Kreis Wesel. Einsatzkräfte erleben Extremes. Damit sie nicht daran zerbrechen, gibt es im Kreis Wesel Hilfe: rund um die Uhr, das ganze Jahr über.

Alles gegeben, und trotzdem sind Menschen beim Feuer verletzt worden. Mit ganzem Wissen und Willen einen Patienten versorgt und ihn doch verloren. Ein beim Verkehrsunfall schwer verletztes Kind; ein Mensch, der sich vor den Zug geworfen hat. Eine Ertrinkende, die man nur fast zu fassen bekommen hat oder der Horror einer Einsatzleitung, nicht alle ihrer Leute heil zurückzubringen – das sind Bilder, die Einsatzkräfte trotz aller Professionalität manchmal nicht mehr loslassen. Retter sind keine Roboter. Es gibt Einsätze, nach denen brauchen Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungssanitäterinnen, Wasserretter oder Katastrophenschützer selbst Hilfe, um nicht am Erlebten zu zerbrechen. Sie brauchen Menschen, die wissen, wie das ist, die sich im Job auskennen und die zuhören.

Im Kreis Wesel gibt es seit knapp 20 Jahren die Psycho-Soziale Unterstützung (PSU) für Einsatzkräfte. Sie agiert im Hintergrund und ist etwas Besonderes, das es so sonst nicht gibt: Alle Einsatzkräfte, egal, ob Polizei, Feuerwehr, Malteser, Johanniter, DLRG, THW oder DRK, ja sogar mitunter Zugpersonal nach traumatischen Ereignissen finden unter den Ehrenamtlichen Ansprechpartner. Und manchmal hilft es schon zu wissen, dass jemand da wäre, wenn nötig.

Bernhard Ludwig ist Pfarrer im Ruhestand, er war jahrelang für die Notfallseelsorge im Kreis Wesel zuständig und gehört zum Führungstrio der PSU. Klaus Kutsch arbeitet hauptamtlich bei der Feuerwehr in Moers und ist Löschzugführer in Neukirchen, er hat viele Jahre Feuerwehrerfahrung. Und Thomas Deselaers ist Erster Kriminalhauptkommissar im Ruhestand – drei Männer mit „Stallgeruch“, die selbst ihren Teil an traumatischen Einsätzen zu tragen haben. Sie und ihre 45 Mitstreiterinnen und Mitstreiter sind rund um die Uhr erreichbar, 365 Tage im Jahr.

Im ländlichen Raum ist die Gefahr groß, auf Angehörige oder Freunde zu treffen

„ ,Person unter Zug’, das ist ein Einsatz, den niemand möchte“, sagt Klaus Kutsch, um ein Beispiel zu nennen. Jede Region hat ihre eigene Herausforderung – urbane ebenso wie ländliche. In den ländlicheren Gegenden, sagt Bernhard Ludwig, ist die Gefahr für die Einsatzkräfte, vor Ort auf Nachbarn, Angehörige, Freunde zu treffen, besonders hoch. „Jemand findet als Einsatzort die eigene Adresse. Oder ein Unfallopfer ist der Kollege, den man gerade im Dienst abgelöst hat...“ Die Liste der Grausamkeiten, die der Zufall Rettungskräften zumuten kann, ist sehr lang. Da war der Rettungssanitäter, der am Unfallort ein Kinderfahrrad sah, ganz genau so eins wie sein Sohn es hat. „Obwohl es gar nicht sein konnte, er und seine Familie leben in einer anderen Stadt, war er wie erstarrt“, erinnert sich Klaus Kutsch.

Menschen reagieren unterschiedlich. Und während gewöhnliche Leute nur selten in Ausnahmesituationen geraten – in diesem Fall hilft die Notfallseelsorge – kommen Einsatzkräfte naturgemäß immer wieder in traumatische Situationen. „Im Laufe der Jahre wird das Fass immer voller“, erläutert Kutsch. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass es nicht überläuft.“

Den Augenblick erkennen, wenn professionelle Hilfe notwendig wird

Sie tun das nicht allein aufgrund ihrer eigenen Berufserfahrung, obschon die eine entscheidende Vertrauensbasis schafft. Die Ehrenamtlichen der PSU lassen sich gründlich schulen. Sie trainieren Gesprächsverläufe, aber sie lernen auch zu erkennen, wann sie an ihre Grenzen stoßen und psychiatrische Hilfe notwendig wird: zu sehen, wann Belastungsreaktionen nicht mehr normal, sondern pathologisch werden. Sie erkennen den Augenblick, wann professionelle Hilfe nötig ist. „Wenn jemand gar nicht mehr zur Ruhe kommt, auch nach sechs bis acht Wochen nicht. Wenn Dinge vermieden werden – Unfallorte beispielsweise.“ Wenn bestimmte Geräusche und Gerüche in die Einsatzsituation zurück werfen, wenn der Schlaf einfach nicht mehr kommt.

Wird die PSU gebraucht, ist es häufig die Kreisleitstelle, die die Retter für die Retter anfordert. Mitunter sind es aber auch Einsatzleitungen. Es ist eine ungewöhnliche Einheit, üblicherweise hat jede Organisation eigene Kräfte. Mitunter aber solche, die weit entfernt angesiedelt sind – oder auch Strukturen, die solche Vorgänge festhalten. Die PSU hat sich der Verschwiegenheit verschrieben. Und, da sind Ludwig und Kutsch sich einig: Sie hat die volle Unterstützung des Kreises. Obwohl Ehrenamt, sind die regelmäßigen Schulungen und das notwendige Equipment nicht billig.