Essen-Werden. Die Grünen luden zu einer Diskussionsrunde mit Experten über einen Ausbau der Kinderbetreuungsplätze in Essen ein. Dies sind die Vorschläge.
Ins Familiencafé „Löffelöhrchen“ hatten die Essener Grünen eingeladen zu einem höchst intensiven Austausch über den offenbar bislang nicht ausreichenden Ausbau der Kinderbetreuungsplätze in Essen. Die grüne Vorstandssprecherin Inga Sponheuer schlug dabei den weiten Bogen: „In Deutschland fehlen 430.000 Plätze. Hinter diesen Zahlen stehen Menschen.“ Sie ist selbst junge Mutter und bekam die Not am eigenen Leibe zu spüren: „Wir haben zehn Absagen erhalten. Da habe ich Puls gekriegt. Letztlich haben wir aber einen Platz bekommen für unser Kind.“
Die Diskussionsveranstaltung sei auch von der skurrilen Situation der Heidhauserin Rebecca Lang angeregt worden, die nicht als Erzieherin arbeiten konnte, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihre zweijährige Tochter fand, erklärte Sponheuer. Im Bezirk 9 fehlen aktuell 47 U3-Plätze und 104 Ü3-Plätze.
Derzeit laufen Verhandlungen mit dem Zweckverband
In den Stadtteilen Fischlaken und Heidhausen seien die Quoten der Ü3-Betreuung schlecht, räumte Jugendamtschef Carsten Bluhm freimütig ein: „Ich werde nichts schönreden. Da sind Kraftanstrengungen nötig, aber die Optionen sind überschaubar.“ Aktuell laufen Verhandlungen mit dem Zweckverband über den Ausbau der Katholischen Kita an der Barkhovenallee. Selbst Vater und gelernter Erzieher, redete Bluhm nicht drumherum: „Es ist eine Katastrophe, wenn man für seine Kinder keine Betreuung hat.“ So seien über hundert Kinder aus Heidhausen in anderen Stadtteilen untergekommen.
Vom Slogan „kurze Beine – kurze Wege“ ist da nicht mehr viel übrig. Bluhm warb aber um Verständnis dafür, dass die Stadt sich so schwer tue mit zusätzlichen Plätzen: „Wir haben die Stadtteile regelrecht gescannt und Klinken geputzt für unsere städtischen Kitas.“ Aber viel zu oft seien nirgends geeignete Fläche zu finden.
Wald-Kita in Essen-Heidhausen scheitert bisher am Baurecht
Der grüne Ratsherr Silas Haake ist kinderpolitischer Sprecher seiner Fraktion und lobte die Anstrengungen der Stadt: „Seit 2011 wurden in Essen rund 7500 neue Kitaplätze geschaffen. Aber mit den noch fehlenden 1000 tun wir uns echt schwer.“ Carsten Bluhm hielt fest, dass er, anders als oft in der Öffentlichkeit dargestellt, die Kollegen der anderen Fachverwaltungen nicht als „Bremser“ des so dringend benötigten Ausbaus erlebe. Wobei er im konkreten Fall der Wald-Kita am Volkswald indirekt Nachholbedarf zugab bei den städtischen Ämtern: „Ich hoffe, dass wir alle miteinander gelernt haben, wie es besser gehen kann.“
Bezirksbürgermeisterin Gabriele Kipphardt hatte aufmerksam zugehört und machte ihr Verstimmung deutlich: „Man sucht händeringend Flächen. Dann will jemand eine Wald-Kita bauen und dem legt man Steine in den Weg. Das verstehe ich nicht.“
Wilhelm Steitz von der Mülheimer „Zukunftsorientierte Kinderbetreuung“ würde nur zu gerne schon morgen in Heidhausen eine Wald-Kita eröffnen, gab aber zu Protokoll: „Hier geht es eigentlich nur um einen großen Bauwagen. Doch der bedarf einer Baugenehmigung. Laut Gesetz ist das ein großer Sonderbau, hat also baurechtlich den Status einer neuen Uni-Klinik. Das ist halt Deutschland, und es wird jedes Jahr schlimmer.“
Investor plädiert für kreative Lösungen beim Umbau im Bestand
Auch wenn Bauen deutlich teurer geworden sei und es zurzeit keinen Fördertopf des Landes gebe, gab sich Steitz doch zuversichtlich, dass es klappen werde mit der Wald-Kita am Volkswald. Er plädierte auch für kreative Lösungen beim Umbau im Bestand und beim Ausbau naturnaher Kitas zum Beispiel auf einem nicht mehr voll genutzten Bauernhof: „Das ist ressourcensparend und ergibt schon daher Sinn.“
Das hörte Jugendamtschef Bluhm gern: „Wir sind überzeugt davon, dass naturnahe Kitas ein gutes Konzept sind. Wir möchten viele neue Wald-Kitas. Wir brauchen viele kleine Lösungen.“
Stadt Essen richtet eine „Taskforce Fachkräfte“ ein
Inga Sponheuer betonte, dass es neben fehlenden Gebäuden auch das fehlende Personal betrachtet werden müsse. Alleine die Stadt Essen hat bis zum Jahr 2030 einen Bedarf von über 1300 zusätzlich benötigten staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erziehern errechnet. Die Verwaltung richtete eine „Taskforce Fachkräfte“ ein, die sich um diesen steigenden Bedarf kümmern soll. Doch woher nehmen?
Hier meldete sich Claudia Schulze vom Katholischen Berufskolleg Werden in Trägerschaft der Johannes-Kessels-Akademie zu Wort. Die stellvertretende Schulleiterin plädierte für mehr Anerkennung des Berufs. Dessen hohe Qualität sei wichtig und dürfe nicht „verwässert“ werden. Die Erzieherausbildung müsse unbedingt attraktiver werden. Die „konsekutive“ Ausbildung dauert in der Regel drei Jahre. Davon werden zwei Jahre fachtheoretisch absolviert und mit dem Fachschulexamen beendet. Das sich anschließende einjährige Berufspraktikum endet mit der staatlichen Anerkennung als Erzieher.
Es möchten immer mehr Männer in den Beruf einsteigen
Nur diese Phase wird vergütet. Auch aus diesem Grund erfreut sich die „praxisintegrierte“ Ausbildung zunehmender Beliebtheit. Theoretische und praktische Ausbildungszeiten werden dort miteinander verzahnt und es gibt durchgehend eine Vergütung.
Immer mehr Männer möchten Erzieher werden und nehmen das Studium auf. Allerdings gebe es viel zu viele Studienabbrüche. Die lägen oft darin begründet, dass vor Ort in den Kitas die Kräfte fehlen, um die angehenden Erzieher gut auszubilden. Schwierigkeiten bereite auch die zu geringe Zahl an Studienplätzen für Sozialpädagogik in NRW. Wer solle denn die ganzen zusätzlich benötigten Erzieher ausbilden?
Das Schlusswort blieb Erzieherin Rebecca Lang, die noch einmal kräftig Werbung machte für ihre Profession: „Ich kenne keinen anderen Beruf, der so dankbar ist, der so viel zurückgibt. Es ist eine wichtige und tolle Arbeit.“
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