Essen zurück. „Die Atmosphäre war sehr schön. Ich wünschte, es wäre jetzt auch so“, sagt sie mit traurigem Blick.
Glücklicherweise muss die Araberin auf syrische Lebensmittel in Deutschland nicht verzichten – diese finde sie größtenteils auch in internationalen und türkischen Läden um die Ecke. Dennoch fehlt ihr hier etwas: „Ich habe in Moers niemanden.“ Ihre Tochter lebt in Aachen und kommt sie hin und wieder besuchen. Ihr 17-jähriger Sohn sei in Saudi-Arabien bei seinem Vater, erzählt die zweifache Mutter. Den Ramadan verbringt sie heute mit ihrer Tochter oder geht hin und wieder mit Freundinnen abends in die Moschee. Obwohl sie in Deutschland während des Ramadans auf einiges verzichten muss, sagt sie ganz klar: „Ich möchte keine Sonderbehandlung. Das ist meine Privatsphäre. Ich mache das für Gott.“
Die Redaktion wollte wissen, was den Menschen im Kreis Wesel zum Thema Ramadan einfällt und hat auf Facebook und Instagram eine Umfrage gestartet – die Meinungen gehen dabei auseinander. „Respekt, andere Glaubenskulturen“, schreibt eine Frau auf Facebook. „Fastenmonat und für einen großen Teil der fünf Millionen Muslime in Deutschland relevant“, so ein Instagram-Nutzer. Doch es gibt auch negative Kommentare: Eine Nutzerin schreibt auf Facebook, „dass die Integration den Bach heruntergegangen ist“ und erhält dafür zwei Likes. „Gehört nicht zu Deutschland“, schreibt ein Mann ebenfalls auf Facebook.
Das islamische Fasten in Deutschland wird kritisiert
„Dummes Gelaber gibt es immer“, sagt der Marokkaner Abdel Hammou aus Kamp-Lintfort. Einen Grund, deswegen sein Leben zu ändern, sieht er jedoch nicht. In den meisten Fällen hat der Nordafrikaner positive Erfahrungen mit Nicht-Muslimen gemacht: „Die Leute respektieren das und essen nicht vor dir“, sagt er. Hammou kritisiert eher die muslimische Community. „Jeder kocht sein eigenes Süppchen“, meint er.
Hierbei bezieht sich der 50-Jährige darauf, dass jede islamisch geprägte Ethnie in Deutschland alleine feiere und dass der Zusammenhalt fehle. Die Ausnahme: In den Moscheen kommen alle zusammen und beten gemeinsam.
Ramadan ist das Fest der Liebe und vereint Nationen
„Muslime warten auf den Fastenmonat wie die Christen auf Weihnachten“, sagt Hammou. Der Ramadan sei ein Fest der Liebe, den alle Nationen gemeinsam verbringen. „Hier ist Multikulti“, so der Marokkaner. Doch gemäß seiner zuvor erwähnten Kritik höre beim Thema Essen das Multikulti auch für ihn auf: „Harira (scharfe Suppe aus Nordafrika) darf nicht fehlen“, sagt er und lacht. Ihm ist vor allem wichtig, die Traditionen aus seiner Heimat an seine beiden Kinder weiterzugeben, die nun hier in Deutschland aufwachsen.
„In Syrien finde ich den Ramadan einfacher“, sagt Salem Al Othaman aus Wesel. Genau wie Khoroud Al Saraj kommt auch er aus dem Nahen Osten. Das überwiegend muslimisch geprägte Land berücksichtige den Ramadan, indem beispielsweise auch Prüfungen in der Schule verschoben werden. „Die Deutschen wissen zwar, was Ramadan ist, aber können es nicht nachvollziehen“, sagt der 30-Jährige.
Frank-Walter Steinmeiers Worte an die Muslime zum Ramadan
Manche würden im Ramadan nur das Negative sehen. Doch über die gesundheitlichen Vorteile, wie die Regulierung des Zuckerspiegels, die sinkenden Cholesterinwerte oder auch die Ausscheidung von Giftstoffen, darüber spreche niemand. Ebenso die spirituellen Vorteile: Jeder Muslim, der während der Fastenzeit eine Sünde begeht, dessen Fasten wird laut dem Islam nicht angenommen. Aus diesem Grund geben sich die Gläubigen besonders Mühe.
Als positiv bewertet Al Othaman die jährliche Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Muslime zum Ramadan. „Das gibt mir das Gefühl dazuzugehören“, sagt der Syrer.
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