Kreis Wesel. Vergewaltigungsopfer können im Kreis Wesel anonym gerichtsfeste Spuren sichern lassen. Wie das funktioniert und warum es so wichtig ist.

Für Vergewaltigungsopfer ist die Hürde, zur Polizei zu gehen, hoch: traumatisiert, gedemütigt, hilflos und häufig verletzt, trauen sich viele diesen Gang nicht zu. Sie schämen sich, haben Angst. Über den Albtraum zu sprechen würde außerdem bedeuten, ihn erneut zu durchleiden. „Viele müssen sich erst selbst finden“, sagt Tanja Lange, Opferschutzbeauftragte der Kreispolizei Wesel. Das Dilemma: Eine spätere Anzeige könnte aus Mangel an Beweisen scheitern, weil es keine Spuren mehr gibt. Im Kreis Wesel bietet die sogenannte Anonyme Spurensicherung nach Sexualstraftat (ASS) eine Lösung. Die Opfer sexualisierter Gewalt – in der Regel Frauen – lassen die Spuren der Tat medizinisch und gerichtsfest sichern. Anonymisiert werden diese Beweise an das Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Düsseldorf geleitet und dort für zehn Jahre aufbewahrt.

Anlaufstellen in Moers, Wesel und Dinslaken

Diese Spurensicherung ohne Polizei bieten die Krankenhäuser Bethanien und St. Josef Moers, das Marien-Hospital und das Evangelische Krankenhaus Wesel, St. Vinzenz in Dinslaken und Dr. Frank Olbrich in Moers an. Dr. Michele Hamers ist Gynäkologin am Bethanien und hat Erfahrung mit ASS. „Es ist wichtig, so früh wie möglich zu kommen“, sagt die Ärztin. Sie ergänzt aber: „Die Frauen können jederzeit kommen, auch nach Tagen lassen sich manchmal noch Spuren feststellen.“ Auch dann, wenn sie bereits geduscht haben sollten, was einige Spuren zerstört, Verletzungen beispielsweise aber nicht. Die Hilfesuchenden sollten zudem die Kleidung mitbringen, die sie bei der Tat getragen haben und einen Ausweis dabei haben.

Nur zu Beginn der Prozedur ist der Name wichtig. Mit Hilfe von „iGobsis“, dem Gewaltopfer-Beweissicherungs- und Informationssystem der Düsseldorfer Universitätsklinik, werden die Daten der Frauen verschlüsselt und somit anonymisiert gespeichert. Die Uniklinik bietet den teilnehmenden Kliniken und Praxen Zugang zu dem Portal. Nur die Frauen selbst entscheiden, ob und wann die Daten an die Polizei gehen, niemand sonst soll Zugriff darauf haben.

iGobsis leistet noch mehr: Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte erhalten detaillierte Informationen darüber, wie sie Spuren so sichern müssen, damit Richterinnen und Richter sie anerkennen. Zudem gibt es regelmäßige Schulungen.

Sexuelle Gewalt macht die Seele krank

Was für eine Herausforderung diese Arbeit ist, zeigt unter anderem das Kapitel „Ansprechen“ bei iGobsis: „Fragen Sie offen, aber auch konkret. Bieten Sie eine sichere Umgebung, vermitteln Sie Wertschätzung.“ Im Umgang mit Gewaltopfern ist medizinische Expertise allein nicht ausreichend. Fingerspitzengefühl ist gefragt, schließlich geht es nicht allein um den Körper der Patientinnen, auch ihre Seele kann bleibende Schäden erleiden.

Rund ein Drittel der Menschen, die Gewalt im Erwachsenenalter erleben, leiden längerfristig an Problemen wie einer posttraumatischen Belastungsstörung, an Depression, an körperlichen Beschwerden, die sich nicht auf eine organische Erkrankung zurückführen lassen, oder an Suchtkrankheiten, heißt es in den Ausführungen der Uniklinik Düsseldorf

Wer eine ASS wünscht, erhält in der Klinik auch Hinweise, wo es mehr Hilfe gibt. Beim Verein Frauen helfen Frauen in Moers beispielsweise, oder in der Frauenberatungsstelle der Frauengruppe Wesel. Auch der Opferschutzverein Weißer Ring kann helfen und beraten. Dessen Vertreter am Niederrhein Karl-Heinz Schayen begrüßt ausdrücklich diese Möglichkeit, die es erst seit wenigen Jahren im Kreis Wesel gibt und für Gewaltopfer eine echte Chance bietet, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen.

Gespräche bringen das Risiko der Retraumatisierung mit sich

Die Opferschutzbeauftragte der Kreispolizei, Tanja Lange, sagt, dass zehn Jahre Aufbewahrungszeit der Beweise nur auf den ersten Blick eine lange Frist sind. „Es besteht immer die Gefahr einer Retraumatisierung, wenn Opfer über die Tat sprechen müssen“, erläutert sie. Um das zu vermeiden, befrage die Polizei solche Opfer so selten wie möglich, „sie erleben die Straftat sonst wieder und wieder“. Im Rahmen der anonymen Spurensicherung aber ist die Polizei außen vor, vielleicht nur eine Zeit lang, vielleicht für immer. Das entscheiden die Opfer. Und zehn Jahre, das ist Zeit, eine Therapie zu durchlaufen oder eine gewalttätige Beziehung aufzulösen, das Erlebte hinter sich zu lassen.

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