Kreis Wesel. Rollenbilder werden früh geprägt und beeinflussen die Berufswahl, so eine Expertin aus dem Kreis Wesel. Helfen sollen „Girls’Day“ und „Boys’Day“.

Immer noch spielen Klischees in der Berufs- und Arbeitswelt eine viel zu große Rolle, findet Stefanie Werner, Leiterin der Fachstelle Frau und Beruf im Kreis Wesel. Der Grundstein dazu werde früh gelegt: Jemand baue etwas, das werde einem Mann zugeschrieben, jemand kümmere sich, damit werde die Frau assoziiert. Kinder lernten von klein auf typische Berufsrollen, „schon mit drei Jahren haben sie diese Bilder im Kopf. Das ist verflixt früh.“ Und steht mitunter der Entwicklung anderer Fähigkeiten im Weg. „Girls’Day“ und „Boys’Day“ am Donnerstag, 27. April, sollen Abhilfe schaffen, Mädchen können etwa Einblicke in die sogenannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) erhalten, bei den Jungen stehen vor allem Berufe aus dem sozialen, erzieherischen und pflegerischen Bereich im Vordergrund.

Zahlen der Arbeitsagentur im Kreis Wesel verdeutlichen Klischees in Berufen

Die Einschätzung von Stefanie Werner lässt sich auch an Zahlen der Agentur für Arbeit verdeutlichen. Zum Stichtag 30. Juni 2022 waren den Angaben zufolge knapp 70.000 Frauen im Kreis Wesel sozialversicherungspflichtig beschäftigt – die Bereiche Soziales, Pflege, Medizin und Verkauf stechen bei der Verteilung besonders hervor (siehe Tabelle). In den sogenannten MINT-Berufen seien Frauen – hier könne mit den Kreisen Wesel und Kleve nur der gesamte Agenturbezirk betrachtet werden – „deutlich unterrepräsentiert“, wie es aus der Pressestelle der Agentur heißt. Von insgesamt 43.846 Beschäftigten seien hier nur 14,3 Prozent weiblich. Die meisten Frauen arbeiteten den Angaben zufolge noch im Bereich Mathematik (54,1 Prozent), deutlich geringer fällt ihr Anteil im Bereich Informatik (12,1 Prozent) und Technik (11,3 Prozent) aus. Immerhin habe es im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs um 522 weibliche Beschäftigte (9,1 Prozent) über diese drei Felder gegeben, heißt es.

  • Medizinische Gesundheitsberufe: 11.452 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Anteil: 16,4 Prozent)
  • Erziehung, soziale, hauswirtschaftliche Berufe, Theologie 10.404 (14,9 Prozent)
  • Berufe Unternehmensführung, -organisation: 9.920 (14,2 Prozent)
  • Verkaufsberufe: 8.511 (12,2 Prozent)
  • Nichtmedizinische Gesundheit, Körperpflege, Medizintechnik: 4.563 (6,5 Prozent)

Und wie ist das Interesse der Nachwuchskräfte? Markus Brandenbusch, Bereichsleiter Berufsberatung der Agentur, sieht hier schon noch geschlechterspezifische Vorlieben. So würden männliche Bewerber etwa eher Berufe wie den KfZ-Mechatroniker, Chemikanten oder Tischler bevorzugen, junge Frauen sich derweil oft als Medizinische Fachangestellte, Verwaltungsfachangestellte, Friseurin oder Pferdewirtin bewerben. Aber Brandenbusch sieht auch eine Entwicklung: Bewerberinnen würden sich stärker als noch vor ein paar Jahren für technische Berufe interessieren, auch weil dies nicht mehr als „exotisch“ angesehen werde.

Rollenbilder in der Berufswelt: Fachkräftemangel wird verstärkt

Dass es in der Berufswelt trotzdem immer noch das Stigma männlich und weiblich gebe – etwa im Handwerk und der Pflege, hat laut Stefanie Werner auch Folgen für die Wirtschaft: In diesen Berufen wirke sich der Fachkräftemangel besonders aus, „da fehlt dann noch ein mal mehr der Nachwuchs“, so die Expertin. Der „Girls’Day“ und „Boys’Day“ sind aus ihrer Sicht wichtig. Gefordert seien auch die Unternehmen sowie Schulen, um entsprechend zusammenzuarbeiten und zu informieren. Und die Eltern seien eine wichtige Zielgruppe, denn sie würden die berufliche Orientierung ihrer Kinder wesentlich mitbestimmen. Auch hier spielten Klischees noch viel zu oft eine Rolle, genauso werde noch immer ein akademischer Werdegang bevorzugt, sagt Werner.

Ob ein einzelner Tag wie der Girls’ und Boy’s Day etwas im Bewusstsein ändert? An Zahlen lasse sich das nicht ablesen, so Markus Brandenbusch. „Aber trotzdem ist ein solcher Tag wichtig und vielleicht ein ganz entscheidender Mosaikstein im Berufswahlprozess.“ Das Hineinschnuppern in die Tätigkeit, der weitere Kontakt zum Unternehmen oder ein anschließendes Praktikum: „Es ist natürlich zu wenig, aber es ist schon mal ein schöner Anknüpfungspunkt“, findet auch Stefanie Werner.

„Girls’Day“im Kreis Wesel - hier gibt es Infos:

In den Kreisen Wesel und Kleve organisieren die Berufsberatung und der Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit und des Jobcenters am 27. April für rund 40 Schülerinnen Besuche bei Unternehmen in Hünxe, Voerde, Moers und Kleve, heißt es. Es geht ums gegenseitige Kennenlernen: Im Kreis Wesel beteiligen sich beispielsweise die Unternehmen EAL Leidel GmbH in Hünxe und Trimet Aluminium in Voerde. Ein zusätzliches Angebot gebe es für Schülerinnen mit Handicap beim Bildungsträger SBH West in Wesel.

Auch die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer (IHK) beteiligt sich am „Girls’Day“ . „Wir arbeiten jahrzehntelang in unseren Jobs, müssen uns aber bereits in jungen Jahren entscheiden, wohin es gehen soll. Einfach ist das nicht“, sagt Judith Hemeier, Referentin für Fachkräftesicherung bei der IHK. „Klassischerweise sollen Mädchen beim Girls Day an MINT-Berufe herangeführt werden. Das Credo in diesem Jahr lautet aber: Der Weg in die Selbstständigkeit lohnt sich“, so Hemeier. Schülerinnen könnten Führungsfrauen über die Schulter schauen und ihnen Fragen stellen.

Für 2023 sind laut IHK noch Plätze frei, Interessierte können sich bei Judith Hemeier melden: hemeier@niederrhein.ihk.de. Weitere Infos zum Aktionstag der IHK (https://www.ihk.de/niederrhein/girlsday2023 ) sowie allgemein zum „Girls’Day“ und „Boys’Day“: https://www.girls-day.de/,https://www.boys-day.de/