An Rhein und Ruhr. Um Deiche vor Nutrias zu schützen, wird eine stärkere Bejagung der „Plage“ gefordert. Der Nabu möchte nach alternativen Lösungen suchen.
Am Tenderingssee zwischen Voerde, Hünxe und Dinslaken sind sie anzutreffen, ebenso im und um den Schlossgraben von Schloss Ringenberg in Hamminkeln sowie den Ruhrauen in Essen-Heisingen: Die Nutria, eine ursprünglich aus Südamerika stammende Nagetierart, breitet sich als invasive Art am Niederrhein und auch im Ruhrgebiet weiter aus.
Ihr auf den ersten Blick putziges Aussehen dürfe dabei nicht über die Gefahren hinweg täuschen, die von diesen Tieren ausgehen, warnt Holger Friedrich. Der Geschäftsführer vom Deichverband Bislich-Landesgrenze und Sprecher des Arbeitskreis für Hochwasserschutz und Gewässer in NRW e.V. berichtet von Schäden an Uferböschungen und sorgt sich um den Hochwasserschutz – ebenso wie um die heimische Flora und Fauna. Er beklagt einen mangelnden Willen im Land, tatsächlich wirksam gegen die „Plage“ vorzugehen – und verweist auf effektive Maßnahmen in den Niederlanden.
Deichanlagen untergraben
„Es ist leider eine unendliche Geschichte“, resümiert Friedrich. „Seit 1999 bin ich in der Wasserwirtschaft beschäftigt, seit diesem Zeitpunkt habe ich mit Nutrias zu tun.“ Die Tiere, die in Deutschland aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit anderen Nagern auch Biberratte oder Sumpfbiber genannt und bis zu 65 Zentimetern groß werden, unterhöhlen Deichanlagen und Uferbereiche, graben sich oberhalb der Wassergrenze meterweit ein, um dort Nester zu bauen.
Schweres Gerät nur schwer einsetzbar
Aktuell hätte etwa eine Population im Bereich des Naturschutzgebiets Hetter-Millinger Bruch (Emmerich/Rees) ihr Unwesen getrieben. „Die Schäden in der Uferböschung durch die Höhlen sind noch nicht beseitigt.“ Mit schwerem Gerät könne nicht einfach angerückt werden. „Unter Umständen stehen wir am Ende mit einer Schüppe da, um in der Böschung zu arbeiten.“
Allein für seinen Deichverband stünden jährliche Reparaturkosten in fünfstelliger Höhe an. Die Arbeiten im Hetter-Millinger Bruch taxiert Friedrich auf eine Höhe von rund 5000 Euro. Dazu kommen die Auswirkungen auf geschützte Pflanzen, im Kreis Kleve wurden die Röhrichtbestände dezimiert.
„Sie pflanzen sich unfassbar schnell fort“, führt Friedrich an. Pro Jahr sind bei Nutrias drei Würfe möglich, jeweils mit bis zu sechs Jungen. Geschlechtsreif sind die Tiere bereits nach fünf bis sechs Monaten. „Und einen natürlichen Feind haben sie nicht.“ Der letzte „Gegner“ sei langanhaltender Frost gewesen. „Durch die milderen Winter in unseren Breiten überstehen die Nutrias diese Tage und Wochen aber.“
Im Blick hat Friedrich besonders die Situation in den Niederlanden. „Im Inland gibt es dort keine Nutrias mehr, nur noch in den grenznahen Regionen zu Deutschland.“ Dies hänge mit einer effektiven Jagd im Nachbarland zusammen. „Es werden in Vollzeit Jäger beschäftigt, die sich nur auf die Nutriapirsch begeben.“ Diese seien auch im Grenzgebiet, mitunter auf deutschem Boden, aktiv. „Ohne diesen Einsatz hätten wir hier noch viel mehr Tiere.“
Friedrich sieht die Wasser- und Bodenverbände alleine auf verlorenem Posten. „Wir sind die einzigen, die sich tatsächlich Gedanken machen, wie wir Herr der Lage werden.“ Dabei sei es aus seiner Sicht eine gesellschaftlich wichtige Aufgabe, gegen die Nutrias vorzugehen. „Zu oft haben wir bei Gesprächen zu hören bekommen, dass das Thema der Bekämpfung ‘mitgenommen werde’. Passiert ist nichts.“
Nabu: Bekämpfung istschwierig bis unmöglich
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in NRW verweist darauf, dass die Nutria vom Bundesamt für Naturschutz als invasive Art eingestuft wurden, was eigentlich deren flächendeckende Bekämpfung zur Folge habe. „Bei Arten, die schon weiter verbreitet sind, ist dies jedoch schwierig bis unmöglich“, erklärt Pressesprecherin Birgit Königs. In solchen Fällen solle laut Verordnung die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. „Das heißt, wenn notwendig, soll ein lokales Wildtiermanagement umgesetzt werden, um größeren Schaden von der Natur abzuwenden – etwa wenn die Schutzziele in Schutzgebieten durch invasive Arten gefährdet werden“, so Königs.
Mit der Bejagung der Nagetiere tut sich der Nabu schwer. „Überall dort, wo der Hochwasserschutz durch Nutrias gefährdet ist oder im Naturschutz gefährdete Tier- oder Pflanzenarten durch Nutrias im Bestand bedroht werden, sieht auch der NABU-Landesverband eine solche lokale Regulierung der Bestände als notwendig und sinnvoll an“, sieht Birgit Königs durchaus Handlungsbedarf. Dabei sei aber eine Abwägung im Einzelfall, bei der Tierschutzaspekte, Schaden und Nutzen betrachtet werden, notwendig. „Zudem sollten für die Zukunft alternative Möglichkeiten der Schadensbegrenzung geprüft werden.“
Die Nutria, wissenschaftlicher Name Myocastor copyus, werden seit 2016 auf der „Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung“ der Europäischen Union geführt. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass es zur flächendeckenden Bejagung kommt. Das nordrhein-westfälische Umweltministerium betont, dass bei den Nutrias „in erster Linie die Verringerung wasser- oder landwirtschaftlicher Schäden im Fokus“ stünde. Generell seien Jägerinnen und Jäger zur Jagd auf die Nutria berechtigt. 26.690 Tiere wurden im Jagdzeitraum 2020/2021 erlegt. In Naturschutzgebieten bedarf die Bekämpfung der Nutria einer naturschutzrechtlichen Ausnahme oder Befreiung. Diese können in den Kreisen und kreisfreien Städten die Unteren Naturschutzbehörden erteilen.