Kreis Kleve. Der Kreis Kleve hat die große Sozialreform von Hartz IV zum Bürgergeld geräuschlos umgesetzt. Diese Erleichterungen gibt es für Arbeitslose.

Bürgergeld? Da war doch noch was! Fast unbemerkt ist im Januar eine der größten Sozialreformen in Deutschland vollzogen worden, und auch im Kreis Kleve wurde die „Mammutaufgabe“ heimlich, still und leise umgesetzt. Für die Betroffenen gibt es jetzt mehr Geld, einige Erleichterungen und vor allem: Ab dem 1. Juli wird es ein „ganzheitliches Coaching“ geben. Langzeitarbeitslose sollen so besser auf die Arbeitswelt vorbereitet werden, und erstmals wird der Mensch ganzheitlich betrachtet.

Der Langzeitarbeitslose wird als Mensch gesehen

Andrea Schwan, Leiterin des Fachbereiches Jugend, Soziales und Jobcenter in der Klever Kreisverwaltung, sieht in dem neuen Bürgergeld vor allem einen neuen Blickwinkel auf die Sozialleistung: „Früher hatte die Vermittlung in Arbeit die höchste Priorität, jetzt wird mehr eine Zusammenarbeit mit dem Bürger angestrebt“, sagt sie. Natürlich habe man immer noch das Ziel, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Denn Arbeit ist nicht nur Broterwerb, sondern auch sinnstiftend und wichtig für jede Persönlichkeit. Aber das Jobcenter schaut nicht mehr zwingend danach, wie man einen Langzeitarbeitslosen mit aller Gewalt in Arbeit bekommt, wenn dieser erst einmal einen riesigen Berg anderer Probleme vor sich herschiebt.

Andrea Schwan, Leiterin des Fachbereiches Arbeit und Soziales.
Andrea Schwan, Leiterin des Fachbereiches Arbeit und Soziales. © Kreis Kleve

Diesen neuen Blick auf den „Kunden“, wie es Kreishaus heißt, findet Schwan richtig. Denn „Hartz IV“ sei damals auch vor dem Hintergrund einer Arbeits- und Wirtschaftskrise entstanden. Doch der Arbeitsmarkt habe sich stark verändert. „Er ist jetzt aufnahmefähig wie ein Schwamm. Fachkräfte und Helfer werden dringend gesucht“, schildert Schwan.

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Wer jetzt noch keine Arbeit gefunden habe, der könne oft nicht die richtigen Qualifikationen aufweisen oder habe andere, soziale Probleme, die zuerst angegangen werden müssen. Der Kunde wird nicht als Bittsteller betrachtet, sondern dem Bürger steht das Bürgergeld zu.

Der Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft

Das neue Bürgergeld.
Das neue Bürgergeld. © dpa

Carina Cleven-Pawletko, Leiterin des Kreis Klever Jobcenters, sieht jetzt auch die Möglichkeiten einer sozial-pädagogischen Begleitung von Langzeitarbeitslosen. Wenn die Frage auftaucht, ob der Kunde nicht arbeiten kann oder nicht arbeiten will, dann habe dies oft psychische Einschränkungen als Ursache. „Menschen müssen erst gesundheitlich ertüchtigt werden, bevor sie für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können“, sagt Cleven-Pawletko. Menschen mit Adipositas können so eine Ernährungsberatung erhalten, Menschen mit Schulden können ebenfalls erst in eine Beratung geschickt werden.

In diesen Maßnahmen drückt sich aus, dass der Vermittlungsvorrang abgeschafft worden ist. Im Zentrum stehen jetzt Weiterbildung und der Erwerb von Berufsabschlüssen. Das heißt aber nicht, dass Leistungsbezieher jetzt die Füße hochlegen und es sich in der „sozialen Hängematte“ gemütlich machen können. Eine Mitwirkung zur Verbesserung der Situation wird schon erwartet. Und: „Wir sind immer noch Jobcenter und müssen in Arbeit vermitteln“, sagt Cleven-Pawletko.

Regelsätze wurden erhöht

Zum 1. Januar sind die Regelsätze zwischen 35 und 53 Euro gestiegen, eine Tatsache, die viele Bürgergeldbezieher aber angesichts der galoppierenden Inflation nur als Tropfen auf dem heißen Stein empfunden haben mögen. Eine Erleichterung ist auch die zwölfmonatige Karenzzeit, die eingeführt wurde. In den ersten zwölf Monaten übernimmt das Jobcenter die tatsächlichen Kosten einer Wohnung und prüft nicht sofort die angemessene Wohnungsgröße. Die Heizkosten werden allerdings gesondert berechnet und unterliegen dieser Karenzzeit nicht.

Auch beim Schonvermögen gibt es eine Erleichterung. In den ersten zwölf Monaten sind 40.000 Euro Vermögen geschützt. Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich dieser Freibetrag um 15.000 Euro. Nach den zwölf Monaten darf jede Person ein Vermögen von 15.000 Euro behalten, und auch die Rücklagen fürs Alter, wie zum Beispiel das eigene Haus oder die eigene Wohnung, werden besser geschützt. Ältere Bürgergeldempfänger müssen auch nicht vorzeitig die Altersrente in Anspruch nehmen.

Carina Cleven-Pawletko leitet das Jobcenter des Kreises Kleve.
Carina Cleven-Pawletko leitet das Jobcenter des Kreises Kleve. © Kreis Kleve | Markus van Offern

Die ersten drei Monate der Umstellung seien gut gelaufen, bilanziert Andrea Schwan. Trotz der kurzfristigen Umsetzungsphase (das Gesetz wurde am 16. Dezember beschlossen, und das Bürgergeld musste am 20. Dezember für die Kunden angewiesen werden) habe das reibungslos funktioniert. Der Hausvorstand bekommt nun 502 Euro, der Partner 451 Euro, Kindern im Alter bis fünf Jahren werden 318 Euro zugesprochen, und ab sechs Jahre gibt es 348 Euro.

Der soziale Arbeitsmarkt wurde entfristet

Eine wichtige Änderung ist auch die Entfristung des sozialen Arbeitsmarktes. Damit Langzeitarbeitslose überhaupt an eine Tagesstruktur und an das Arbeiten gewöhnt werden, kann eine soziale Arbeitsmaßnahme sinnvoll sein. So kann das Jobcenter jetzt einen Lohnkostenzuschuss zahlen, wenn Unternehmen, Kommunen oder Wohlfahrtsverbände den Langzeitarbeitslosen eine Tätigkeit bieten. Da diese Maßnahme sehr teuer ist, werden in der Regel nur Langzeitbezieher ab fünf Jahren davon profitieren können.

Zum 1. Juli wird es weitere Veränderungen beim Bürgergeld geben. So werden die Freibeträge für alle Erwerbstätigen verbessert. Bei einem Einkommen zwischen 520 und 1000 Euro dürfen 30 Prozent davon behalten werden. Junge Menschen dürfen ihre Einkommen aus Schüler- oder Studentenjobs oder der Ausbildung bis zur Minijob-Grenze von 520 Euro behalten. Ferienjobs bleiben gänzlich unberücksichtigt, und Ehrenamtliche können jährlich bis 3000 Euro eine Aufwandsentschädigung erhalten.

Das Jobcenter des Kreises Kleve bietet viele Angebote und Hilfestellungen.
Das Jobcenter des Kreises Kleve bietet viele Angebote und Hilfestellungen. © Andreas Gebbink

Ein Kooperationsplan wird erarbeitet

Wichtig wird die Einführung des Kooperationsplans, der die bisherige Eingliederungsvereinbarung ersetzt. „Der Kooperationsplan ist der rote Faden für die Arbeitssuche und wird in verständlicher Sprache gemeinschaftlich von Jobcenter-Beschäftigten und Bürgergeld-Beziehenden erarbeitet“, so Andrea Schwan. In diesem Plan wird dann festgehalten, welche konkreten Maßnahmen getroffen werden, um letztlich wieder in Arbeit zu kommen.

Um Anreize für die Weiterbildung zu schaffen, können ab Juli Weiterbildungsprämien gezahlt werden, wenn Prüfungen erfolgreich bestanden werden. Zusätzlich gibt es ein monatliches Weiterbildungsgeld von 150 Euro. „Es gibt Kunden, die haben große Ängste vor Weiterbildungen und Prüfungen, weil sie nicht scheitern wollen. Sie sind diesbezüglich auch nicht erfolgsverwöhnt“, so Cleven-Pawletko.

Bürgergeldbonus für die soziale Integration

Auch für andere Dinge, die für eine Integration förderlich sind, kann künftig ein Bürgergeldbonus gezahlt werden – 75 Euro im Monat. Da werde dann eher geschaut, ob der Kunde sich sozial adäquat einbindet. Eine Vereinsmitgliedschaft könne da etwa hilfreich sein. „Isolation ist ein großer Faktor bei Langzeitarbeitslosen“, so Cleven-Pawletko.

Auch in der Beratung soll sich das Verhältnis zwischen Jobcenter und Langzeitarbeitslosen verändern. So möchte man auch weg von den starren Beratungsgesprächen am Schreibtisch. „Geh-Spräche“ im Park könnten angeboten werden oder Gespräche zu Hause am Küchentisch. Das Fallmanagement werde sich hier umstellen und entsprechend wird auch das Personal geschult. „Unsere Fallmanager sind hochmotiviert und wollen die Leute auch weiterentwickeln“, sagt Andrea Schwan.