Kreis Wesel. Michael Düchting hört nach mehr als 20 Jahren als EAW-Leiter auf. Im Interview spricht er über gemeisterte und anstehende Herausforderungen.
In der vergangenen Woche hat sich der Kreis Wesel bei der Expo Real in München präsentiert. Für Michael Düchting (66) als Leiter der Entwicklungs Agentur Wirtschaft (EAW) ist das seit mehr als 20 Jahren ein fester Termin im Kalender. Schließlich kann er dort zusammen mit seinen Partnern aus der Wirtschaftsförderung den Kreis vertreten, wichtige Kontakte knüpfen und potenzielle Investoren auf die Region aufmerksam machen. Seit 2001 gibt es die EAW, Düchting hat sie als Leiter von Beginn an begleitet. Zum Oktober nun hat er an seinen Nachfolger Lukas Hähnel übergeben, bis zum Jahresende steht er ihm noch als Stellvertreter zur Seite.
Wie haben Sie Ihren Start mit der EAW noch in Erinnerung?
Michael Düchting (holt einen alten Zeitungsartikel hervor): Ich habe mal ein bisschen recherchiert – da sah ich noch etwas anders aus – und mich gefragt: Was hast du damals eigentlich gesagt, in deinem jugendlichen Leichtsinn? „Die Region hat Potenzial“ lautete damals die Überschrift als Quintessenz. Und genau das würde ich heute wiederholen – und ergänzen: Wenn man es denn nutzt und nutzen kann.
Was waren damals die großen Herausforderungen?
Ein Ziel war die Bewältigung des Strukturwandels. Ich habe damals gesagt, man muss alle Chancen des Kreises für Neuansiedlungen nutzen – vor dem Hintergrund der Zechenschließungen und etwa der Insolvenz bzw. dem Weggang des großen Handywerks von Siemens, später BenQ. Meine Idee war, das durch ein sehr intensives Standortmarketing ein Stück weit aufzufangen. Da blicke ich auch mit einem gewissen Stolz zurück. Wir haben über die ganzen Jahre hinweg ein bundesweites Netzwerk mit Kontakten aufgebaut, uns über Messen und Kongresse als Kreis Wesel präsentiert und bei Investoren bekannt gemacht. Das hat auch maßgeblich zu größeren Ansiedlungen mit beigetragen (wie z.B. Amazon in Rheinberg oder LGI in Hünxe), was auch zu erheblichen Beschäftigungseffekten geführt und den Bekanntheitsgrad gesteigert hat.
Was sind weitere Höhepunkte aus Ihrer Sicht gewesen?
Wir haben das Aufgabenspektrum der EAW über die Jahre deutlich ausgeweitet. Neben den klassischen Aufgaben einer Wirtschaftsförderung ist der Tourismusbereich in enger Zusammenarbeit mit Niederrhein Tourismus dazugekommen. 2003 sind wir mit 580.000 Übernachtungen im Jahr gestartet, 2019 standen wir vor dem Corona-Einbruch bei 850.000. Ein Erfolg für den Kreis – hier ist ein wichtiger Wirtschaftsbereich mit erheblicher Wertschöpfung entstanden. Das ist gleichzeitig ein wichtiger Faktor für die Fachkräftegewinnung. Und auch beim Breitbandausbau haben wir uns frühzeitig auf den Weg gemacht.
Wo stehen wir im Kreis da?
Nach aktuellem Stand werden wir etwa 10.500 Haushalte, 480 Unternehmen und 46 Institutionen – zum Beispiel Schulen und Weiterbildungseinrichtungen – mit geförderten Glasfaseranschlüssen ausbauen. Das hängt zusammen mit der Verlegung von Glasfaser-Strecken von ca. 1300 Kilometern. Davon wurden bisher kreisweit knapp 40 Prozent ausgebaut und wir hoffen, wie vorgesehen, bis Ende 2023 fertig zu werden.
Wenn Sie zurückblicken – was ist weniger gut gelaufen?
Die Erstellung des Regionalplans Ruhr. Das hat sich viel zu lange hingezogen mit dem Ergebnis, dass wir über einen sehr langen Zeitraum eigentlich immer nur auf mögliche größere Flächen verweisen konnten. Und die Kommunen mittlerweile viel zu wenig Flächen für die ansässige Wirtschaft haben. Das hat uns bei der Vermarktung behindert und auch Investitionen gekostet. Wir haben beispielsweise seit Anfang 2020 Gespräche mit etwa 80 Investoren geführt – da ging es um 500 Hektar und geschätzt rd. 20.000 Beschäftigte. Die konnten wir nicht bedienen. Das gleiche gilt auch für die Breitbandförderung – auch das hätten wir gerne viel schneller erreicht. Das hat sich aufgrund der komplexen und zum Teil schwierigen Förderbedingungen sehr lange hingezogen. Jetzt sind wir da ein stückweit in die Krisenentwicklung reingerutscht und hoffen, das trotzdem fristgerecht hinzubekommen.
Welche Herausforderungen und Potenziale sehen Sie in den kommenden Jahren?
Für die Industrie und den Mittelstand gilt es, für gute Verkehrs-, Breitband- und Mobilfunkanbindungen, Erfahrungs- und Wissensaustausch in der Region und Fachkräfte zu sorgen. Die immensen Investitionen des Kreises in die Berufsschulen werden schon stark wahrgenommen in Bezug auf das zukünftige Fachkräftepotenzial. Auch im Bereich Wasserstoff hat sich der Kreis Wesel mit Partnern wie Deltaport und aus der Wirtschaft eine gute Ausgangsposition erarbeitet, die es in Zukunft zu nutzen gilt. Es wird zudem sehr darauf ankommen, mit den begrenzten Flächenpotenzialen geschickt umzugehen, um einerseits unsere Chancen von Neuansiedlungen zu nutzen, ganz wichtig – fast noch wichtiger ist aber die Entwicklungsmöglichkeiten der ansässigen Wirtschaft zu sichern. Gleichzeitig muss dies mit anderen Flächen-Anforderungen abgeglichen werden – also etwa mit neuem Siedlungsraum oder Flächenverbrauch durch Kiesabbau. Auch Flächenerhalt zur Absicherung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft insgesamt bis hin zu den Anforderungen der Ökomodellregion Niederrhein ist ein wichtiger Aspekt zur Stärkung und Sicherung der ländlichen Räume. Wir haben ja hier beides – den stärker industriell und gewerblich geprägten und auf der anderen Seite den ländlichen Raum. Das macht den Kreis auch so attraktiv und zukunftssicher.
Über wie viel Potenzial verfügt der Kreis aktuell bei der Vermarktung von Flächen?
Aktuell sind das etwa 100 Hektar kleinere Flächen, die uns verteilt auf die 13 Kommunen tatsächlich zur Verfügung stehen. Das steht aber noch unter Vorbehalt des Regionalplans, der bislang ja nur zum Teil rechtskräftig ist. Was aber feststeht, sind die perspektivisch 400 Hektar Kooperationsstandorte, die in erster Linie aufgrund ihrer Lage und ihrer planerischen Voraussetzungen für überregionale und/oder größere Ansiedlungen in Frage kommen. Vor allem damit waren wir jetzt auch auf der Expo Real in München.
Wie werden Sie die Entwicklung im Kreis Wesel weiterverfolgen?
Ich habe vor, ab dem nächsten Jahr für diesen Wirtschaftsraum in einer anderen Position tätig zu sein; im weiteren Sinne aber im Bereich Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung. Privat bin ja als Ostwestfale meiner Heimat treu geblieben; ich habe aber im Kreis Wesel viele Kontakte und Freunde und werde sicherlich mal mit meiner Frau hier häufiger Urlaub machen. Vielleicht rufe ich dazu dann auch mal bei der Tourismusförderung an und lasse mich beraten.