Essen. Bis zum Jahr 2030 fehlen in den Kitas in Essen rund 1300 Erzieherinnen und Erzieher. Braucht man für die Ausbildung eine neue Berufsschule?
Die Kinderbetreuung bleibt in Essen ein großes Problem: In den nächsten sieben Jahren fehlen in Essen rund 1300 Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas im Stadtgebiet. Schon jetzt ist die Personaldecke so dünn, dass nach Angaben des Jugendamtes gegenwärtig etwa zehn Prozent der Betreuungsstunden in Einrichtungen ausfallen wegen Krankheitsfällen, für die es keinen Ersatz gibt.
So wurde zum Beispiel in Bredeney in der Privat-Kita „Kleine Riesen“ in den letzten Wochen das Wochenstunden-Kontingent von 45 auf 35 Stunden Betreuung gekürzt – zu viele Krankheitsausfälle. „Die Erzieherinnen und Erzieher reißen sich ein Bein aus, und auch der Träger tut, was er kann“, sagt Tobias Paulert, Vater von zwei Zwillingssöhnen (2). Doch er hat in dem einen Jahr, in dem seine Söhne jetzt die Kita besuchen, es „nur selten“ erlebt, dass die volle Betreuungszeit gewährleistet war. „Wegen Personalmangel müssen wir die Kinder häufig später bringen, früher abholen, oder es ist nur jeden zweiten Tag geöffnet.“ Entsprechend schwierig sei, das Familienleben mit der Berufstätigkeit ständig neu zu organisieren. „Es fehlt Unterstützung aus der Politik im Land und im Bund“, sagt Paulert. „Es ist kein Wunder, dass die guten, engagierte Fachkräfte bei diesen Arbeitsbedingungen irgendwann nicht nur krank werden, sondern sich überlegen, komplett den Beruf zu wechseln.“
Wie bekommt man das Personal-Problem langfristig in den Griff? Die Stadt hat zuletzt extra eine Arbeitsgruppe („Taskforce“) gebildet. Eins der ersten Ergebnisse aus der Taskforce lautet: Womöglich benötigt Essen ein weiteres Berufskolleg mit dem Schwerpunkt Erzieher-Ausbildung.
Nur ein einziges Berufskolleg in Essen bildet mehrere Hundert Erzieherinnen und Erzieher aus
Größter Ausbilder von Erzieherinnen und Erziehern ist derzeit das „Berufskolleg im Bildungspark“ (BiB) in Altenessen-Süd. „Wir sind schon jetzt am Rand unserer Kapazitäten, haben rund 1600 Schülerinnen und Schüler, obwohl unser Gebäude für 1400 ausgelegt ist“, berichtet Hayo Dütemeyer, der Leiter der Schule. Davon seien fast 400 Studierende in der „Fachschule für Sozialausbildung“ in der Ausbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin, „das ist etwa ein Viertel der gesamten Schülerschaft.“
Interessenten und Bewerbende gebe es genug, sagt Dütemeyer, und die Abbruchquote in den entsprechenden Bildungsgängen schätzt Dütemeyer auf etwa zehn Prozent. „Vielleicht ist es so, dass bei manchen die Erwartungen an den Beruf nicht mit dem übereinstimmen, was sie dann tatsächlich vorfinden.“
Auch dagegen will die Stadt vorgehen: „Einen Imagegewinn könnte der Beruf möglicherweise gerade auch bei jungen Leuten haben, wenn mehr Transparenz über die Arbeitsbedingungen, die Entwicklungschancen und die Bezahlung von Erzieherinnen und Erzieherin geschaffen wird“, sagt Stefanie Kutschker, Sprecherin des Jugendamtes.
Nicht nur Schulabgänger sind interessant für die Branche
Doch nicht nur Schulabgänger sollen künftig verstärkt für den Job als Erzieher oder Erzieherin umworben werden – ausgemacht ist, dass viele Zugewanderte mit enormem Potenzial nicht in Kitas arbeiten können, weil ihre Qualifikationen formal nicht anerkannt werden. „Hier könnten gezielte Fortbildungsmaßnahmen helfen und die Ausbildungszeit verkürzen“, sagt Stefanie Kutschker.
Ein weiteres Problem sind fehlende Möglichkeiten für Erwachsene, umzuschulen auf Erzieher oder Erzieherin: „Wenn Quereinstiege realisiert werden sollen, müssen entsprechende Qualifizierungsangebote aufgelegt werden“, sagt Stefanie Kutschker. Dies sei Angelegenheit der Länder oder sogar des Bundes – genau wie die Finanzierung der gesamten Branche. Vergleichsweise niedrige Gehälter und unzureichende Betreuungsschlüssel (zu wenig Personal für zu viele Kinder) gelten seit langem als Hauptgründe, warum relativ wenige Menschen sich für einen Beruf in einer Kita entscheiden.
Personalmangel droht, das Ausbauprogramm der Stadt zu torpedieren
Der derzeitige und zukünftige Personalmangel in Kitas droht, das ehrgeizige Kitaplatz-Ausbauprogramm der Stadt zu torpedieren: Zwar fehlten immer noch 1000 bis 1500 Plätze, erklärte Jugendamtsleiter Carsten Bluhm im Frühsommer 2023. Seit dem Kita-Jahr 2011/12 seien in Essen rund 7500 neue Plätze geschaffen worden – also plus 40 Prozent. Doch wenn die Gebäude stehen, aber das Personal für Gruppen-Öffnungen fehlt, laufe man Gefahr, dass die Zahl der vorhandenen Plätze langfristig sogar kleiner wird.
Mit einem sogenannten „Fachkräftetag“ will man Anfang 2024 alle wichtigen Akteure an einen Tisch bringen, um Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Dieser „Fachkräftetag“ sollte ursprünglich schon Ende 2023 stattfinden, ist aber aufs Frühjahr 2024 verschoben worden – ob es am Personalmangel in der Verwaltung liegt, der seit Jahren auch die Arbeit im Rathaus verlangsamt, ist nicht bekannt. Klar ist hingegen, dass der Personalmangel in den Kitas in den kommenden Jahren eher größer als kleiner wird, wenn nicht entscheidend gegengesteuert wird: Bis 2030 gehen fast 400 jetzt aktive Erzieherinnen und Erzieher in den Essener Kitas in Rente.
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