Kleve. Essbare Wälder, nachhaltige Ernährungssysteme - wie muss Landwirtschaft in Zukunft aussehen? Prof. Darr, Hochschule Rhein Waal, im Interview.

Die traditionelle Land- und Forstwirtschaft wird sich in den kommenden Jahrzehnten neuen Herausforderungen stellen müssen. Anbau und Ernte werden zunehmend geprägt und beeinflusst sein von extremen Wetterereignissen und den Folgen des Klimawandels. Dort setzt die Hochschule Rhein-Waal mit ihrem Forschungsschwerpunkt „Nachhaltige Ernährungssysteme“ an und beschäftigt sich sehr konkret und in direktem Austausch mit den Akteuren vor Ort mit der Entwicklung von Lösungen.

Es geht um Arbeitsbedingungen, Lebensmittelverarbeitung oder innovative Produktionssysteme wie „essbare Wälder“. Ein Gespräch mit Dr. Dietrich Darr, Professor für Agribusiness und Sprecher des Forschungsschwerpunktes.

Wie würden Sie das zentrale Ziel Ihrer Arbeit beschreiben?

Die Hochschule will sich im Bereich der Forschung profilieren, Kompetenzen und Ressourcen an der Schnittstelle von Agrar-, Nachhaltigkeits- und Bioökonomieforschung bündeln. Wir wollen auch die Forschungsbedingungen für die an der Hochschule Forschenden verbessern. Gleichzeitig wollen wir uns damit in der Region als Akteur der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit profilieren, indem wir auf die Unternehmen in der Region zugehen.

Strukturen im landwirtschaftlichen Sektor müssen verändert werden

Es geht darum, eine regionale Dynamik in Gang zu setzen, denn die Akteure vor Ort müssen oder wollen sich umstellen. Da sind kurze Wege von Vorteil. Dafür bieten wir Gespräche an. Es soll unser Beitrag sein, die Strukturen im landwirtschaftlichen Sektor zu verändern.

Wie sieht die konkrete Umsetzung aus?

Die ersten Schritte sind getan. In Zusammenarbeit mit Agrarbetrieben, aber auch Besitzern großer Grundstücke möchten wir Versuchsflächen anlegen und wissenschaftlich begleiten. Wir werden die

Ein frisch gepflanzter Obstbaum steht auf der Wiese –   Streuobstwiesen sind wertvoller Bestandteil einer artenreichen Kulturlandschaft.
Ein frisch gepflanzter Obstbaum steht auf der Wiese – Streuobstwiesen sind wertvoller Bestandteil einer artenreichen Kulturlandschaft. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Veränderungen dort beobachten und im Vergleich zum klassischen Agrarsystem für die Region angepasste neue Produktionssysteme entwickeln und vorantreiben.

Schafe, Ziegen und eine Eulen-Webcam

So wird aktuell auf einer Streuobstwiese, auf der Schafe und Ziegen weiden, ein Reallabor errichtet und mit einer Wetterstation ausgestattet. Eine Eulen-Webcam soll die ökologische Relevanz der Systeme plastisch machen. Die Ergebnisse unserer Forschung sollen dann allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Das schließt Trainingsprogramme und die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftskammer ein.

Gerade ist außerdem das von der EU finanzierte Forschungsprojekt „COMBAT“ zum Thema Antibiotikaresistenzen und „One Health“ bewilligt worden und kann nun an den Start gehen. Unter Leitung von Prof. Dr. Dirk Bockmühl soll untersucht werden, inwieweit sich antibiotikaresistente Keime im Landwirtschafts- und Ernährungssektor, im Gesundheitswesen, aber auch in Haushalten ausbreiten und wie dem vorgebeugt werden kann.

Was sagen die regionalen Akteure, also Landwirte oder Waldbesitzer, zu Ihrem Angebot?

Das Interesse an unserer Arbeit ist groß, die Aufgeschlossenheit für die Thematik ist bei vielen lokalen Akteuren da. Ein wichtiger Aspekt. Uns ist bewusst, dass all dies nur gemeinsam mit ihnen geht. Schließlich wollen wir nicht nur im Labor arbeiten, sondern die Praxis vor Ort verändern. Dafür müssen wir die Menschen überzeugen. Deshalb ist zum Beispiel das Studium Generale so wichtig. Dort können wir mit den Ergebnissen unserer Arbeit in die Gesellschaft gehen.

Nachhaltige Ernährungssyteme

Im Forschungsschwerpunkt „Nachhaltige Ernährungssysteme“ werden die Forschungsarbeiten auf dem Gebiet nachhaltiger Naturressourcen-Bewirtschaftung, Ernährung, Gesundheit und Bioökonomie zusammengetragen und weiterentwickelt.

Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe, die sich für eine Kooperation mit der Hochschule interessieren, können sich unter FoodSystems@hochschule-rhein-waal.de melden.

Essbare Wälder - Heute, 19 bis 20.30 Uhr, wird Prof. Darr dazu einen Online-Vortrag halten. Die Teilnahme ist kostenlos. Zugang über: https://hsrw.info/r3maj, Passwort: SG2021

Ein solcher Forschungsschwerpunkt kann nur langfristig gedacht werden. Wie sehen Sie das, sagen wir, für die nächsten zehn Jahre?

Der Faktor Zeit spielt natürlich eine Rolle. Bis die Ergebnisse von neu angelegten Versuchsflächen vorliegen, vergehen etliche Jahre. Aber man kann ja auch von anderen lernen. Denken Sie an den Food Forest im benachbarten Ketelbroek bei Groesbeek (ein sogenanntes Nahrungswaldsystem, 2009 angelegt. Anm. d. Red.). Man muss nicht bei Null anfangen, sondern kann an rekultivierten Äckern, Gehölzstreifen oder eben alten Streuobstwiesen den Nutzen dieser Systeme ermitteln. Außerdem lassen sich Verfahren am Computer simulieren.

Nicht zuletzt geht es auch um Geld und die Förderung der Veränderungen?

Ja. Zunächst stellen wir fest, dass die individuelle Bereitschaft nach neuen Wegen zu suchen vorhanden ist. Dafür müssen individuelle Geschäftsideen entwickelt, Marktnischen wie zum Beispiel die Produktion von Arzneipflanzen, gefunden werden. Das kann aber nur der Anfang sein. Gleichzeitig verändern sich auf der politischen Ebene gerade die Konditionen. Der European Green Deal (Klimaneutralität in der EU bis 2050. Anm. d. Red.) ist vor knapp zwei Jahren von der EU-Kommission vorgestellt worden. Gesetzliche Vorgaben und die Umorientierung der Förderinstrumente werden in Zukunft neue Möglichkeiten öffnen. So wird gerade diskutiert, dass auch Agroforst-Modelle förderfähig werden sollen. Parallel dazu braucht es natürlich Beratungsangebote und Informationen, eine Umstellung der Märkte und Lieferketten. Das alles muss folgen.

Regionale Produkte sind mehr und mehr gefragt.
Regionale Produkte sind mehr und mehr gefragt. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Der Klimawandel spielt bei Ihrer Forschung eine zentrale Rolle. Welche Konzepte verfolgen Sie, was etwa die Anpflanzung oder Auswahl der Pflanzen betrifft?

Man kann sich international inspirieren lassen. Zum Beispiel mit einem Blick auf europäische Nachbarländer oder die USA.

Agroforstwirtschaft ist ein nachhaltiges Landnutzungssystem

Überall wird aktuell an neuen Systemen geforscht. Wir wollen dabei helfen, die für die Region am besten geeigneten Kombinationen von Gehölzen und Tieren auf Agrarflächen zu finden. Zum Beispiel durch Hecken oder Gehölzstreifen, die zur Reduzierung der Verdunstung beitragen könnten und Windschutz böten. Dann müssten Ackerflächen weniger bewässert werden.

Wie lässt sich Ihre Forschung international verorten? Hat Deutschland eine Vorreiterrolle oder hinken wir hinterher?

Ackerwitwenblumen wachsen in einer Wiese - ökologische Artenvielfalt auf dem Weg in die Zukunft.
Ackerwitwenblumen wachsen in einer Wiese - ökologische Artenvielfalt auf dem Weg in die Zukunft. © FFS | Olaf Ziegler

In den Subtropen und Tropen spielt die Agroforstwirtschaft schon seit vielen Jahren eine viel größere Rolle. Während dort in den letzten Jahrzehnten intensiv an agroforstlichen Systemen geforscht wurde, gibt es in Europa und Deutschland großen Nachholbedarf. Bei uns waren solche Systeme früher üblich.

Ökologische und gesellschaftliche Vorteile

Die ökologischen und gesellschaftlichen Vorteile sind unstrittig. Doch natürlich muss sich die Umweltleistung eines Bauern auch monetär abbilden. Wenn eine größere Artenvielfalt oder strukturelle Diversität auch finanziell entlohnt werden, würde das auch den Trend hin zu immer größeren und spezialisierteren Betrieben abschwächen.

Wie sehen Sie die Chancen, dass sich die Erkenntnisse aus Ihrer Forschung auf eine neu gedachte Landwirtschaft umsetzen lassen?

Ich bin optimistisch. Landwirtschaft wird in Zukunft eine andere sein. Wir müssen die Akteure mitnehmen und für den Wandel begeistern. Dabei kann es nicht um die Idealisten gehen. Der ganze Sektor erlebt eine Transformation. In zehn bis 20 Jahren wird der ganze Agrarsektor anders aussehen, das steht für mich fest. Alle Akteure sind gut beraten, dem ins Auge zu sehen und aktiver Teil davon zu werden. Dafür wollen wir werben und Ansprechpartner sein.