Kreis Wesel. Seit Ende 2018 können Menschen das Geschlecht „divers“ eintragen lassen. Vertreter aus der Community im Kreis Wesel sprechen über die Hürden.

Das „Herr“ und „Frau“ im offiziellen Anschreiben, „er“ und „sie“ im Sprachgebrauch genauso wie das Spielzeugauto als Geschenk für den Jungen und die Puppe für das Mädchen: Die Zuschreibung „männlich“ oder „weiblich“ ist in unserem Alltag noch immer gängige Praxis, klassische Rollenbilder sind allgegenwärtig – doch inwieweit bildet das die heutige Lebenswirklichkeit noch ab? Seit 2018 können Menschen in Deutschland „divers“ im Personenstandsregister eintragen lassen. Anfragen bei hiesigen Standesämtern haben gezeigt: Im Kreis Wesel sind es nur wenige Menschen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Eine Kommune hat zum Schutz der Personen keine Auskunft gegeben.

Eine Hürde: Nur Interpersonen können Option nutzen – mit Attest

Der Personenstand „divers“ werde in der Community sehr vielfältig genutzt, weiß René Kaiser vom Jugendzentrum Together Niederrhein, das in Dinslaken mit einem Jugendcafé Anlaufstelle für junge queere Menschen im Kreis bietet. Bei der Regelung zur Eintragung gebe es allerdings Hürden. Allen voran, „dass es nur eine Möglichkeit für Interpersonen mit einem Attest ist – also einer zusätzlichen Diagnose.“ Und davon gebe es aktuell knapp 50. Intergeschlechtliche Personen haben körperliche Geschlechtsmerkmale, die sich nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Kaisers Eindruck: Viele, vor allem nichtbinäre Personen (sie identifizieren sich weder als ausschließlich weiblich noch ausschließlich männlich), zögen statt der Angabe des Geschlechts vor, den Eintrag offen zu lassen – eine vierte Variante beim Standesamt.

Sascha Roncevic vom Verein SLaM and Friends Moers wundert es nicht, dass sich im Kreis kaum Menschen als „divers“ eintragen lassen. Er verweist auf die prozentual geringe Zahl derer, die das betrifft. Er unterstützt den Eintrag dennoch und betont die Gleichberechtigung: „Menschenwürdiges Leben sollte für alle gelten.“

„Mindestlösung“: Viele Fragen bleiben bei dritter Option offen

Die gefühlte intergeschlechtliche Identität sei nicht ausreichend, weist Kaiser auf ein ergänzendes BGH-Urteil hin und benennt das Problem, dass Transpersonen, also Menschen, die sich nicht oder nicht nur dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen, die Regelung nicht nutzen können. Um ihr Geschlecht zu ändern, müssen sie weiter das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz durchlaufen – ein langer, teurer und entwürdigender Prozess, nicht zuletzt laut Bundesverfassungsgericht grundrechtswidrig. Es gehöre „dringend abgeschafft“, sagt Roncevic.

Er und Kaiser nennen weitere Grauzonen und Hürden bei der Wahl des Geschlechts „divers“: Auf welche Toilette können die Menschen gehen? Welche Umkleide können sie nutzen? Wer kann leiblicher Vater oder Ehegatte sein? „Das schreckt manche ebenfalls ab“, weiß Kaiser. Eine weitere Hürde bestehe beim Reisen, etwa außerhalb der EU. Laut Kaiser hat die Bundesregierung mit der dritten Option bei der Geschlechterangabe nur eine „Mindestlösung“ gefunden, sie bringt einige offene Fragen mit sich. Irgendwann könne der Schritt kommen, die Geschlechterangabe abzuschaffen, „wozu braucht man das?“, wirft Kaiser auf.