Hünxe/Kreis Wesel. Regelungen für mehr Tierwohl, bürokratische Hürden: Bislang haben weder Schwein noch Bauer einen Nutzen. Ein Betrieb aus Hünxe fürchtet das Aus.
Verbraucher fordern mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung – das Schwein beispielsweise soll ein anständiges Leben führen, bevor es auf den Teller kommt. Gesetzlich hat sich deshalb einiges getan, doch obwohl im Februar die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung in Kraft getreten ist, weiß im Oktober noch niemand so genau, wie man sie umsetzen und bezahlen könnte.
Ferkelzüchter Wilhelm Wefelnberg aus Hünxe sieht seinen Betrieb am Abgrund, dabei hätte er mit seinem Sohn sogar einen Nachfolger. Infolge von Corona und dem Auftreten der Afrikanischen Schweinepest in Ostdeutschland sind die Fleischpreise „so sehr im Keller wie noch nie“.
Ruinöse Fleischpreise und anspruchsvolle Auflagen
Die Nachfrage brach im Lockdown ein: keine Stadionwürste, keine Gastronomie. China und Asien importieren wegen der Afrikanischen Schweinepest nicht mehr aus Deutschland. Warum nicht regional vermarkten? „Das stößt an seine Grenzen. Zunge, Kopf, Pfötchen, Schwanz, Ohren und Fette gehen nach China, sie gelten dort als Delikatesse. Hier mag sie offenbar niemand“, erläutert Wefelnberg.
Jetzt kommen die überfälligen Anforderungen an das Tierwohl: Sauen dürfen im Deckzentrum nicht mehr allein gehalten werden, nur noch kurz fixiert werden – nach der Besamung und nach der Geburt der Ferkel. Abferkelbuchten sind künftig Standard, Beschäftigungsmaterial muss her, die Beleuchtung verändert sich, Sauen und ihr Nachwuchs sollen deutlich Platz bekommen, das Kupieren der Schwänze wird verboten.
Diese und weitere Vorschriften müssen nach und nach umgesetzt werden. Wie, darüber hat die sogenannte „Borchert-Kommission“ unter dem ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert beraten, eine Machbarkeitsstudie vorgelegt und sich optimistisch gezeigt.
Anspruch und Preisvorstellung klaffen auseinander
„Die Borchert-Papiere sorgen immer noch für Diskussion“, sagt Johannes Leuchtenberg, Vorsitzender der Kreisbauernschaft. „Fazit ist: Wenn die Gesellschaft mehr Tierwohl möchte, muss sie bereit sein, dafür zu bezahlen. Die Sauenhalter wissen heute nicht, was und wie sie es machen sollen.“
Das bestätigt der Hünxer Wilhelm Wefelnberg: „Wir fahren auf Sicht“, sagt er. Mitunter seien wegen langer Genehmigungsverfahren die gesetzlich gesetzten Fristen nicht einhaltbar, das vorgeschriebene Platzangebot für die Schweine funktioniere in den vorhandenen Gebäuden nicht, das Baurecht steht den Tierschutzanforderungen zum Teil im Wege.
Mit Blick auf den Markt weiß der 67-Jährige zudem nicht, woher das Geld für Investitionen zu nehmen. „Das Kilo Mastschwein bringt 1,20 Euro, das sind weniger als 100 Euro pro Tier. Im Laden kostet es rund 600 Euro – das verstehen wir nicht.“
Auch werde die Schweinehaltung nun aufwendiger und teurer: Die Borchert-Kommission hat eine Tierwohl-Abgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch diskutiert – funktioniert nicht, denn auch Importware unter unklaren Produktionsbedingungen würde darunter fallen, argumentieren die Bauernverbände. Eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent würde andere europäische Lieferanten diskriminieren. Und ein Tierwohl-Soli auf die Einkommenssteuer wäre nicht zweckgebunden.
Verschiedene Tierwohl-Labels in der Diskussion
Ohnehin: Wefelnberg rechnet vor, dass 40 Cent rund 30 Euro pro Mastschwein sind. „Die teilen sich Mäster und Ferkelerzeuger.“ Die Kosten fange das nicht auf, das Fleisch müsse im Laden um zwei bis drei Euro pro Kilo teurer werden, um das zu schaffen.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat seit 2019 ein staatliches Tierwohllabel für die Schweinehaltung erarbeitet – auf freiwilliger Basis, weil verpflichtende nationale Labels mit EU-Recht kollidieren würden. Parallel haben die Lebensmitteldiscounter eine Kennzeichnung eingeführt, deren Wirksamkeit umstritten ist. Aldi fordert von der künftigen Bundesregierung, die Landwirtschaft bei tiergerechter Fleischerzeugung zu unterstützen.
„Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben“, sagt Wefelnberg. Er fordert ein fünf Mal D-Label für die Verbrauchertransparenz: In Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und vermarktet – damit Verbraucher den Unterschied zu billiger Importware mit unklaren Haltungsbedingungen erkennen.
Erzeuger brauchen verlässliche Rahmenbedingungen aus der Politik
300 Säue hatte der Hünxer früher, jede von ihnen bekommt jährlich 25 bis 28 Ferkel. Inzwischen sind es noch 220 Säue. Ein Ferkel koste rund 60 Euro, bis es an den Mastbetrieb geht – aktuell erziele er 28 Euro. Wefelnberg hofft, dass sich der Markt bereinigt. „Wir machen alles mit, wenn man uns mitnimmt“, sagt er mit Blick aufs Tierwohl. „Die Verbraucher fordern es, entscheiden aber an der Kasse anders.“ Und die Politik lasse die Bauern alleine. Die, räumt er ein, hätten in der Vergangenheit selbst auch Fehler gemacht: „Wir haben die Verbraucher nicht mitgenommen“, sagt er.