Kreis Wesel. Hohe Produktionspreise, nötige Investitionen, Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg: Warum die Kreisbauernschaft Wesel um die Betriebe fürchtet.

Strukturwandel in der Landwirtschaft? Davon kann keine Rede sein, sagt Franziska Verhülsdonk, Geschäftsführerin der Kreisbauernschaft Wesel, „wir erleben gerade einen Strukturbruch“. Kernproblem nicht nur der Kreis-Weseler Bauern: Die Produktionskosten für Lebensmittel schießen in die Höhe - die Verbraucherpreise folgen nicht entsprechend. Und der Löwenanteil der Wertschöpfung bleibt beim Einzelhandel. Zudem bringt der Ukraine-Krieg Unsicherheit bei der Futterbeschaffung.

Thema Schweinehaltung: 143 Betriebe gab es am Stichtag 1. März 2020 im Kreis Wesel mit 104.754 Tieren, sagt die Statistik des Landesbetriebs IT NRW. Es sind Ergebnisse der jüngsten Landwirtschaftszählung, die es alle zehn Jahre gibt. Im Jahr 2030 könnte das deutlich anders aussehen, „die Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand“, warnt Verhülsdonk.

Sollen die Bauern erhöhten Anforderungen an das Tierwohl erfüllen, zahlen sie drauf: Ein dicker Posten ist die Investition in den Ausbau der Ställe. Das Thema treibt auch andere um, die Milchviehbetriebe beispielsweise (laut IT NRW am Stichtag 268 im Kreis Wesel mit 25.635 Tieren): Die Kosten für Diesel, Dünger und Futter explodieren aktuell.

Skeptischer Blick auf die angekündigte Agrarwende der Bundesregierung

Und die Agrarwende, von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke angekündigt? Sie soll die Umwelt- und Agrarinteressen zusammenbringen. „Wir sind vorsichtig optimistisch bis skeptisch“, kommentiert Verhülsdonk, „das sind zunächst mal vollmundige Versprechen. Es stellt sich die große Frage nach der Umsetzung.“ Aldi, Lidl & Co forderten mehr Tierwohl, honorieren wollten sie es aber nicht. „Die Verbraucherpreise steigen aktuell“, erläutert die Geschäftsführerin des Kreisbauernverbandes, „entscheidend ist, was davon in der Landwirtschaft ankommt.“

Direktvermarktung ist ein Mittel der Bauern, den Einzelhandel außen vor zu lassen: Nicht jeder hat aber die Möglichkeit dazu.
Direktvermarktung ist ein Mittel der Bauern, den Einzelhandel außen vor zu lassen: Nicht jeder hat aber die Möglichkeit dazu. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Ein Ansatz der heimischen Bauern ist es, den Einzelhandel in der Wertschöpfungskette zu umgehen, indem sie ihre Produkte selbst vermarkten. „In der Corona-Zeit hat sich viel getan: Hühnermobile, Pflückblumenwiesen, Direktvermarktung - das ist Urproduktion“, so Verhülsdonk. „Entscheidend ist hier aber die Lage.“ Nur Höfe nahe der Städte können so wirtschaften. Es kommt auch auf das Produkt an: Gemüse und Milch geht, Fleisch eher nicht. Als Grünlandregion biete sich im Kreis Wesel die Weidetierhaltung an. 748 landwirtschaftliche Betriebe im Kreis Wesel hielten laut IT NRW zum Stichtag Vieh.

Auflagen verlangen hohe Investitionen von den Betrieben

Die Auflagen steigen stetig: Anlagen, in denen das Grundfutter Gras und Mais für die Tiere siliert wird, müssen umgerüstet werden. Bei Regen dürfen keine Sickersäfte in den Boden gelangen. „Das sind Investitionen je nach Größe und Qualität von 10.000 bis 200.000 Euro. Über die Milchproduktion ist das nicht hereinzubekommen. Und die Banken finanzieren das nicht gern.“

Diesel ist teurer geworden und der Düngerpreis hat sich verdreifacht. Auch Futter kostet deutlich mehr. Ein Trend, den der Ukrainekrieg verschärfe: „Er trifft nicht nur die Börse. Er lässt auch den Weizenpreis in die Höhe schießen.“ Weizen ist häufig Bestandteil des Mischfutters für Schweine und Milchvieh, die Ukraine die Kornkammer des Ostens und der Handel international. „Es besteht große Unsicherheit, ob europäische Hersteller den Bedarf bedienen können“, erläutert Franziska Verhülsdonk.

Und dann ist da noch die Konkurrenz um Flächen im Kreis Wesel: „Sehen sie sich die Offenlage des Regionalplans an: 1200 Hektar sind dort neu für die Auskiesung ausgewiesen, in Neukirchen-Vluyn, Kamp-Lintfort, Rheinberg, Hünxe, Alpen, Wesel und Hamminkeln. 99 Prozent davon sind Landwirtschaftsflächen, hochwertige Böden.“ Den Bauern werde die Produktionsgrundlage entzogen, 75 Prozent ihrer Flächen seien gepachtet. Und die Eigentümer locke der schnelle Gewinn. „Wir werfen unsere wertvollen Flächen mit vollen Händen aus dem Fenster“, urteilt Verhülsdonk.

Hoffnung auf die Ökomodellregion mit dem Kreis Kleve

Es sieht nicht gut aus für die laut statistischem Bundesamt im Jahr 20/21 insgesamt 1041 landwirtschaftlichen Betriebe im Kreis Wesel. Aber Franziska Verhülsdonk malt nicht nur schwarz: „Die Ökomodellregion ist ein schöner Ansatz“, sagt sie. Zusammen mit dem Kreis Kleve hat der Kreis Wesel Zuschüsse erhalten, um bis zum Jahr 2030 den Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen auf 20 Prozent zu erweitern. Ein ehrgeiziges Ziel, aber: „Wir brauchen regional eine höhere Wertschöpfung, müssen den Fokus in den Kreis holen, Verbrauchern Informationen geben, noch intensiver mit den Supermärkten kooperieren“, fasst Verhülsdonk einige der anstehenden Notwendigkeiten zusammen.