An Rhein und Ruhr. Die Gesellschaft fordert bessere Ställe für Schweine. Für Bauern bedeutet das ein Risiko. Sebastian Deckers aus Xanten hat es trotzdem versucht.
„Freunde, was’ los? Wollt ihr nicht rauskommen?“: Bauer Sebastian Deckers versucht seine Schweine aus den Ställen ins Außengelände zu locken, für ein NRZ-Foto. Er selbst steht mitten im Gedränge und klopft den Tieren auf den Hintern. An seinen Schuhen klebt noch Stroh - nass vom Regen.
Auf seinem Hof in Xanten-Vynen leben seit rund zwei Jahren 800 Schweine auf Stroh, sodass sie ihrem natürlichen Wühlreflex nachgehen können. Sie haben jeweils 1,6 Quadratmeter Platz und werden mit regionalem Futter versorgt. Das produzierte Fleisch hat die Qualität, die man im Supermarkt unter der „Premium-Haltungsform vier“ kennt, der höchsten von vier Haltungsstufen, die ein Außengelände, Stroh und mehr Platz beinhaltet. Um diese Stufe zu erreichen, brauchte es reichlich Zeitaufwand, Geld und Unterstützung aus dem Umfeld - die laut Deckers nicht jeder Landwirt hat.
„Ich habe hier totales Glück. Ich wohne abgeschieden, ohne direkte Nachbarn, habe eine vernünftige Kreisverwaltung und eine Familie, die den ganzen Stress mitmacht“, sagt er. Und den habe er zurzeit durch Mitarbeitermangel und steigende Kosten zuhauf.
Damit ist der Bauer nicht alleine. Laut laut NRW-Landwirtschaftsministerium treffen für Schweinehalter zurzeit viele ungünstige Faktoren aufeinander. „Noch vor der Pandemie konnten sehr hohe Preise für Schlachtschweine erzielt werden. Jetzt sind die Preise jedoch so tief gesunken, dass eine wirtschaftliche Schweinehaltung kaum möglich ist“, so Ministeriumssprecherin Tanja Albrecht. Dazu gäbe es steigende Kosten, die Reserven der Betriebe seien aufgebraucht. Marktexperten sehen aktuell keine Anzeichen für eine Entspannung der Lage. Investitionen in verbesserte Tierhaltung, die auch Deckers begünstigt, seien zwar gesellschaftlich erwartet, haken demnach laut Albrecht aber an der Umsetzung.
Hohe Investitionen für neuen Stall auf Stroh
Bauer Deckers hat seinen Stall vor ein paar Jahren umgebaut, 2016 den elterlichen Betrieb übernommen, 2017 begann der Jungbauer den neuen Stall zu planen. „Unkonventionell“ sollte er sein, damit er sich von der anderen Ställen abhebt. Deckers hat in der Strohhaltung und dem Tierschutz eine wirtschaftliche Chance für seinen Betrieb gesehen. Zwei Jahre später, nach Investitionen von 800.000 Euro, stand der Stall da, dort wo vorher nur Hoffläche war. 300.000 Euro erhielt er dafür vom Agrarinvestitionsförderungsprogramm.
Viel Bürokratie kam auf Deckers zu. Papierkram, für den der Bauer damals einen Berater engagiert hat. Der Prozess um Baugenehmigungen und Gutachten zog sich fast ein Jahr. Doch die Zukunft seines Betriebs, war Deckers den Stress wert. „Ich habe eine Verantwortung gegenüber vorherigen Generation. Man will als Landwirt nicht das letzte Glied sein, das es dann nicht schafft, den Betrieb zu führen“, sagt Deckers.
Einfacher sei das Leben als Bauer seitdem aber nicht. „Wenn mir Freunde sagen, wir fahren zwei Wochen in den Urlaub, weiß ich, für mich ist das nicht möglich“, so Deckers. Die Mitarbeitersituation sei „katastrophal“, Arbeitskräfte zu bekommen nahezu unmöglich. „Wir bräuchten richtige Malocher, die keine Angst haben, sich dreckig zu machen und auch körperliche Arbeit zu leisten“, so der Bauer. Und diese gäbe es kaum noch. „Die Leute wollen Urlaub machen, ein Jahr Auszeit nehmen können. Das ist in der Landwirtschaft nicht möglich“, weiß er. Die Stallarbeit nehme täglich zehn Stunden in Anspruch, die er häufig allein übernimmt - neben anderer Arbeit, die auf dem Hof und im Büro ansteht.
Stall muss etwas Besonderes sein
Doch nur so könne es klappen, meint Deckers. Er meint, dass man als Schweinehalter heute besonders viel Ehrgeiz haben muss, um die schwierige Zeit zu überstehen. Und dabei reiche es nicht, Umbauten zu machen. Ein Landwirt müsse sein Produkt auch vermarkten, sein Hof etwas Besonderes sein.
Hin und wieder holt der Bauer sein Handy heraus, macht ein Foto von schlafenden Schweinen im Außengelände oder frisch-geborenen Ferkeln und postet es auf sozialen Netzwerken. „Über Instagram hat uns unsere Auszubildende gefunden“, sagt Deckers.
Um den Betrieb zukunftsfähig zu machen, spezialisiert sich der Jungbauer auf eine Nischenkundschaft, auf die Leute, die Wert auf regionales und hochwertiges Fleisch legen. Das sei bei weitem nicht die Mehrheit, aber die Anzahl dieser Leute würde laut Deckers steigen - mit ihr auch die Nachfrage. „Es wird immer Leute geben, die hochwertiges Fleisch auf den Grill hauen wollen“, ist sich der Bauer sicher.
Umbau mit Risiko verbunden
Im Grunde ist der 35-Jährige ein Optimist, doch auch er hat hin und wieder Zukunftssorgen. Bald muss er auch den Stall für die Sauenhaltung umbauen. Denn Kastenstand, also die Haltung von Sauen in „Kästen“ zur Besamung, soll in spätestens acht Jahren gesetzlich abgeschafft werden. „Ich frage mich manchmal, warum soll ich das noch machen?“, so Deckers. Er kenne auch Bauern, die Ihren Stall nach gesetzlichen Vorgaben umgestaltet haben - und erneut umbauen mussten, noch bevor sie die alten Investitionen abbezahlt haben. Dass so wenige Schweinehalter jetzt an neue Investitionen denken, könne er verstehen. „Viele warten auf die politische Sicherheit“, so Deckers.
Die Landwirtschaftskammer verzeichnete in den letzten Jahren keine bis kaum neue Ställe. Die Zahl der Schweinehaltungsbetriebe in NRW sei laut dem Statistischen Bundesamt in den letzten Jahren gesunken, 2017 waren es noch 7420, 2021 dann knapp eintausend weniger, 6340. Auch die Zahl der Schweine ist von 7,2 Millionen auf rund 6,6 Millionen gesunken.
Deckers wünsche sich vor allem ein Umdenken bei den Fleischkäuferinnen und Käufern: „Die Politik muss die Interessen der Verbraucher vertreten. Wenn diese weiterhin billiges Fleisch kaufen, wird sich nichts ändern“, so Deckers. Ein Kilo des Nacken- oder Bauchfleischs von Deckers „Niederrheiner Strohschweinen“ koste beim örtlichen Metzger neun Euro, ein Filet etwa 21 Euro. Schweinefilet der Haltungsform eins kostet im Supermarkt etwa 10 Euro pro Kilo. Bei dieser Haltungsstufe hat jedes Schwein nur 0,75 Quadratmeter Platz und wird ausschließlich im Stall gehalten. Auch Deckers hat einmal versucht, sein Fleisch im Supermarkt zu verkaufen. „Dort werden aber nur bestimmte Teile des Tieres gekauft, die Edelteile“, sagt der Bauer. Beim örtlichen Metzger könne dagegen fast das ganze Schwein verwendet werden.
Für die Zukunft will Deckers, trotz aller Sorgen, optimistisch bleiben und seinen Betrieb erweitern, so dass ihn noch Nachfolgegenerationen, wie seine kaum ein Jahr alte Tochter oder ein besonders fleißiger Auszubildender übernehmen könnte. Ob das sinnvoll ist - das sei laut Deckers eine ganz andere Frage, die sich erst im Nachhinein beantworten lasse.